Cormac McCarthy

Der Passagier

Roman
Cover: Der Passagier
Rowohlt Verlag, Hamburg 2022
ISBN 9783498003371
Gebunden, 528 Seiten, 28,00 EUR

Klappentext

Aus dem Englischen von Nikolaus Stingl. 1980, Pass Christian, Mississippi: Bobby Western, Bergungstaucher mit Tiefenangst, stürzt sich ins dunkle Meer und taucht hinab zu einer abgestürzten Jet Star. Im Wrack findet er neun in ihren Sitzen festgeschnallte Leichen. Es fehlen: der Flugschreiber und der zehnte Passagier. Bald mehren sich die Zeichen, dass Western in etwas Größeres geraten ist. Er wird von skrupellosen Männern mit Dienstausweisen verfolgt und heimgesucht von der Erinnerung an seinen Vater, der an der Erfindung der Atombombe beteiligt war, und von der Trauer um seine Schwester, seiner großen Liebe und seinem größten Verderben. "Der Passagier" führt - von den geschwätzigen Kneipen New Orleans' über die sumpfigen Bayous und die Einsamkeit Idahos bis zu einer verlassenen Ölplattform vor der Küste Floridas - quer durch die mythischen Räume der USA. Ein Roman über Moral und Wissenschaft, das Erbe von Schuld und den Wahnsinn, der das menschliche Bewusstsein ausmacht.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 31.12.2022

Rezensent Claus-Jürgen Göpfert verneigt sich vor Cormac McCarthy, der sich nach langer Pause und mit fast 90 Jahren noch einmal mit zwei Romanen zu Wort meldet. Diese sollte man laut Göpfert am besten parallel lesen, so eng hängen für ihn "Der Passagier" und "Stella Maris" zusammen: Beide erzählen von dem Geschwisterpaar Alice und Bobby und ihrer inzestuösen Liebe zueinander, wobei sich das erste Buch mehr um Bobby und die Traumata der jüngeren US-amerikanischen Geschichte, das zweite Buch mehr um die hochbegabte aber psychisch kranke Alice und die Mathematik dreht, wie Göpfert zusammenfasst. Dabei macht er drei für McCarthys Schreiben bezeichnende Ebenen aus: die politische, auf der der Autor etwa über die Atombombe oder die Ermordung J.F. Kennedys sinniere, die poetische, die bei McCarthy nicht selten eine der brutalen Beschreibung von Menschheitsverbrechen sei, und die Ebene der Naturbeschwörung - hier zeigt sich für Göpfert am deutlichsten das Sprachtalent McCarthys, dessen "karge" und zugleich "melancholische" Prosa den Kritiker auch dieses Mal wieder besticht. Ein umfangreiches und eindrückliches "Alterswerk", staunt Göpfert, für den die vielen "kulturpessimistischen, zivilisationskritischen Seitenhiebe" da ganz selbstverständlich dazu gehören.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 26.11.2022

Nach sechszehnjähriger Abstinenz hat Cormac McCarthy gleich zwei neue Bücher vorgelegt, die zusammengehören.  In beiden geht es um das Geschwisterpaar Alicia und Robert Western. "Der Passagier" knüpft für Felix Stephan genau da an, wo vorherige Romane McCarthys aufgehört haben. Robert soll als Taucher einen mysteriösen Flugzeugabsturz untersuchen, erfahren wir, bei dieser Arbeit ereignet sich allerhand Bedrohliches und auch der Protagonist scheint in die Schusslinie zu geraten. Der Rezensent ist froh, dass der Autor seiner Linie treu geblieben ist und vieles im Schweigen verhandelt und das bisweilen dunkle Nichtwissen als Erzählweise heranzieht. Stephan fragt sich, ob Robert, wie seine Schwester, nicht auch kurz davor sein könnte, dem Wahnsinn anheimzufallen. Tod und Schrecken haben schon die Eltern der Geschwister als Mitarbeiter bei einem wichtigen Atombomben-Projekt erfahren, McCarthy bleibe also auch hier seiner Linie treu, so der Kritiker. "Stella Maris" gefällt ihm zwar besser, aber auch "Der Passagier" ist ihm eine Empfehlung wert.
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Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 22.11.2022

Gefällig findet Rezensentin Miriam Zeh den ersten Teil von Cormac McCarthys neuem Roman-Mehrteiler nicht. Ein angerissener Kriminalfall um McCarthys tragischen Helden Bobby Western bleibt ohne Auflösung, Nebenfiguren tauchen unvermittelt auf und verschwinden ebenso, und die Storyline ist nicht stringent, wie noch bei früheren Texten des Autors, kritisiert Zeh. Stattdessen muss sich der Leser mit lakonischen Kneipengesprächen begnügen. Für Zeh markieren sie vor allem das Vergehen der Zeit, auch wenn McCarthys dialogisches Können immer wieder aufblitzt, wie sie meint.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 17.11.2022

Als Meisterwerk mit einigen Abstrichen empfiehlt Rezensent David Hugendick den neuen Roman von Cormac McCarthy, den ersten seit sechzehn Jahren. Erstmal verlangt "Der Passagier" dem Kritiker aber einiges ab: Über 500 Seiten Tod und amerikanische Katastrophen des 20. Jahrhunderts, verpackt in einem "unter stabilem Kafka-Verdacht stehenden Agententhriller". Wir folgen Bergungstaucher Bobby Western, der in den Achtzigern ein Flugzeugwrack samt Leichen findet, ein Passagier fehlt, eine namenlose Staatsbehörde ermittelt. Bobby selbst ist Sohn eines Atombombenbauers, vor allem seine Schwester Alicia, im Sanatorium mit ihren Halluzinationen redend, leidet darunter. Zwischendurch geht es um den Vietnamkrieg, das Kennedy-Attentat oder Verschwörungsparanoia, Freunde mit Cowboynamen treten auf und halten Referate, die klingen wie "Cioran nach der siebten Flasche Bier", resümiert Hugendick. Akribisch genau werden zudem mechanische Gerätschaften beschrieben, stöhnt der Kritiker, der so viel eigentlich gar nicht über "geflanschte Sechskantschrauben" wissen wollte. Ein paar pathetische Passagen kreidet er McCarthy außerdem an. Und dennoch: Die Kunst des Autors, den "gewaltigen Menschheitsschauer" geradezu physisch erfahrbar zu gestalten, zeigt sich auch hier. Und das furiose Finale wird der Rezensent auch nicht mehr vergessen.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 07.11.2022

Über gleich zwei neue Romane von Cormac McCarthy darf sich Christoph Schröder freuen: "Der Passagier" und "Stella Maris" handeln von einen über mysteriöse Wege verschlungenen und verbundenen Geschwisterpaar, Alicia und Bobby. Wir erfahren, dass das Mysteriöse, Apokalyptische, Radikale, das für McCarthy so typisch ist, auch hier wieder auftaucht, diese Düsternis zeigt der Rezensent auch mit eindrucksvollen Passagen aus den beiden Büchern. Während Bobby als Taucher in "Der Passagier" in einen seltsamen Vermisstenfall involviert ist, handelt der zweite Roman von den Therapiegesprächen seiner Schwester, die letztlich Suizid begehen wird. Diese Grenzgänge und Ausnahmesituationen, in denen sich McCarthys Figuren bewegen, lassen manchmal Lücken offen, die der Rezensent nicht ganz einzuordnen weiß, vielleicht habe der Autor den Faden verloren, vielleicht sei es geniale Absicht. Große Themen findet Schröder durchgängig: Gott, Liebe, Wahnsinn. Und das ohne Kitsch und Pathos. Er ist tief beeindruckt und fürchtet sich, dass das die letzten Bücher des fast 90-jährigen Großmeisters gewesen sein könnten.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 29.10.2022

Auch wenn neben Pynchon und Don DeLillo vermutlich am ehesten noch Cormac McCarthy als Anwärter auf eine Great American Novel gelten kann, so erfüllt sich dieses Versprechen für Rezensent Peter Körte nicht. Denn was der 89-jährige McCarthy da nun nach 16 Jahren Pause vorgelegt hat, ist für den Kritiker völlig aus der Zeit gefallen, und zwar nicht im positiven Sinne: Ein "Monster-Roman", eine eigentümliche Mischung aus verschwurbeltem Pathos, unverständlichen "Hardcore-Theorie"-Abhandlungen über Quantenphysik und Mathematik, den großen Katastrophen der 20. Jahrhunderts und sturer "Plot-Verweigerung", versucht der Kritiker zu sortieren - grob geht es um ein inzestuöses Geschwisterpaar; der Bruder Rettungstaucher, die verstorbene Schwester geniale aber wahnsinnige Mathematikerin, deren Halluzination, ein Zwerg mit flossenartigen Händen, im Roman mitspielt. Ja, manchmal schwinge sich McCarthys Prosa in "grandiose" Höhen auf, erkennt Körte an. Aber letztlich fügt sich das alles für den Kritiker nicht zusammen, werde nicht aus glaubwürdigen Figuren heraus entwickelt, sondern nur aufeinandergehäuft, mit dem Anspruch, alle großen Fragen des 20. Jahrhunderts auf einmal zu verhandeln - nur dass nach einem solchen Werk im Grunde eigentlich niemand mehr fragt, meint der Kritiker. Auf den Folgeroman, der im November erscheinen soll, hat er wenig Lust.

Rezensionsnotiz zu Die Welt, 15.10.2022

Rezensent Wieland Freund staunt, wie Cormac McCarthy auf seine alten Tage noch einmal richtig aufdreht. Nicht nur, dass der Autor das Genre wechselt und statt von Cowboys von einem Physiker und einer Mathematikerin erzählt, er wählt auch die Perspektive einer Frau!  Voller Symbolik umkreist der "Gesprächsroman" das Thema der Erbsünde, bietet einen spannenden Plot, der die Figuren auf die Flucht schickt vor "pynchonesken Verschwörungen" oder bloß vor der Schuld des atombombenbauenden Vaters und macht auch sonst keine Gefangene, warnt der Rezensent.