Andreas Maier

Die Familie

Roman
Cover: Die Familie
Suhrkamp Verlag, Berlin 2019
ISBN 9783518428627
Gebunden, 166 Seiten, 20,00 EUR

Klappentext

Am Ende dieses Romans ist der Erzähler Andreas 28 Jahre alt und studiert in Frankfurt am Main, wo er sich unter anderem mit Wahrheitstheorien auseinandersetzt. Andreas Maier erzählt, wie es gerade die Hindernisse in seinem Leben waren, die seinen Protagonisten zu einer derart abseitigen Beschäftigung veranlassten. In seinem ironisch-komisch, zugleich Gefühle nicht aussparenden Duktus sucht er dem auf die Spur zu kommen, was ihn zur Beschäftigung mit der Unterscheidung zwischen "wahr" oder "falsch" bzw. "Lüge" beinahe unweigerlich geführt hat.Die Gründe liegen in der Kindheit: Konflikte des fünf Jahre älteren Bruders mit dem CDU-Vater: "Realpolitik" (der Vater ist Kreistagsabgeordneter) vs. einem ethisch "reinen" "Fundamentalismus" (der Bruder gründet, kaum fünfzehn, den ersten Grünen-Verband in der Stadt mit).
Der Protagonist ist damals zwölf und lernt erstmals, wie offen zutage liegende Wahrheiten von engsten Verwandten dauerhaft bestritten werden. Der Schüler schaut den Diskussionen, etwa im Sozialkundeunterricht oder bei der Blockade vor dem Kasernentor, nur noch zu, ohne einzugreifen, und beginnt sie als Gesellschaftsspiel zu lesen. Für die Universität ist das eine schlechte Vorbereitung. Als Student beginnt der Protagonist zu begreifen, dass Öffentlichkeit auf Unwahrheit, Verdrängung und kollektiver Rationalisierung beruht. Der neue Roman von Andreas Maier konfrontiert den Protagonisten mit dem Riss, der die Welt durchzieht: dem Konflikt von Einzelwesen (einzelner Mensch vor Gott, vor der Wahrheit) kontra Gesellschaft (nicht wahrheitsfähig, aber dennoch genauso existent und unabänderbar). Und erste Erkenntnisse, wonach diese Dichotomie nicht zu heilen ist: dass wir in beiden Sphären existieren.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 11.09.2019

Rezensent Christian Thomas sieht dem Autor Andreas Maier dabei zu, wie er seinen Erzähler den zuvor über mehrere Romane haarklein entworfenen Erzählkosmos fein säuberlich auseinandernehmen lässt, für Thomas der Nachvollzug der Selbstzerstörung einer bürgerlichen Familie. Dass am Ende kein Stein auf dem anderen bleibt, wirkt auf den Rezensenten einerseits wie ein Schock, andererseits wie eine Befreiung. Als literarische wie thematische Trümmerliteratur bezeichnet er daher den Text, aber eine, der vom Autor neben der Abgründigkeit auch allerhand Komik mitgegeben wird. Für Thomas ein "erschreckendes Resümee" der "großen hessischen Saga".

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 24.08.2019

Jörg Magenau muss all die Bände von Andreas Maiers autobiografischem Projekt noch einmal lesen. Das ist der Clou des neuen Bandes, erklärt er, dass er alles, was vorher war und wie es erzählt wurde, infrage stellt. Wenn der neue Roman etwas kunstlos und dokumentarisch daherkommt, als Mischung aus erzählerischen und essayistischen Passagen, ist das für Magenau, ein notwendiges Detail, hebt der Autor mit dem Aufzeichnen von Gespräche und Beobachtungen doch die Welt seiner Familie und seine eigene Welt gekonnt aus den Angeln, Topografien, Besitzverhältnisse, Charaktere und ihre Eigenschaften. Was bleibt, ist laut Magenau die Erkenntnis des Autors, mit seiner Arbeit selbst an einer Lüge mitgestrickt zu haben, einer Schweigegeschichte, die mit ehemalig jüdischem Besitz zu tun hat, mit familiären und juristischen Schweinereien.
Lesen Sie die Rezension bei buecher.de

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 08.08.2019

Rezensentin Marlene Grunert staunt über Andreas Maiers Klugheit. Wie der Autor seine Kindheit in der Wetterau, seine Identität, in mehreren Büchern nostalgisch verklärte, um sie nun zu dekonstruieren, findet sie überraschend und erhellend. In neuem Licht sieht sie Maiers vertraute Familiengeschichte, den Vater, das Haus, die Erfolge. Was sich dahinter verbirgt, Intrige, Rechtsstreitigkeiten, Verschweigen, Antisemitismus, legt der Band laut Grunert offen. Maiers Untergangsshow geht für sie ans Eingemachte.
Lesen Sie die Rezension bei buecher.de

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 08.08.2019

Rezensent Michael Opitz freut sich über einen neuen Teil von Andreas Maiers Wetterau-Saga. Dass der Autor hier auch ernsthafte Töne anschlägt, verbucht der Kritiker als Gewinn: Er liest hier, wie Maier erfährt, dass das Grundstück seiner Familie bis 1937 einem jüdischen Unternehmer gehörte und versucht, die NS-Vergangenheit seiner Familie zu erforschen. Wie er diesen Erzählstrang mit der Geschichte des jüdischen Geschäftsmanns Theodor David Seligmann verknüpft, gefällt Opitz gut. Und wenn Maier seine "absurden" Familenbeziehungen schildert, muss der Kritiker auch herzhaft lachen.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 27.07.2019

Rezensent Paul Jandl ist begeistert von Andreas Maiers neuem Baustein seiner hessischen Familiengeschichte, die laut Jandl immer auch Seelengeschichte Deutschlands ist. Was im neuen Band laut Rezensent ganz harmlos als Erinnerung beginnt, entpuppt sich als gnadenlose Abrechnung mit den Lügen der Elterngeneration. Wie Maier den schönen Schein von Eigenheim, heiler Familie und Zukunftsvertrauen ganz gemächlich und lakonisch dekonstruiert, bis nichts mehr übrig ist als der moralische Totalbankrott, findet Jandl raffiniert.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 26.07.2019

Rezensent Martin Krumbholz empfiehlt Andreas Maiers neuen Roman, Teil seines Werkzyklus' "Ortsumgehungen", im Rahmen dessen der Autor sich an verschiedenen Milieus Deutschlands abarbeitet. In "Die Familie" geht es nun um die gesellschaftspolitische Lage voller Gegensätzlichkeiten in der BRD der 1970er Jahre; im Mittelpunkt der halb-autofiktionalen Handlung steht dabei eine Steinmetzfamilie in Hessen, die herausfindet, dass ihr Grundstück nicht seit jeher Familienbesitz war, sondern ehemals Juden gehörte. Dabei gelingt es Maier laut Rezensent hauptsächlich durch Zuspitzungen und bewusste Stereotypisierung im Stil Molières, die damalige Gemengelage mit ihren "bizarren Argumentationsmustern" und harten politischen Gegensätzen darzustellen. Krumbholz lobt zudem Maiers "entlarvenden Humor", mit dem der Autor diese Gegensätze "zumindest literarisch überwinden" wolle - nur bleiben solche Spaltungen dennoch aktuell, gibt der Rezensent abschließend zu bedenken.

Rezensionsnotiz zu Die Welt, 29.06.2019

Rezensent Richard Kämmerlings kommt der neue Roman von Andreas Maier im Abgleich mit den Vorgängern aus Maiers Zyklus zunächst etwas "selbst-epigonal" vor. Doch dann erkennt Kämmerlings den "Hintersinn" des Titels - das Mafiöse, Halbkriminelle in der Familie (vor allem in Person des juristisch gerissenen Vaters), auf das es der Autor diesmal abgesehen hat. Dass der Erzähler seinen eigenen Augen beziehungsweise Erinnerungen nicht trauen kann, ist für Kämmerlings der eigentliche Kniff des Buches, der zugleich eine Neubewertung der bisher abgelaufenen Familiengeschichte nahelegt. Das scheinbar harmlose autobiografische Projekt Maiers verwandelt sich vor den Augen des verblüfften Rezensenten in die Beschreibung eines Auflösungsprozesses von Identität und Herkunft, und Maier selbst zeigt sich ihm als Erbe Thomas Bernhards.
Stichwörter