Alasdair MacIntyre

Die Anerkennung der Abhängigkeit

Über menschliche Tugenden
Cover: Die Anerkennung der Abhängigkeit
Rotbuch Verlag, Hamburg 2001
ISBN 9783434530886
Broschiert, 209 Seiten, 18,41 EUR

Klappentext

Zwei Tugenden sind es, die den Menschen befähigen, ein gutes Leben zu führen. Die eine ist seine praktische Vernunft, die nach Unabhängigkeit strebt. Die andere aber liegt im Eingeständnis seiner fundamentalen Abhängigkeit.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 19.07.2001

Axel Honneth stellt den Autor zunächst als "gerissenen Provokateur" vor, der aber gleichzeitig auch stets ein "scharfsinniger Analytiker" sei. Doch das vorliegende Buch weist nach Ansicht des Rezensenten einige Schwächen auf. Es geht, wie der Leser erfährt, um Tugendethik in Bezug auf Geschwächte, Kranke, Behinderte, wobei der Autor im ersten Teil des Buchs bemüht sei, zwischen Mensch und Tier weniger qualitative als graduelle Unterschiede aufzuzeigen. Die Ausführungen McIntyres werden von Honneth in aller Ausführlichkeit referiert, bevor er darauf hinweist, dass der Autor im späteren moraltheoretischen Teil des Buchs die zuvor gewonnenen Erkenntnisse überhaupt nicht mehr benötigt. McIntyres Ausführungen über das Reflektierende, die Perspektivübernahme, die mit der Einsicht verknüpft ist, dass man selbst auch einmal in die Rolle des Hilfsbedürftigen geraten könnte, bleiben nach Honneth oft "eigentümlich verschwommen". Der Bezug zur "Idee vormenschlicher Rationalität", wie McIntyre sie im ersten Teil erläutert habe, fehle nun plötzlich.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 02.06.2001

Der Philosoph MacIntyre sucht nach der fundamentalen Bindekraft der Gesellschaft - und macht sie, in Berufung auf Aristoteles, jedoch in Absetzung von den Kommunitaristen, in den Tugenden aus. Die "kardinale Tugend" ist für ihn dabei die "gerechte Großzügigkeit", verankert sieht MacIntyre sie, wie alle anderen Tugenden, in der Biologie des Menschen. Das ist der Punkt, an dem der Rezensent Uwe Justus Wenzel offenbar die meisten Probleme mit dem Buch hat - auf jeden Fall, so sein Argument, ist eine solche Anbindung für die angestrebte, die Abhängigkeit des einzelnen von sozialen Bindungen und Leistungen betonende Sozialethik nicht notwendig. Wenzel stellt die Grundthese von der aus diesen "Schuldnerbeziehungen" des Subjekts gegenüber der Gesellschaft hervorgehenden Asymmetrie unter Metaphysikverdacht. Von der Unabhängigkeit des Einzelnen jedenfalls kann von vornherein keine Rede sein, so MacIntyre. Für die Ethik folgt daraus, im Umkehrschluss, dass "das fürsorgliche Verhältnis zu Behinderten und Gebrechlichen" zur Richtschnur des zwischenmenschlichen Handelns wird.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.04.2001

Andreas Kuhlmanns Reaktion auf das Buch des amerikanischen Philosophen über die grundsätzliche Bedürftigkeit und die daraus resultierenden notwendigen Tugenden des Menschen ist zwiespältig. Er findet die Überlegungen MacIntyres recht "eindringlich" und lobt die Studie als "überzeugend", doch gleichzeitig vermisst er das gewohnte "Talent zur kritischen Diagnose", das er bisher am Autor so schätzte. Und so lobt er zwar insbesondere den Vergleich zwischen Mensch und Tier als "inspiriert und anregend", doch gleichzeitig scheint ihm das Buch "eigentümlich weltfremd", wie er irritiert bemerkt. Bisher habe sich der Philosoph bemüht nachzuweisen, dass es einen Konsens, wie sich Menschen zu verhalten haben, wohl kaum mehr gibt. Dass MacIntyre nun einem "modernistischen Konstruktivismus" erliegt, indem er versucht, normative Grundsätze für das moralische Handeln aufzustellen, überrascht den Rezensenten.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 21.03.2001

Obwohl Hilal Sezgin allerhand Gutes über dieses Buch zu sagen weiß, so sieht sie doch ein großes Problem in diesem Band. Denn bei der These des Autors, dass - anders als bei Aristoteles - jeder Mensch sowohl gebend wie auch bedürftig ist, komme es nirgends zu "nennenswerten Konflikten". McIntyres Darstellung könne man nicht widersprechen, egal welcher Moralauffassung man ist. Nicht mal "zwischen verschiedenen Gütern und Tugenden" kommt es in dieser Vision zu Verteilungskämpfen. Allerdings findet Sezgin die Darstellung des `misericordia`, das anders als das englische `pity` oder deutsche `Mitleid` keinen pejorativen Charakter hat, durchaus "luzide und ergreifend", zumal sich ihrer Ansicht nach in `misericordia` sehr stark eine ausbalancierte Gegenseitigkeit ausdrückt. Doch neben einem Plädoyer für die gegenseitige Abhängigkeit (sowohl zwischen Kindern und Erwachsenen wie auch bei Erwachsenen untereinander) hätte sich die Rezensentin ein stärkeres "normatives Durcharbeiten" dieser Fragestellung gewünscht.