Vorgeblättert

Charles Simmons: Belles Lettres, Teil 2

Obwohl Mrs. Tooling meine Ironie als redaktionellen Vorschlag mißverstanden hatte, überschütteten mich die Redaktionsmitglieder auf dem Rückweg zu Belles Lettres mit Komplimenten. Ed Princeps fand, die Idee sei "ein Knaller". Ben Boards, der Layouter, meinte, man müsse sich zusammensetzen, um die entsprechenden Illustrationen auf Hochglanz zu polieren. Virginia Wrappers sagte, der Artikel "würde eine Menge Leute zurechtstutzen." Nur Mr. Margin zog ein saures Gesicht, und als wir wieder in der Redaktion waren, mußte er mir gar nicht erst sagen, daß er mich in seinem Büro erwartete und mich bat, Platz zu nehmen.
"Wie konnten Sie das nur tun, Frank?"
"Ich war doch nur ironisch", sagte ich.
"Gegenüber einem ... Drahtbesen kann man nicht ironisch sein."
"Das weiß ich jetzt auch, Mr. Margin. Aber vielleicht sorgt die Idee tatsächlich für Aufsehen im Sinn von Belles Lettres. Könnten wir die Sache nicht einfach als Spiel aufziehen?"
"Frank, Sie haben die Strategie von Belles Lettres nicht begriffen, oder besser gesagt die Strategie jeder Zeitschrift, die sich durch Anzeigen finanziert. Es stimmt schon, daß wir auf die Qualitätsunterschiede zwischen einzelnen Büchern hinweisen. Es stimmt auch, daß wir hoffen, auf die zwei oder drei echten Talente aufmerksam gemacht zu haben, die sich im Verlauf von zehn Jahren herauskristallisiert haben. Aber von Woche zu Woche gesehen, betonen wir die Unterschiede möglichst wenig."
"Ich kann Ihnen nicht ganz folgen, Mr. Margin."
"Für jede einzelne Woche gilt: Neues Spiel, neues Glück. Jede Woche halten wir drei oder vier Bücher hoch, damit die Leute in die Buchläden laufen und sie kaufen - oder zumindest das Gefühl bekommen, daß sie sie kaufen sollten. Wir sagen den Lesern nicht etwa: ‚Das Buch hier, das in dieser Woche erschienen ist, ist ziemlich gut, aber warten Sie lieber bis nächste Woche, weil dann ein wirklich gutes Buch erscheint.‘ Verstehen Sie?" 
"Ja, Sir."
"Wenn wir also unseren Lesern beibringen, daß die fünfundzwanzig besten amerikanischen Autoren So-und-so heißen und So-und-so, wie können wir ihnen dann eine Woche später, wenn keiner dieser Autoren ein Buch veröffentlicht, klarmachen, sich ein Buch des sechsundzwanzig besten amerikanischen Autors zu kaufen, oder, um es deutlicher auf den Punkt zu bringen, vom hundertsechsundzwanzig besten Autor in Amerika? Es ist ja schön und gut, das alte Spielchen zu spielen, ob Faulkner besser als Hemingway und Hemingway besser als Fitzgerald war - tote Autoren schreiben nun mal keine Bücher mehr -, aber, wenn ich mich mal Mrs. Toolings Diktion befleißigen darf: Hier geht’s um‘s Geld und um‘s pralle Leben."
"Tut mir aufrichtig leid, Mr. Margin. Aber sollten Sie das nicht mal Mrs. Tooling klarmachen? Ihr geht es doch genau so um den Erfolg von Belles Lettres wie Ihnen."
"Unter anderen Umständen könnte ich das vielleicht. Unter anderen Umständen müßte ich es aber auch erst gar nicht - weil die oder der Verantwortliche sowieso verstünde, was ich gerade gesagt habe. Wenn ich jetzt zu Tool liefe, würde sie sehr genau verstehen, worum es geht - aber sie würde auch schnallen, daß aus den Reihen meiner Redaktion eine Idee gekommen ist, die mich im Grunde blamiert." 
"Ist das jetzt nicht ein wenig ... kraß?" sagte ich.
"Nein. Im Hinblick auf Zeitschriften gibt es noch etwas anderes, was Sie nicht verstehen. Sie sind noch ein junger Redakteur. Sie begreifen eine Zeitschrift aus ihren redaktionellen Inhalten. Aber eine Zeitschrift ist nur ein Vehikel, das sich Werbekunden mieten. Wenn Leser und Werbekunden es wünschten, ließe sich unsere redaktionelle Ausrichtung innerhalb eines Monats verändern. Zusammen mit der alten Ausrichtung würden natürlich auch die Redakteure rausfliegen. Nicht, daß sie sich nicht anpassen könnten. Aber gegenüber der werbetreibenden Industrie müßten sie als Bauernopfer herhalten ..."
In diesem Augenblick verkündete Claire Tippin, Mr. Margins Sekretärin, daß Mrs. Tooling am Telefon sei. Mr. Margin stapfte zu seinem Schreibtisch, als trüge er eine Bleiweste. Ich stand auf, um mich zu verabschieden. Er bedeutete mir, sitzen zu bleiben.
"Ja ... Genau ... Ja ... In Ordnung ... Wenn wir es veröffentlichen, bevor es fertig ist, wird die Sache allerdings sehr viel komplizierter. Jede Pressetussi in der Branche wird hier wegen ihrer Autoren auf der Matte stehen. Ich schlage vor, daß wir abwarten, bis die Sache steht, und dann reiben wir sie der Öffentlichkeit mit geballter Kraft unter die Nase. ... Ja. ... Sein Name ist Frank Page. ... Er ist bereits Redaktionsassistent. ... Verdoppeln? ... Also gut. ... Ja. ... Ja", sagte Mr. Margin und legte den Hörer mit Nachdruck auf.
Er wandte sich wieder an mich. "Sie sollen die Idee ‚exekutieren‘. Und Ihr Gehalt ist auch gleich verdoppelt worden. Damit liegen Sie uneinholbar vor mir."
Ich nickte. Was sollte ich dazu auch sagen?
"Außerdem, wie ich schon Mrs. Tooling angedeutet habe, wenn durchsickern sollte, was wir vorhaben, rennen uns sämtliche Pressetussis und -heinis die Bude ein, laden uns zum Mittagessen ein, zum Abendessen, zu Wochenenden auf dem Land, stellen oder legen sich persönlich zu unserer Verfügung, und alles nur, damit ihre Autoren es schaffen."
"Das klingt gar nicht so übel, wie es klingt", sagte ich.
"Nun ja, Sie sind noch jung", sagte Mr. Margin.

Gleich am nächsten Morgen ließ Mr. Margin die Redaktion in seinem Büro antreten. "Trotz unserer Vorbehalte", sagte er und bezog sich dabei auf die Tatsache, daß die Idee weder von ihm war noch seinen Neigungen entsprach, "sehe ich eigentlich keinen Grund, warum wir die Sache nicht mit Geschmack und Witz durchziehen sollten. Es ist ein Allgemeinplatz, daß eine Zeitschrift nicht per Volksabstimmung herauszugeben ist, aber in diesem Fall wünsche ich mir eine Gemeinschaftsleistung. Die von uns zu erarbeitende Liste sollte sowohl vertretbar als auch originell sein, verantwortungsbewußt, aber nicht verkrampft, sollte gleichermaßen Überraschungen wie feste Überzeugungen wiederspiegeln, auf einem bestimmten Begriff von Ästhetik basieren, aber auch die Ausnahmen akzeptieren, sollte amerikanisch, aber nicht borniert sein, Traditionen ebenso berücksichtigen wie experimentelle ..."
Mit solchen Sachen war Mr. Margin einfach unschlagbar. Es kam natürlich vor, daß er sich in seiner eigenen Rhetorik verhedderte. Aber dennoch kam er schließlich auf den Punkt:
"... Ich möchte also, daß jeder einzelne von Ihnen seine eigene Liste der fünfundzwanzig besten amerikanischen Autoren erstellt. Und ordnen Sie Ihre Wahl bitte in alphabetischer Reihenfolge. Über die Rangfolge eins, zwei, drei, vier dürften wir uns früher, als uns lieb ist, den Kopf zerbrechen. Im Augenblick geht es mir nur um die groben Umrisse Ihrer Vorstellungen. Und noch eins: Weil wir die Sache mit einem Minimum an äußeren Einflußnahmen bewältigen sollten, schlage ich vor, daß aus der Redaktion nichts nach außen dringt." Leichte Unruhe kam auf, und Mr. Margin ließ den Blick dringlich um den Tisch schweifen. "Gehe ich recht in der Annahme, daß einige von Ihnen bereits zum Telefon gegriffen haben?"
Es gab keine Dementis.
"Sei’s drum", sagte er seufzend. "Frank", er nickte in meine Richtung, "ist von seinen regulären Aufgaben entbunden, um die Angelegenheit zu einem zügigen und befriedigenden Ergebnis zu bringen. Bitte übergeben Sie ihm Ihre Listen so bald wie möglich."

Teil 3