Anne Weber

Bannmeilen

Ein Roman in Streifzügen
Cover: Bannmeilen
Matthes und Seitz Berlin, Berlin 2024
ISBN 9783751809559
Gebunden, 301 Seiten, 25,00 EUR

Klappentext

Wo die Stadt aufhört und die Vorstadt anfängt, ist in Paris klar markiert durch den Périphérique, den zu überschreiten Anne Webers Erzählerin bisher kaum in den Sinn gekommen ist. Denn was gibt es dort, in den verruchten Banlieues, außer einem Geflecht aus Schienen, Schnellstraßen und Autobahnen, zwischen denen Lagerhallen, gewaltige Supermärkte und Baustellen und Millionen von Menschen eingeklemmt sind? Außer der so notorischen Not, Gewalt und Armut? Als ihr alter Freund Thierry ihr jedoch vorschlägt, ihn für einen Film durch die Vorstädte des Départments Seine-Saint-Denis zu begleiten, die vor den Olympischen Spielen 2024 einem tiefgreifenden Wandel unterzogen werden, muss sie sich eingestehen, dass sie für die nächste Nähe jahrzehntelang blind gewesen ist. Da sind zum Beispiel der von Schrotthalden umgebene muslimische Friedhof von Bobigny, auf dem ein algerischer Olympiasieger der 1920er-Jahre begraben liegt; die beiden kreisrunden Sozialwohnungsbauten von Noisy-le-Grand, die einander wie gigantische Camemberts gegenüberstehen; und tausend andere von Kolonialismus und Leid, von Hoffnung und Fortschritt erzählende Orte. Und auch Thierry selbst entpuppt sich mit der Zeit als Teil dieser widersprüchlichen, ihrem Blick bislang verborgenen Welt. Anne Weber öffnet sich in "Bannmeilen" dem Unvertrauten und Anderen mitten unter uns und entwirft damit nicht nur das Bild einer komplexen Freundschaft, sondern zugleich die Geschichte einer vielschichtigen Gesellschaft in der so noch nicht gesehenen Vorstadt der Liebenden.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 13.04.2024

Ein eindrückliches, teils romanhaftes, teils essayistisches Buch über die Banlieues hat Anne Weber laut Rezensent Helmut Böttiger geschrieben. Gemeinsam mit der Ich-Erzählerin und ihrem Begleiter, dem algerischstämmigen Filmemacher Thierry, durchstreift der Kritiker das Departement 93 in der Pariser Peripherie, das als sozialer Brennpunkt gilt, in diesem Sommer jedoch außerdem einer der Austragungsorte der Olympischen Spiele sein wird. Feinfühlig beschreibt Weber diese Gegend, lernen wir, sie blickt gemeinsam mit Thierry auf Sozialbauten und Konfrontationen der Bewohner mit der Polizei, lauscht den Warngesängen von Drogendealern und stößt zwischendrin auf das Haus, in dem der Zeichner Uderzo Asterix erfand. Auch die Biografie des äußerst sprachbewussten Thierry spielt eine Rolle in dem Buch, führt Böttiger aus, der von den Beobachtungen, die dieses Buch macht, ebenso beeindruckt ist, wie von der sanften Ironie, mit der sie verfasst sind.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 22.03.2024

Rezensentin Cornelia Geißler lässt sich von Anne Weber die Augen öffnen für einen Ort, der von außen bzw. innen lange Zeit gar nicht als solcher wahrgenommen wurde. Die Banlieues - zu deutsch: "Bannmeilen" galten lediglich als Randgebiete, als Nicht-Ort jenseits einer Grenze, die vom Autobahnring markiert, aber vor allem das war und ist: eine soziale Grenze. In ihrem Roman "Bannmeilen" fragt sich die in Deutschland geborene, aber in Paris lebende Autorin, warum sie diese Grenze in all den Jahren in Paris nie übertreten hat und beginnt schließlich, mehrere Streifzüge durch diese Randgebiete zu unternehmen. Dabei unterhält sie sich zunächst vor allem mit ihrem Begleiter, später auch zunehmend mit den Bewohnerinnen und Bewohnern der Bannmeilen, deren prekäre Lebensverhältnisse sich, wie Weber erfährt, trotz der Veränderungen in ihren Vierteln nicht wesentlich verbessert haben. Eigene Erfahrungen, Reflexionen, Beobachtungen und Gespräche ergänzt die Autorin einerseits mit Fiktion, andererseits mit Recherche. So entsteht ein spannender, informativer, kritischer und äußert anregender Text, der sich irgendwo zwischen Erzählung, Reportage und Selbstbefragung bewegt, so Geißler.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 16.03.2024

Rezensent Felix Stephan hat sich einem jener Streifzüge durch die Pariser Banlieues angeschlossen, die die französische Schriftstellerin Anne Weber derzeit unternimmt, um ihren neuen Roman zu bewerben. Denn genau dort spielt sich das Buch ab, das nach vielen langen Spaziergängen an der Seite eines algerisch-französischen Fotografen entstanden ist. Der Kritiker hat zunächst einige Vorbehalte: Handelt es sich bei den Streifzügen durch die Pariser Peripherie nicht um "Elendstourismus"? Aber die kann Weber offenbar während der Begegnung und auch durch ihr Buch zerstreuen: In den tagebuchartigen Notaten über Begegnungen, Beobachtungen, Architektur und Geschichte der Banlieues macht der Rezensent kaum "Herablassung" oder "Voyeurismus" aus. Vielmehr erscheint ihm die Autorin wahrhaft ergriffen, etwa wenn sie in ihrem Buch an das Schicksal des algerischen Marathonläufers Boughera El Ouafi erinnert, der zwar bei den Olympischen Spielen 1918 für Frankreich die Goldmedaille holte - und nur in diesem einen Moment Franzose sein durfte.
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Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 07.03.2024

Einen produktiven Blick auf die Regionen und die Menschen, die man sonst gerne übersieht, liest Rezensentin Beate Tröger bei Anne Weber: Sie ist gemeinsam mit dem Freund Thierry in den Pariser Banlieues unterwegs, in denen er aufgewachsen ist und immer noch lebt, sie hingegen lebt seit vielen Jahren in Paris selbst. Auf langen Spaziergängen lernt sie "unwirtliche Straßenschluchten" und Wohnsilos kennen, die sie mit "zärtlicher Ironie" schildert, so Tröger. Ihr gefällt, wie Webers Buch sich einer starren Einordnung der Menschen, die dort leben, widersetzt, wie zugewandt sie denen gegenüber ist, denen sonst niemand zuhört. Ein Buch, das von Toleranz handelt und der Frage, wie man miteinander lebt. Die Rezensentin regt es jedenfalls zum genauen Hinschauen und Nachdenken an.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 07.03.2024

Sich dem zu widmen, was sonst niemand sieht, war der Plan Anne Webers für dieses Buch, weiß Rezensentin Sigrid Brinkmann: Die Autorin lebt seit vierzig Jahren in Paris, hat die sozial randständigen Bezirke aber nie genauer beachtet. Das ändert sie jetzt, indem sie gemeinsam mit dem Filmemacher Thierry durch die Banlieus streift: Dort gibt es keine schönen Altbauten, sondern "unansehnliche Neubauten", unwirtliche Plätze und kaum Cafes. Auch die Geschichte Frankreichs, der Algerienkrieg oder ein Durchgangslager für Juden, spielen eine Rolle. Besonders stark sind der Kritikerin zufolge aber vor allem die Passagen, in denen sich Weber mit den Stammkunden des "einzig richtigen Cafés" eines Vororts beschäftigt und vieles über das Leben der Menschen dort und damit auch über die eigenen Privilegien lernt. Ein aufmerksames, genau hinschauendes, aber nie bloßstellendes Buch, schließt die Rezensentin.