Valery Tscheplanowa

Das Pferd im Brunnen

Roman
Cover: Das Pferd im Brunnen
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2023
ISBN 9783737101844
Gebunden, 192 Seiten, 22,00 EUR

Klappentext

Eine Wohnung mit blauem Linoleumboden in einem russischen Kurort bei Kasan, in dem einst Stalin seine Sommer verbrachte. Hierhin kehrt Walja zurück, als ihre Großmutter Nina stirbt. Walja begibt sich auf Spurensuche, versucht zu verstehen, wo sie selbst herkommt. Sie erinnert sich an die Frauen, mit denen sie aufwuchs, grundverschieden, aber einig in ihrer Abscheu gegen jede Abhängigkeit: Da ist die Urgroßmutter Tanja, die Walja als Kind in einer gefährlichen Nacht-und-Nebel-Aktion taufen ließ. Und natürlich Nina mit dem zielstrebigen Gang und dem koketten Kirschmund, die notorisch log und alle um sie herum einen Kopf kleiner werden ließ. Doch sie hatte auch ganz andere Seiten. Und erst viel später erfährt Walja von Ninas hartem Schicksal, von dem sie nie sprach … Walja, die zwischen den Welten lebt, zwischen einem norddeutschen Dorf an der B77 und der Wohnung ihrer Kindheit in Kasan, erkennt immer mehr, wie tief sie diese Leben geprägt haben.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 27.10.2023

Ein "Glanzstück" nennt Rezensentin Undine Fuchs Valery Tscheplanowas Generationenroman, indem die in Russland geborene Autorin von "den Schwächen der Frauen" einer Familie erzählt, "ohne sie zu verraten". Glanzvoll daran ist vieles, lesen wir, zum Beispiel die Form, die Tscheplanowa für ihre Erzählung gewählt hat: Sie erinnert an ein Mosaik - das aus Fragmenten zusammengesetzte, komplexe Bild einer Familie, in dem die Brüche für die vielen Konflikte, die Enttäuschungen, Verletzungen, und all die Auf-, An- und Umbrüche in den Lebensläufen der Frauen stehen können. Diese Umbrüche sind nicht selten bedingt durch politische und gesellschaftliche Umbrüche in ihrer Heimat Russland, lesen wir. Auf diese Weise verwebt Tscheplanowa elegant die individuellen Schicksale mit der Geschichte des Landes. Brillant ist aber auch die Sprache dieser Autorin: direkt, hart, klarsichtig, und zugleich doch voller Sanftmut, Empathie und voller Taktgefühl - im zweifachen Wortsinn, so die hingerissene Rezensentin.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26.08.2023

Rezensent Simon Strauß staunt über den Debütroman der Theaterschauspielerin Valery Tscheplanowa. Denn es handle sich glücklicherweise nicht um einen der vielen autobiografisch angehauchten Schauspielerbücher, mit denen irgendetwas bewiesen werden müsse, freut sich Strauß, sondern um eine behutsame Reflexion über Zeit. Gespiegelt an vier Frauen in der sowjetischen Provinz schreibt Tscheplanowa über ihre Herkunft; auch die Protagonistin kehrt in den Kurort bei Kasan zurück, um ihrer "Prägung" auf den Grund zu gehen. Besonders hebt Strauß dabei die Vorsicht und die Präzision hervor, mit der die Autorin sich ihren Figuren, oft im Erinnerungsmodus, widme. Hin und wieder schiebe sich auch die "sowjetische Verfallsgeschichte" in Verbindung mit der Verzweiflung einer des Kommunismus abrupt beraubten Bevölkerung in den Text. Deutlich wichtiger seien aber die Frauen, deren "Duldsamkeit und Disziplin" Tscheplanowa merklich bewundere. Ein rückwärtsgewandter Roman, der aber nicht sentimental, sondern von einem "lastlosen Wundern" ist, schließt der Kritiker beeindruckt.
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Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 23.08.2023

Rezensentin Christiane Lutz ist vom Erstlingswerk der Schauspielerin Valery Tscheplanowa beeindruckt. Ihr gelingt das "Changieren zwischen dem Konkreten und Abstrakten" mit einer "kargen" aber sehr treffenden Sprache - Tscheplanowa erzählt auf interessante Weise und anhand von einzelnen zusammenhangslosen Episoden vom Alltag einer russischen Familiengeschichte, die vier Generationen umfasst, schreibt Lutz. Es beginnt mit Tanja und ihrer Tochter Nena, die im Sowjetkommunismus leben, in dem jede Form von Individualität bestraft wird, lesen wir. Lena, die Tochter Nenas, siedelt nach einer Romanze mit einem Kriegsveteranen nach Deutschland über, wo ihre Tochter selbstverständlich eine Universität besucht, doch den Bezug zu ihren Vorfahren, und somit dem russischen Kasan, nicht verliert. Die großen Veränderungen in der Politik scheint das Leben der Menschen kaum zu berühren, Glück entsteht beim Pflücken, Einwecken und Grießbrei kochen, bemerkt Lutz. Dass dies ein Debütroman ist, mag die Rezensentin kaum glauben, so "eigen" findet sie den Ton der Autorin.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 17.08.2023

Rezensentin Eva Behrendt rückt Valery Tscheplanowa in den Zusammenhang weiterer literarischer Erstlingswerke von Schauspielern und Schauspielerinnen aus den letzten Jahren. Wie etwa auch Marina Frenk und Edgar Selge gehe es Tscheplanowa in erster Linie um die Erkundung der eigenen persönlichen und familiären Biografie. Dies gelingt ihr laut Behrendt mithilfe einer Konstellation kurzer Erzählfragmente, die um drei Frauen aus unterschiedlichen Generationen - Tanja, Nina und Lena - herum konstruiert sind. Zentrum der Konstellation ist Nina, deren Lebensgeschichte in das Russland der Sowjetzeit führt. Als eine im Berufsleben enttäuschte und im Privaten strenge Frau stellt Tscheplanowa diese Nina dar, führt Behrendt aus. Besonders angetan ist die dem Buch auch insgesamt zugetane Rezensentin von der Art und Weise, wie die Autorin die Komplexität der Geschichte immer wieder in materiellen Details aufscheinen lässt.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 16.08.2023

Rezensent Ulrich Seidler ist beeindruckt: Auf Chronologie pfeift die Schauspielerin Valery Tscheplanowa in ihrem aus autobiografischen Splittern bestehenden Romandebüt. Aber unwahrscheinlich körperlich sind sie für den Kritiker, der förmlich spürt, wie geküsst, gerochen und gekaut wird in diesem Roman. Es geht um Frauen einer Familie aus vier Generationen, die durch "Wurzelfäden und Nabelschnüre" miteinander verbunden sind, so Seidler. Örtlich reichen die Geschichten von der Wolga bis nach Remmels in Schleswig Holstein. Aber alle sind miteinander verflochten. Daran ändert auch der Tod nichts, wie Seidler erkennt.