Milton Hatoum

Zwei Brüder

Roman
Cover: Zwei Brüder
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2002
ISBN 9783518413647
Gebunden, 252 Seiten, 22,90 EUR

Klappentext

Aus dem brasilianischen Protugiesisch von Karin von Schweder-Schreiner. Zwei Zwillingsbrüder entzweien sich aus Eifersucht. Denn sie spüren, wie unterschiedlich die Liebe der Mutter zu ihnen ist. In einem Haus im alten Hafenviertel von Manaus haben sich die beiden Verliebten Halim und Zana, libanesische Einwanderer der zweiten Generation, niedergelassen. Als die Zwillinge geboren werden, ist Halim ohnmächtig gegenüber der besitzergreifenden Liebe seiner Frau. Er lässt zu, dass nach einer fast noch kindlichen Gewalttat das Opfer für fünf Jahre in ein Dorf im Libanon geschickt wird. Was die Rivalität zwischen den Brüdern dämpfen soll, stachelt sie erst recht an. Erzählt wird die Geschichte vom Sohn des indianischen Dienstmädchens, viele Jahre nach den Ereignissen. Welcher der beiden Brüder ist sein Vater: der gewalttätige und impulsive oder der unnahbar seine Rache vollziehende?

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 10.12.2002

Engagiert schreibt Ute Hermanns von dem Land, in dem dieser Roman die Szene abgibt für einen Bruderzwist innerhalb einer arabischen Einwandererfamilie. Besonders die Konstruktion des Romans, in dem die "innerbrasilianische Teilung von Zentrum und Peripherie" verdeutlicht werden, hat es ihr angetan. Brasilien zwischen 1914 und 1970 samt der sehr eigenen "Mischung aus muslimischer und christlicher Glaubensinhalte, arabischer, französischer und brasilianischer Kultur" in der Hafenstadt Manaus, die Hatoum hier per Familiensaga vorführt, hat die Rezensentin offenbar am ehesten fasziniert. Zwar erzählt sie uns auch von den Menschen, an Hand deren Geschichte die Szene entrollt wird, aber wir erfahren dabei wenig über das literarische oder sprachliche Handwerk des Schriftstellers - oder gar seiner Übersetzerin. "Gefühlvoll aber ohne sentimental zu werden", meint Ute Hermanns, "schreibt er von Brasilien." Nur von Brasilien?

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 04.12.2002

Richtig packend findet die Rezensentin Klara Obermüller diese Geschichte eines Bruderzwistes, der letzten Endes die ganze Familie zerstört. Als Leser kann man sich ihrer Meinung nach kaum der Intensität entziehen, die diese Erzählung ausstrahlt: man "bewegt sich auf einen Abgrund zu, ohne auch nur die geringste Möglichkeit zu haben, den Sturz aufzuhalten." Obermüller lobt die Perspektive, aus der erzählt wird: die eines Jungen, der zur zweiten Generation dieser libanesischen Einwandererfamilie in Brasilien gehört und der nicht weiß, welcher der verfeindeten Brüder sein Vater ist. Er ist ein Außenseiter und "diese Position zwischen Distanz und Nähe lässt ihn zum idealen Chronisten werden." Neben dem Zerfall dieser Familie schildert der Autor auch den Niedergang der amazonischen Metropole, in der die Geschichte spielt - das gelingt ihm nach Meinung der Rezensentin ähnlich gut wie das Familienporträt.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 06.11.2002

Der Ausgangsort des Romans von Milton Hatoum hat in Thomas Sträter Assoziationen an den Film "Fitzcaraldo" geweckt. Doch das Manaus, in dem eine libanesische Einwandererfamilie ihr Schicksal findet, ist ein völlig anderer Ort, der laut dem Rezensenten die Entwicklung Brasiliens zum Industriestaat widerspiegelt. Sträter lobt, dass der Autor nicht in eine wilde Exotik verfällt, sondern den "unprätentiösen mündlichen Tonfall, der allen großen Erzählern eigen ist" und der dem Roman "eine eindringliche Genauigkeit und Farbigkeit" verleiht, mit "dezidiertem Stilbewusstsein" verbindet. Am Ende des Buches scheitern sowohl die Eltern als auch die verfeindeten Zwillingsbrüder, von denen der eine sich anpasst und Karriere macht und der andere ein Tunichtgut bleibt, daran, dass "sie den Sündenfall begingen, als Immigranten in der Neuen Welt unter sich zu bleiben". Nur der indianische Mischling, der auch die Geschichte erzählt, erfährt nach Meinung des Rezensenten "eine mögliche Erlösung". Ob sich aus diesen Einsichten auch für Europa Schlüsse ziehen lassen, "wäre zu überdenken", meint Sträter.