Marlene Streeruwitz

Jessica, 30

Roman
Cover: Jessica, 30
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2004
ISBN 9783100744272
Gebunden, 254 Seiten, 18,90 EUR

Klappentext

Eigentlich ist alles bestens. Jessica sieht gut aus, ist jung und intelligent, ein Muster der Generation Golf Zwei. Eigentlich sollte sie nur mit vielen one night stands experimentieren, die sie dann am nächsten Tag mit ihren Freundinnen bespricht. Doch dann erfährt sie die Politik am eigenen Leib und aus "Sex and the City" wird ein C-movie und der Neoliberalismus erotisiert auf Dauer auch nicht. Aber Jessica hat Gegenstrategien: Sie beschließt, ihren Körper zu privatisieren, und lässt die Täter nicht stillschweigend davonkommen. Jessica Somner, 30 Jahre alt, Kulturwissenschaftlerin, Single, ist die Heldin dieser Geschichte.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 31.07.2004

Als ein "klares Zeichen gegen prekäre Machtverhältnisse" hat Andrea Erdinger Marlene Streeruwitz' neuen Roman gelesen. Die dreißigjährige Journalistin ist Jessica titelgebende Heldin und bereits von ihrem Leben ermüdet, das die Rezensentin mit Hinweisen auf die unglückliche Beziehung zu einem Staatssekretär, nächtlichen Fressanfällen und beruflicher Erfolglosigkeit umreißt. Jessica beginnt zu laufen, Hektik und Flucht bestimmen entsprechend auch den Erzählstil der Streeruwitz, meint die Rezensentin, ein atemloser Monolog entspinnt sich um das eigene Leben, Österreich und seine Politik. Andrea Erdinger gefällt's: "Streeruwitz' Erzählung ist politisch im Privaten, fortlaufend, ohne Ende und gerade deshalb hoffnungsvoll."

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 14.07.2004

Leopold Federmair bezeichnet Marlene Streeruwitz etwas abfällig als "fünfzigjährige Feministin, die zahllose Themen und Personen der österreichischen Tagespolitik durchhechelt", und lässt auch sonst kaum ein gutes Haar an ihrem Roman. Das Satzstakkato der früheren Bücher ist zwar verschwunden, nicht aber das "Gestammel und Gerede". mit dem Streeruwitz, so Federmair, die "Wirkungen trivialer Muster der Literatur... transparent zu machen beansprucht". Lesen möchte der Rezensent das allerdings nicht. Dabei sei der Text gar nicht sonderlich anstrengend, dafür aber ärgerlich mit seinen "nebulosen Figuren-Schemen" und der ungefähren Sprache, die "nullassoziativ" alles mit allem verbinde. Und hinter der Erzählerin sei immer - siehe oben - die Autorin zu hören; gemeinsam, schreibt Federmair, bilden sie ein frustriertes "Double der Denunziation" ihrer österreichischen Wirklichkeit. Und was die Technik des inneren Monologs angeht: Schnitzler und Joyce haben's vorgemacht, doch Streeruwitz, urteilt der Rezensent, "verdünnt" es "zum inneren Tratsch über Familie, Freunde, Politik".

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 19.06.2004

Der Rezensent Martin Krumbholz stellt sich vor, wie Marcuse und Godard mit düsteren Mienen anstoßen auf Marlene Streeruwitz' Roman, macht dieser doch ihre Prognosen über den "Warencharakter der Liebe im Spätkapitalismus" aufs Deprimierendste wahr. Mit "Jessica, 30", mutmaßt der Rezensent, versucht Streeruwitz die Fortsetzung ihres beachtlichen Romans "Verführungen" zu schreiben. Allerdings mit einem entscheidenden Unterschied: "Jessica, 30" solle wohl witzig sein, sei es de facto aber eher nicht. Denn Jessicas Selbstporträt einer "modernen jungen Frau in einem modernen Intellektuellen-Beruf" (freiberufliche Journalistin), deren Leben sich in einem Netz verschiedener Halb-Abhängigkeiten (unter anderem von einem bereits liierten Politiker, mit dem sie ein Techtelmechtel hat) abspielt, wirke lediglich wie die Manifestation eines "durchschnittlich unglücklichen Bewusstseins" angesichts einer virtuell tickenden Lebensuhr. Und so wirke auch Jessicas Gegenwehr gegen den Geliebten, von dem sie sich ausgenutzt fühlt, "konstruiert". Die letztendliche "Alternative" zwischen "aufgeklärter Frau" und "weiblicher Subversion" entscheidet Streeruwitz viel zu leichtfertig, kritisiert der Rezensent, schließlich arbeite die Literatur "anders als das Leben, sublimer".

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 04.06.2004

Diese Besprechung handelt von den Schwierigkeiten, ein großes Lob auszusprechen. Es gelinge Marlene Streerurwitz nämlich, so der sich mühende Rezensent Burkhard Müller, für eine schwer zu fassende Daseinsform - die unruhige innere Existenz eines Singles - eine Darstellungsform findet, die ihre eigenen Schwierigkeiten verbirgt. Doch sei der innere Monolog, schreibt Müller, in Wahrheit eine Königsdisziplin - keine andere Form verlange so viel "Form- und Taktgefühl", eine solch "unausgesetzte Anstrengung der Behutsamkeit und Präzision". Um Streeruwitz? Können zu belegen, zieht der Rezensent zwei andere österreichische Meister des inneren Monologes heran - und lässt sie gar nicht so gut aussehen: "Bei Jelinek wird der Kalauer, bei Bernhard die Litanei auf Autopilot gestellt;  (...) Bei Streeruwitz geschieht das niemals. Hier hat man tatsächlich was verpasst, wenn man versehentlich eine Zeile beim Lesen auslässt." Ihr Vorgehensweise ist es, so Müller, die inneren Vorgänge an äußere Begebenheiten zu binden und so das ?assoziative Denken" zugleich zu stören und anzustacheln, auf jeden Fall weiterzutreiben; ?die Einsichten", schreibt er, ?blitzen auf und werden sofort in eine andere Richtung abgelenkt, nichts wird festgehalten" - dafür sorgen schon die Kommata, das wichtigste Stilmittel dieses Romans. Müllers Fazit: ?Es ist ein sehr gutes, mehr als das: es ist ein intelligentes Buch geworden."
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.05.2004

Kolja Mensing hat einen "wirklich anstrengenden und zuletzt recht verbiesterten Roman" gelesen, der ihm aber auch Bewunderung für die Autorin abgenötigt hat: für die Konsequenz der antipatriarchalischen Programmatik ihrer Bücher und deren formal-radikale Umsetzung. Normalerweise, so Mensing, bildet sie die Männlichkeit der Sprache als punktdurchsetztes "Stakkato" von Halbsätzen ab, hier jedoch greift sie stattdessen zum Komma und unterteilt "Jessica, 30" in drei Kapitel - drei lange Monologe, bestehend aus jeweils nur einem einzigen Satz. Im ersten treffen wir die Heldin als Lifestyle-Journalistin und "leicht naive Vertreterin der 'Post-Brigitte-Generation'", im zweiten wandelt sie sich im Laufe einer Affäre mit einem ("hoffentlich frei erfundenen", schreibt Mensing) Politiker aus dem Kabinett von Wolfgang Schüssel in eine Aufklärerin wider die "neoliberale Verachtung", mit der die "Männer im 21. Jahrhundert ihr Recht behaupten, in wen auch immer 'den Schwanz hineinstecken zu können'", um dann im dritten ihrem "antipatriarchalischen Furor" freien Lauf zu lassen. Dass Politiker sich osteuropäische Prostituierte auf Staatskosten kommen lassen, findet der Rezensent glaubwürdig, den Wandel der Erzählerin "zur radikalen Frauenbeauftragten der Generation Golf" findet er dagegen recht gewollt. Zu einfach in Moral und Umsetzung, so könnte man sein Fazit ziehen - aber immerhin mit Wucht.
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