Jenny Erpenbeck

Wörterbuch

Cover: Wörterbuch
Eichborn Verlag, Berlin 2004
ISBN 9783821807423
Gebunden, 120 Seiten, 14,90 EUR

Klappentext

"Ihr Vater habe ihr die Wahrheit erzählt, sagt sie zu Anna. Sie wisse jetzt alles. So, sagt Anna. Und, sagt sie, sie liebe die Wahrheit." Freilich ist diese Wahrheit eine, die nicht leicht zu lieben ist - denn das Mädchen wächst zwar wohlbehütet in einer Stadt auf, die aber wird immer freud- und lebloser, je länger die Zeit fortschreitet. Während das Mädchen Klavier spielt oder sich mit ihrer Freundin Anna unterhält, platzen draußen Reifen, die auch als Schüsse interpretiert werden können. Und während es mit ihrer Amme die Standbilder einer Heiligen aufsucht, verschwinden Bekannte und Freunde, und in den Statuen, die bald die immer leerer werdenden öffentlichen Plätze beherrschen, erkennt es die Freunde ihres Vaters. Je älter es wird, desto fester muß es die Augen verschließen, um nicht mitzubekommen, welcher Art die harte Arbeit ist, die ihr wahrheitsliebender Vater hinter den undurchdringlichen Mauern des Staatsgefängnisses verrichtet. Sie merkt, dass sich viele Geheimnisse um ihr Leben ranken. Und sie ahnt, dass sie keines der Geheimnisse wirklich kennen will.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 12.07.2005

Überaus angetan zeigt sich Rezensent Hans Christian Kosler von Jenny Erpenbecks neuem Roman "Wörterbuch". Er würdigt die Autorin als "Wortkünstlerin", lobt ihre Sprache als "elegant, geschmeidig und frei von allem missionarischen und ideologischen Ballast" und schwärmt von der "merkwürdig anziehenden Transparenz" ihrer Bücher. Angesiedelt in einem "imaginären Niemandsland", einem totalitären System, das Kosler wie eine Mischung aus DDR und südamerikanischer Militärdiktatur anmutet, erzähle Erpenbeck in "Wörterbuch" die Geschichte eines Mädchens, dessen scheinbar behütete Kindheitswelt zunehmend Risse bekommt, je mehr sich ihr geliebter Vater als brutaler Scherge entpuppt. Erpenbecks "zartes Erzählgebilde" lebe von dem Spannungsverhältnis zwischen den Verbrechen des Regimes und den euphemistischen Sprachhülsen, mit denen sie umschrieben werden. "Jenny Erpenbecks kunstvolle Prosa gehört zu einer seltenen Art von Literatur, die das Gruseln lehrt, ohne es darzustellen", resümiert der Rezensent. "Sie versetzt den Leser in einen Schwebezustand zwischen Traum und Wirklichkeit und lässt keinen Zweifel daran, dass hinter beidem stets der Albtraum lauert."

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 31.05.2005

Der künstlich wirkende, infantile Ton, den Jenny Erpenbeck in ihrem neuen Roman "Wörterbuch" anschlägt, besitzt für Kristina Maidt-Zinke "etwas Frühvergreistes", was sie natürlich an Erpenbecks ersten erfolgreichen Roman "Das alte Kind" denken lässt. Die Rezensentin ist jedoch vom neuen Buch der Autorin enttäuscht, dem sie eine gewisse "Kunstfertigkeit" attestiert, die sie aber als glatt, leblos und kalt empfindet. "Poliert wie eine Steinfigur" lautet ihre Charakterisierung von Erpenbecks Sprache, die nur eine Stilebenebesitze: "raunende, symbolbeladene Bedrohlichkeit". Erpenbeck gebe sich nicht damit zufrieden, eine angstbesetzte Kindheitswelt zu rekonstruieren - bis hin zum Spracherwerb, darum der Titel "Wörterbuch", erklärt Maidt-Zinke, sondern siedele die Geschichte darüber hinaus in einem anonymen totalitären Land an, das für die Rezensentin stark an Argentinien erinnert. Der Ort bleibt verrätselt, das Böse vage, stört sich Maidt-Zinke; am Ende aber kippe die Vater-Tochter-Beziehung (der Vater erweist sich als Henkersknecht des Regimes) ohnehin in Richtung "des ollen Ödipus". Das alles ist Maidt-Zinke viel zu plakativ. Spätestens da möchte sie "Kitschalarm" ausrufen.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 17.03.2005

Jenny Erpenbecks Heldinnen stehen wohl nie auf der Gewinnerseite des Lebens, erkennt Gisa Funck. Die junge Frau, die im Mittelpunkt von "Wörterbuch" steht, sei zumindest eine "angeknackste Persönlichkeit". Erpenbeck schildert die Sozialisation in einem totalitären System, das es auf Indoktrination, auf Anpassung, auf Mitläufertum des Einzelnen abgesehen habe: die DDR, in die auch Erpenbeck hineingeboren wurde. "Wörterbuch" sei insofern eine Spurensuche, die "Chronik eines Spracherwerbs", in der man überall auf "Lehrformeln" oder "schmutzige Löcher" stoße und deshalb recht schnell  verschiedene Bedeutungsebenen zu unterscheiden lerne. Auch wenn Erpenbeck eigentlich ein Horrorszenario beschreibt, liest sich das Ganze über weite Strecken hinweg doch völlig harmlos, staunt die Rezensentin, was für sie aus dem "beängstigenden" weil unkommentierten Nebeneinander des faktisch Berichteten und der naiv-kindlichen Perspektive der Erzählerin resultiert. Nicht jeder wird diesen manchmal etwas angestrengten Prosastil mögen, warnt Funck, doch für sie gibt es nur wenige Autorinnen, die eine so "kunstvolle Prosa" schreiben.
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