Constance Debre

Love Me Tender

Roman
Cover: Love Me Tender
Matthes und Seitz Berlin, Berlin 2024
ISBN 9783751809573
Gebunden, 149 Seiten, 20,00 EUR

Klappentext

Aus dem Französischen von Max Henninger. Eine steile Karriere, angesehene Familie, Ehemann und Kind - Constance Debré hat all das und wendet sich davon ab. Sie entschließt sich zu einem Leben, das schon viele Männer vor ihr gewählt haben: Sie scheidet ihre Ehe, widmet sich ausschließlich dem Schreiben, verzichtet auf die materiellen Sicherheiten einer festen Wohn- oder Arbeitsstelle und geht mit immer anderen Frauen ins Bett. Doch anders als so viele Männer will sie den Kontakt zu ihrem Kind nicht abbrechen - das erwirkt ihr Ex-Mann, nachdem er von ihrer Homosexualität erfahren hat. In einem langwierigen Sorgerechtsstreit kämpft sie um ihren Sohn, der sich immer weiter von ihr entfernt. Während sie auf die finale Entscheidung des Familiengerichts wartet, taumelt Debré zwischen einer Vielzahl von Gefühlen: Angst vor dem Verlust des Sohnes neben Akzeptanz für dessen Entscheidung, dem Verlangen nach unverbindlichem Sex und dem Bedürfnis nach engeren Verbindungen, einer tiefen inneren Leere und zugleich einer nie zuvor gekannten Freiheit. Ohne Zurückhaltung und in prägnanten Sätzen ringt die Autorin um Antworten auf Fragen von Mutterschaft, Identität und Liebe und geht dabei hart ins Gericht mit gesellschaftlichen Normen, Glaubenssätzen, bürgerlichen Institutionen und nicht zuletzt mit sich selbst.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 23.04.2024

Einen guten "Schnauze-voll-Roman" liest Rezensent Christoph Vormweg mit diesem Band von Constance Debré. Nach zwanzig Jahren heterosexueller Ehe krempelt eine Pariser Anwältin ihr bisheriges Leben komplett um und gesteht sich und ihrem Mann ihre Homosexualität. Das hat weitreichende Konsequenzen, so Vormweg: ihr Mann bringt sie vor Gericht und wirft ihr Inszest mit ihrem kleinen Sohn vor, um das alleinige Sorgerecht zu behalten. Geordnet ist dann gar nichts mehr im Leben der Erzählerin, die fortan verbissen um ihren Sohn kämpft und ansonsten mit wechselnden Partnerinnen ihre lang unterdrückte Sexualität auslebt. Vormweg sieht hier viele Verweise auf Debrés eigene Biografie, voyeuristisch ist das aber nicht - denn es geht hier nicht um die Darstellung von Sex zwischen Frauen, sondern um die radikale Selbstfindung der Protagonistin. Das schlägt sich auch im "atemlosen" Stakkato-Rhythmus des Erzählens nieder, findet der Kritiker, der diesen, sich in die Reihe der "Late Bloomer"-Romane einreihenden, Band nur empfehlen kann.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 15.04.2024

Mit der Autorin Constance Debré durchschreitet Rezensent Roman Bucheli den "Nullpunkt des Daseins": Die mit ihr quasi identische Erzählerin ist eine verheiratete Anwältin mit einem Sohn, die sich dann aber entschließt, aus diesen Konventionen auszubrechen.  Sie trennt sich, fängt eine Affäre nach der anderen mit Frauen an - und lässt sich das Wort "Hurensohn" auf den Bauch tätowieren, erfahren wir. Zärtlichkeit und Wut laufen in diesem kraftvollen Buch ineinander, das auch von der Familiengeschichte der Autorin inspiriert ist, wie Bucheli erklärt, beide Eltern waren heroinabhängig. Ein "paradoxer Selbstermächtigungstext", in dem sich die Autorin ein neues Gesicht verleiht.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 06.04.2024

"Love Me Tender", der erste der autofiktionalen Romane der französischen Autorin Constance Debré, der ins Deutsche übersetzt wurde, inszeniert einen radikalen Bruch mit jeder Bürgerlichkeit - auch der homosexuellen -, befindet Rezensentin Hanna Kopp. Mit der weiblichen Ich-Erzählerin teilt die Autorin nicht nur ihr Aussehen, sondern auch weite Teile ihrer Biografie: allen voran den Akt radikaler Selbstenteignung, den Debré nach einer erfolgreichen Anwältinnenkarriere durch ihr Outing als lesbisch, die Trennung von ihrem Ehemann und den Sprung in die Selbständigkeit als Schriftstellerin vollzogen hat. Der Roman behandelt diese "Klassenflucht" - Debré entstammt einer gesellschaftlich einflussreichen, wohlhabenden Familie - in eine weder finanziell noch sozial abgesicherte Existenz sowie das bewusst allein geführte Leben als lesbische Frau, zugleich aber den zermürbenden Kampf um das Sorgerecht für den Sohn der Erzählerin und das Warten darauf, das Kind wiederzusehen. Dabei werden grundsätzliche Überlegungen zu Mutterschaft und den damit verbundenen Erwartungen laut - an dieser Radikalität und offenkundigen Wut stört sich Kopp zum Teil. Dennoch ist die Rezensentin von Debrés kämpferischer Suche nach einer neuen Verhältnisbestimmung von Ich und Welt beeindruckt und begrüßt Max Henningers Übersetzung.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 20.03.2024

In Frankreich war dieses Buch ein echter Skandal, weiß Rezensentin Bettina Hartz, und auch in Deutschland dürfte Constance Debrés stark autofiktionaler Text polarisieren: Sie stammt aus gutem Hause, ist verheiratet und hat einen Sohn. Bis sie beschließt, aus diesem Leben auszubrechen, sie verlässt Mann und Sohn, outet sich als lesbisch und sucht mit Sex, mit Exzessen und mit Literatur ihr wahres Selbst, erfahren wir. Besonders überzeugt Hartz, wie Debré die Frage umkreist, welcher Teil der viel beschworenen Mutterliebe echt ist und welcher gesellschaftlich aufgezwungen. Hart, mutig und dennoch sensibel schreibt sie von der Ambivalenz, ihren Sohn "vergessen" zu wollen und dennoch zu lieben, hält die beeindruckte Kritikerin fest.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 14.03.2024

Rezensentin Katharina Teutsch trifft sich in Paris mit Constanze Debré, einst Juristin, heute Autorin und mit Premiers, Präsidenten des Verfassungsgerichts und Resistance-Kämpfern in der Ahnenreihe, höchsten Pariser Kreisen entstammend. Aber Debré, kahl geschoren, tätowiert und mit einem "unsichtbaren Anzug aus Bildungsteflon" gekleidet, sticht heraus - und macht es ihren Gesprächspartnern nicht gerade einfach, wie Teutsch immer wieder feststellen muss. Fragen zur Biografie sind nicht gestattet, dabei scheinen ihre drei zwischen 2018 und 2022 publizierten Romane mindestens autobiografisch geprägt, glaubt die Kritikerin. Aber Debré betont: Bücher seien der Versuch, Biografien loszuwerden, von Aufarbeitung halte sie nichts - "intellektuelle Exerzitien" sind eher ihr Ding. Diesen Duktus erkennt die Kritikerin denn auch deutlich im vorliegenden Band, der einer Ich-Erzählerin folgt, die sich vom Kindsvater trennt und lesbische Beziehungen eingeht und in Folge des Inzest-Vorwurfs vor Gericht um das Sorgerecht des gemeinsamen Sohnes kämpfen muss. Institutionenkritik a la Ernaux oder Eribon spielt hier ebenfalls eine Rolle, meint die Rezensentin, die den Roman abschließend als Zeugnis einer "radikalen Handlungsfähigkeit" empfiehlt.