Charlie English

Wahn und Wunder

Hitlers Krieg gegen die Kunst
Cover: Wahn und Wunder
Aufbau Verlag, Berlin 2023
ISBN 9783351039356
Gebunden, 400 Seiten, 28,00 EUR

Klappentext

Aus dem Englischen von Helmut Ettinger. An einem klaren Wintertag des Jahres 1898 springt Franz Karl Bühler in einen Hamburger Kanal, um seinen inneren Dämonen zu entfliehen. Doch er wird gerettet und geht in die Geschichte ein: Als mit Schizophrenie diagnostizierter Maler der Sammlung Prinzhorn, einer Sammlung von Werken, die in Psychiatrien entstehen und eine neue Generation von Künstlern, darunter Paul Klee, Max Ernst und Salvador Dalí, zu ihren größten Werken inspirieren. Bald nach seiner Machtergreifung jedoch erklärt Hitler - der sich selbst für einen verkannten Künstler hält- der modernen Kunst den Krieg. Die Nazis veranstalten riesige Ausstellungen "Entarteter Kunst" und beschlagnahmen und zerstören die besten Sammlungen in Deutschland. Für Hitler zeigen sowohl psychisch Kranke wie Bühler als auch die moderne Kunst die "Entartung" der Gesellschaft - und er beginnt mit ihrer beider systematischen Vernichtung, die zu seinem ersten Massenmordprogramm führt, der Aktion T4.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 28.07.2023

Nicht überzeugt ist Rezensent Florian Keisinger von Charlie Englishs Versuch, die Agitation der Nationalsozialisten wider "entartete Kunst" und ihr Euthanasieprogramm unter einen Hut zu bringen. Der in England breit rezipierte Band setzt, zeichnet Keisinger nach, bei einer Sammlung von Bildern psychisch Erkrankter an, die Hans Prinzhorn, seines Zeichens Arzt und Kunsthistoriker, ab 1919 anzulegen begann. Prinzhorn wollte aufzeigen, so der Rezensent, dass Kunst nicht nach medizinischen Kategorien beurteilt werden kann, ein Ansinnen, das von den Nationalsozialisten in sein Gegenteil verdreht wurde. Wie English die Kulturkämpfe der 1920er und auch die bereits 1925 in Thüringen einsetzenden nationalsozialistischen "Säuberungen" darstellt, gefällt Keisinger durchaus. Die Probleme beginnen für ihn, wenn der ehemalige Guardian-Journalist die Tatsache, dass einige der von Prinzhorn gesammelten Künstler von den Nazis ermordet wurden, zu einer Parallele zwischen der Agitation gegen moderne Kunst und dem NS-Euthanasieprogramm verallgemeinert. Für Keisinger ist das eine ethisch bedenkliche Verwechslung zweier Ebenen, nämlich von Symbolpolitik und Massenmord.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 07.06.2023

Rezensent Jörg Häntzschel liest hier eine "spannende, originelle Geschichtserzählung" des britischen Journalisten und Autors Charlie English, die ein spezielles Kapitel der NS-Kunstpolitik beleuchtet. English befasst sich der Reaktion der Nazis auf die Kunst psychisch Kranker, lesen wir. Spätestens seit Van Gogh wurden in der Kunstwelt Wahnsinn und Genie als nah verwandt betrachtet, erläutert der Kritiker, deshalb wurde das 1922 veröffentlichte Buch "Bildnerei der Geisteskranken" von der Kunstwelt begeistert aufgenommen. "Avantgarde und Behinderte" galten den Nazis später als gleichermaßen "entartet", die Bewunderung für die Kunst der Kranken als Beweis für die Verrücktheit der Künstler, schreibt der Kritiker. Im Spiel mit "Metaphorik und Eigentlichkeit", Assoziativem und in komplexen Erzählsträngen zeichnet English die Obession der Nazis mit jener Kunst als "Vorlauf" zum fürchterlichen Euthanasieprojekt nach, bei dem in eineinhalb Jahren mehr als 70 000 Menschen starben.
Lesen Sie die Rezension bei buecher.de
Stichwörter