Essay

Für eine neue Netzökonomie

Von Ilja Braun
10.03.2014. Forderungen nach Datenschutz und Urheberrechten basieren beide auf der Vorstellung, dass man Eigentum an seinen Daten hat. Kann das bedingungslose Grundeinkommen eine Antwort auf die Krise des Urheberrechts und des Datenschutzes im Digitalzeitalter sein?
"Facebook's users do not pay, so they are not its clients. They are its merchandise, to be sold to other businesses."
Richard Stallman, Spiegel Online International, 19.07.2011

Die Tatsache, dass US-amerikanische Geheimdienste offenbar die Kommunikation über das Internet flächendeckend überwachen, hat 2013 zu erheblicher Verstörung geführt - insbesondere bei jenen, die das Netz bislang für einen freien und unzensierten Kommunikationsraum hielten. War im Zusammenhang mit der ein Jahr zuvor entbrannten Urheberrechtsdebatte immer wieder die Rede davon gewesen, das Netz dürfe kein "rechtsfreier Raum" sein, so war daraus über Nacht sogar ein grundrechtsfreier Raum geworden. Dass private Unternehmen, insbesondere Internetprovider, an dieser Überwachung kräftig mitverdienen, weil sie von den Geheimdiensten für den Zugriff auf ihre Daten fürstlich entlohnt werden, trug auch nicht gerade zu größerem Vertrauen in den Datenschutz bei.

Es wäre interessant, den Zusammenhang von staatlicher Überwachung und Urheberrecht genauer zu untersuchen. Immerhin steht das Urheberrecht historisch in engem Zusammenhang mit den Druckerprivilegien, die von Fürsten und Königshäusern vergeben wurden, um über die Kontrolle des Publikationswesens auch die Gedanken ihrer Untertanen unter Kontrolle zu behalten. Hier soll es jedoch um einen anderen Zusammenhang zwischen Urheberrecht und Datenschutz gehen: den kommerziellen. Denn die Begehrlichkeiten von Staaten, die ihre Bürger überwachen wollen, sind das eine. Auf einem anderen Blatt steht, dass Daten auch ein Wirtschaftsgut sind.

Beim Urheberrecht geht es einerseits um die Anerkennung der Urheberschaft am jeweiligen Werk, andererseits um die Verwertung, also die Monetarisierung des Inhalts. Beim Datenschutz geht es um den Schutz der Privatsphäre vor dem Zugriff des Staats, aber auch um die kommerzielle Nutzbarmachung dieser Daten durch privatwirtschaftliche Akteure. Urheberrecht und Datenschutz haben also einen gemeinsamen Nenner: Etwas, das von den Betroffenen als Ureigenes begriffen wird, erfährt eine kommerzielle Verwertung.

Wie berechtigt die Klage sein mag, dass im Netz angeblich nicht genug Geld für urheberrechtlich geschützte Inhalte ausgegeben wird, sei dahingestellt. Eine Menge Geld wird jedenfalls für die Daten der Nutzerinnen und Nutzer ausgegeben. Dabei machen personalisierte Werbeanzeigen (targeted ads), die auf dem Nutzungsverhalten der Konsumenten beruhen, den Löwenanteil des Geschäfts aus. Die kleinen blinkenden Werbeflächen im Netz werden an die meistbietenden Anzeigenkunden versteigert. Dies geschieht in automatisierten Verfahren, innerhalb von Sekundenbruchteilen, vermittelt durch spezialisierte Agenturen - so ähnlich wie beim vollautomatisierten Börsenhandel. Würde man diese weit verbreitete Praxis unterbinden (was einige Rechteinhaber fordern, weil solche Werbung natürlich auch auf illegalen Seiten hochploppt), würde die Internetwirtschaft einen ganz beträchtlichen Schaden erleiden.

Die Datensammelwut kommerzieller Firmen ist mittlerweile vielen Leuten fast genauso unheimlich wie die der Staaten. "Meine Daten gehören mir" lautet der Slogan, mit dem Datenschützer und Netzaktivisten ihrer Forderung nach einem möglichst weit reichenden Verfügungsrecht des Einzelnen über die "eigenen" Daten Nachdruck verleihen. Wenn man diesen Anspruch für berechtigt hält, muss man anerkennen, dass er demjenigen der Urheberinnen und Urheber, die über die Verbreitung und Nutzung ihrer Werke selbst bestimmen möchten, nicht unähnlich ist. Interessanterweise wird dieser Zusammenhang jedoch selten hergestellt. Im Gegenteil: Dieselben Leute, die sich für einen besseren Nutzerdatenschutz im Netz aussprechen, plädieren in Sachen Urheberrecht häufig für eine Liberalisierung, für eine Lockerung des rechtlichen Rahmens. Weniger Verbotsrechte, mehr freier Zugang.

Wie passt das zusammen? Wie verhält sich der Anspruch der Urheber, über die Verbreitung der eigenen Werke im Netz selbst bestimmen zu wollen, zu dem der Nutzerinnen und Nutzer, die eigenen persönlichen Daten nicht als Rohstoff für die Werbewirtschaft freigeben zu wollen?

Öffentlichkeit und Privatsphäre

Jürgen Habermas hat in seiner bekannten Arbeit zum "Strukturwandel der Öffentlichkeit" beschrieben, wie sich mit dem Entstehen der bürgerlichen Gesellschaft ein Diskursraum abseits der Sphäre von Wirtschaft und Handel herausgebildet hat. Die Diskussion über Kunst, Literatur und Philosophie, die in den bürgerlichen Salons, aber auch in den Zeitungen stattfand, spielte für die Selbstverständigung der jungen bürgerlichen Gesellschaft eine Schlüsselrolle. Die neu entstehende Öffentlichkeit war das Forum für die Herausbildung kulturellen und politischen Selbstbewusstseins der bürgerlichen Klasse im Prozess ihrer Emanzipation. Sie fand durchaus jenseits der Sphäre des Marktes statt, auf dem dieselben Akteure als Kaufleute und Händler agierten, und war insofern eine "freie" Öffentlichkeit, getrennt vom Bereich des für den Lebensunterhalt Notwendigen. Sie etablierte sich aber auch jenseits der feudalen Sphäre, und es war gerade ihre Unabhängigkeit von jener, die es ermöglichte, dass sie zu einer kritischen Kontrollinstanz avancierte. Herrschaft kam angesichts dieser neu entstehenden Öffentlichkeit zunehmend in die Verlegenheit, sich zu rechtfertigen, zu legitimieren. Die bürgerliche Öffentlichkeit war in ihrem Ursprung also eine kritische Gegenöffentlichkeit.

Aus dieser neuen Öffentlichkeit schälte sich dann gleichsam die bürgerliche Privatsphäre heraus. Die privaten Räume der Bürgerwohnungen entstanden als Schutzräume und Rückzugsgebiete. Der Bürger wurde Herr im eigenen Haus, und so lange er seine Rechnungen bezahlen konnte, war er niemandem Rechenschaft schuldig. Während der öffentliche Raum ein Raum der Verhandlungen und des Ausgleichs von Partikularinteressen wurde, die sich in ihrer Willkür gegenseitig einschränken und kontrollieren sollten, gewann das traute Heim zunehmend an Intimität und Privatheit. Wie man beispielsweise am Briefroman gut sehen kann, wo die psychologischen Erfahrungen aus der Sphäre der Subjektivität in eine literarische Öffentlichkeit einfließen, blieb diese Privatheit jedoch stets auf die Öffentlichkeit bezogen.

Mit der Entwicklung einer Netzöffentlichkeit im Schatten der etablierten Massenmedien hat sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts ein solcher Strukturwandel der Öffentlichkeit wiederholt. In Blogs und Foren entstand eine sich von der bisherigen Medienkultur deutlich abgrenzende Publizität, die sich später auf soziale Netzwerke und Kollaborationsplattformen ausdehnte. War die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger im Paradigma der massenmedialen Kommunikation darauf festgelegt, bloßer Empfänger vorgefertigter, medial vermittelter Botschaften zu sein, entstand mit dem digitalen Wandel eine dialogische Öffentlichkeit. An die Stelle der one-to-many-Kommunikation der Massenmedien trat eine many-to-many-Kommunikation unterschiedlicher, nicht zuletzt auch zivilgesellschaftlicher Akteure. Yochai Benkler, der Habermas der USA, hat diesen Prozess in seinem Buch "The Wealth of networks" schon 2006 treffend beschrieben.

Zugleich haben sich innerhalb dieser neu entstandenen Öffentlichkeit schon nach kurzer Zeit neue Privatsphären herausgebildet. Die private Homepage oder das eigene Profil in einem sozialen Netzwerk gelten zwar, von bestimmten Ausnahmen abgesehen, de jure als öffentlich. Tatsächlich werden diese Räume von den Betroffenen jedoch häufig als private Räume wahrgenommen. Auch die Mediennutzung, etwa das Kopieren von Musik oder Filmen, wird im öffentlichen Raum häufig als rein privates Handeln empfunden, nicht als bewusste Teilnahme an einer Medienöffentlichkeit. Juristisch wird aber zum Beispiel das Anbieten eines Songs in einer Tauschbörse genauso gewertet wie eine kommerzielle Veröffentlichung.


Haste was, dann biste was: bürgerliches Privateigentum

In der bürgerlichen Gesellschaft beruhten sowohl die Öffentlichkeit als auch die Privatsphäre auf dem Privateigentum, das die wirtschaftliche Grundlage der neuen Autonomie darstellte. Erst die Tatsache, dass der persönliche Besitz fremdem Zugriff entzogen blieb, ermöglichte den freien Handel und somit eine Unabhängigkeit von der Alimentation durch Dritte. Im Gegensatz zum unfreien Bauern, der auf den Feldern seines Lehnsherrn arbeitete, dafür einen Anspruch auf dessen Schutz hatte, aber auch über die Früchte seiner Arbeit nicht selbst verfügte, konnte der Bürger sich als unabhängig begreifen, weil er die Grundlagen seiner Existenz selbst in der Hand hatte.

Schon Habermas hat indes darauf hingewiesen, dass die bürgerliche Öffentlichkeit ihren Anspruch, eine allgemein zugängliche zu sein, nie ganz einlösen konnte. Ihre ökonomische Grundlage bedingte von vornherein den Ausschluss nicht-besitzender Schichten. Eine Gesellschaft, aus der angebbare Gruppen ausgeschlossen sind, ist jedoch, gemessen am Gleichheitsideal, keine ganz demokratische Gesellschaft. Und eine Öffentlichkeit, in der Repräsentanten bestimmter Schichten von vornherein nicht vertreten sind, ist letztlich keine. Einfacher gesagt: Wenn Öffentlichkeit etwas ist, das per definitionem allen zugänglich sein soll, dann geht es nicht an, dass dieser Zugang den Besitz von Eigentum voraussetzt, das seinerseits nicht allen zugänglich ist.

Der neue, mit dem Entstehen einer Netzöffentlichkeit einhergehende Strukturwandel schien diesen Widerspruch zunächst zu entschärfen. Denn mit dem digitalen Wandel ist eine zentrale Voraussetzung für die Teilnahme an öffentlicher, massenmedialer Kommunikation weggefallen: der Besitz von Kapital. Wer in den 80er Jahren eine Massenöffentlichkeit erreichen wollte, musste Zeitungen und Fernsehsender besitzen oder zumindest Zugang zu ihnen haben, was einem kleinen Kreis professioneller Journalisten vorbehalten war. Im Netz gab es diese Hürde nicht. Yochai Benkler hat dies 2006 auf zwei wesentliche Voraussetzungen zurückgeführt. Zum einen auf eine grundsätzliche Neutralität der Netze: Einzelne Kommunikationsteilnehmer, die als Inhalteanbieter auftraten, konnten nicht ohne Weiteres von der Nutzung ausgeschlossen werden. Zum anderen darauf, dass die Kommunikationsteilnehmer ihre Endgeräte universell verwenden und also selbst festlegen konnten, zu welchen Zwecken sie diese einsetzten. So konnte eine Sphäre entstehen, die Benkler als "non-market production" bezeichnet, eine marktferne, soziale Öffentlichkeit.

Um die politische Regulierung dieses Kommunikationsraums ist seither jede Menge Streit entstanden, der sich im Wesentlichen um die Bereiche Urheberrecht und Datenschutz dreht. Der gemeinsame Nenner dieser beiden Rechtsbereiche ist wiederum der Eigentumsbegriff. Das Urheberrecht schützt das "geistige Eigentum" in klarer Analogie zum privaten Sacheigentum. Da es Kommunikationsgüter betrifft, ist hier unmittelbar der Bereich der Öffentlichkeit tangiert. Der Datenschutz hingegen schützt die Privatsphäre des Einzelnen, indem er ihm ein Recht an die Hand gibt, über die Verwendung der eigenen Daten zu bestimmen. Er eröffnet einen privaten Schutzraum für persönliche Autonomie im Kontext des Sozialen.

Urheberrecht und Datenschutz

Dass das Eigentum hier der gemeinsame Nenner ist, zeigt sich auch daran, dass in beiden Bereichen der grundsätzliche Mechanismus der eines Ausschlussverfahrens ist. Der Rechteinhaber, also sozusagen der Eigentümer des jeweiligen Schutzgegenstands, kann Dritte von der Nutzung ausschließen. Dies bedingt umgekehrt, dass er den Schutzgegenstand grundsätzlich ökonomisieren kann: Da der Zugang von seiner Genehmigung abhängig ist, kann er diese von einer Gegenleistung abhängig machen. So wie die Einräumung urheberrechtlicher Nutzungsrechte an die Zahlung eines Honorars gebunden werden kann, ist die Genehmigung zur Erhebung und Speicherung privater Daten von der Einwilligung des Betroffenen abhängig. Er erhält dafür ebenfalls eine Gegenleistung, etwa die Möglichkeit, einen bestimmten Dienst zu nutzen, für den er sonst bezahlen müsste. Damit ist die Verkehrsfreiheit von urheberrechtlichen Werken und privaten Daten im Sinne des allgemeinen Güterverkehrs sichergestellt. Obschon immateriell, können Werke und Daten nun gehandelt werden wie andere Wirtschaftsgüter auch.

Auf das Eigentum als gemeinsame Grundlage von Urheberrecht und Datenschutz deutet auch die zunehmende Konvergenz im Anwendungsbereich des Schutzes hin. Die ständige Ausdehnung des urheberrechtlichen Schutzumfangs auf immer kleinere Werkteile führt dazu, dass tendentiell jedes Bit urheberrechtlich geschützt sein kann. Bekanntlich betrifft das Urheberrecht mittlerweile auch Software und Datenbanken, und im Bereich der Musik umfassen sogenannte Leistungsschutzrechte, die dem Urheberrecht verwandt sind, kleinste Werkteile: Schon Samples von wenigen Sekunden Länge sind betroffen. Im Bereich des Datenschutzes ist ein ähnliches Phänomen zu beobachten. Hier führt die Möglichkeit, alle Daten zu verketten und zu verknüpfen, dazu, dass potentiell jedes Datum ein personenbezogenes ist. Urheber- und Datenschutzrecht nähern sich einander also immer weiter an. Sie schützen kaum mehr persönliche Werke oder Daten, sondern nur noch Bits und Bytes.

Daten sind aufgrund ihres qualitätslosen Charakters zur Universalwährung in der Netzökonomie geworden. Fast alle Geschäftsmodelle der digitalen Welt basieren heute direkt oder indirekt auf der Monetarisierung von Daten, als Ware oder Produktionsfaktor. Constanze Kurz und Frank Rieger haben dies in ihrem "Datenfresser"-Buch anschaulich beschrieben. Von personalisierter Werbung, für die pro Klick gezahlt wird, war oben schon die Rede. Wir wissen auch, dass unsere Facebook-Profile einen zu beziffernden Wert haben, der umso höher ist, je mehr Beziehungen, je mehr "Freunde" wir haben. Wir wissen, dass Datensätze miteinander verknüpft und in vielfachen Variationen verkauft werden. Je sensibler solche Daten sind, desto lukrativer sind sie. Portale, auf denen Nutzer medizinische Daten hochladen können, um sie mit Hilfe verschiedener Tools zu analysieren und mit den Inhalten großer Datenbanken abzugleichen, sind ein riesiges Geschäft. An solche von den Nutzern selbst gefütterte Datenbanken kommt eine klassische klinische Studie nicht mehr heran. Ihr ökonomischer Wert für die Pharmabranche liegt auf der Hand.

Auf einer Vielzahl von Internetseiten finden sich sogenannte Tracking Cookies, die Daten an spezialisierte Drittanbieter senden, welche das Surfverhalten der Nutzer über verschiedene Seiten hinweg verfolgen. Manche bekannten Webseiten erlauben mehr als 200 Werbefirmen gleichzeitig, ihre Nutzer auszuspähen. Eigentlich gibt es in der EU eine Richtlinie, die vorschreibt, dass der Einsatz solcher Spähdateien zustimmungspflichtig sein muss. Aber bislang hat die Bundesregierung die Vorschriften nicht in deutsches Recht umgesetzt. Dafür überlegt die Mozilla Foundation derzeit, Nutzern ihres Firefox-Browsers die Möglichkeit zu eröffnen, den Zugriff der einschlägigen Werbesammel-Server zu blockieren. Als das bekannt wurde, hat es sogleich zu einem Aufschrei in der Werbewirtschaft geführt.

Oder nehmen wir das Beispiel Google. Google ist im Wesentlichen ein Werbeunternehmen: Die Firma lebt davon zu wissen, was gesucht wird, und die Suchbegriffe mit entsprechenden Werbeanzeigen in den Ergebnissen zu verknüpfen. Bekanntlich speichert Google diese Daten für 18 Monate, wenn auch ohne Personenbezug, um sie zu analysieren, zu aggregieren und seine Schlüsse daraus zu ziehen. Welche, verrät das Unternehmen nicht. Die Algorithmen, die neben den nutzergenerierten Daten das eigentliche Kapital der erfolgreichsten Firmen darstellen, bleiben als Geschäftsgeheimnis, also wiederum als eine Art Privateigentum, der Öffentlichkeit entzogen. Wir wissen nicht genau, was Google alles mit den Nutzerdaten anstellt, aber angeblich spekuliert das Unternehmen mittlerweile auf Basis der von Nutzern generierten Daten an der Börse. Aufgrund der immensen Reichweite soll Google in der Lage sein, anhand einer Analyse von Suchanfragen die Kursentwicklung von Aktien vorherzusagen.

Google hat sich übrigens auch ein Patent auf ein Technologie zur dynamischen Bepreisung elektronischen Contents gesichert. Mit Hilfe eines solchen Systems kann ein Shopbetreiber unterschiedlichen Kunden für dieselben Produkte unterschiedliche Preise anzeigen - je nachdem, wie viel diese vermutlich zu zahlen bereit wären. Das wird von einem Algorithmus berechnet, auf der Grundlage des Surfverhaltens. Vergleichbare Techniken werden von einer Vielzahl von Shops eingesetzt. Deshalb sind die Preise im Internet manchmal günstiger, wenn man über eine Preisvergleichsmaschine sucht, als wenn man die Seiten der jeweiligen Shops direkt aufruft.

Und all dies ist erst der Anfang. Mittlerweile gibt es Eye-Tracking-Technologien, die auf Infrarotbasis die Augenbewegungen der Nutzerinnen und Nutzer vor dem Bildschirm erfassen. So wird es beispielsweise möglich, einen Text herunterzuscrollen, ohne die Maus oder die Tastatur zu bedienen. Aber genauso kann gemessen werden, wohin der Nutzer schaut - ob er also zum Beispiel eine eingeblendete Werbung überhaupt wahrnimmt oder nicht. Aus pay per view wird damit in nicht allzu ferner Zukunft pay per gaze: Werbetreibende werden nicht mehr den bloßen Seitenaufruf vergüten, sondern die Sekundendauer, die ein Nutzer tatsächlich eine bestimmte Werbung anschaut. Es ist leicht vorstellbar, dass darüber hinaus auch die emotionale Reaktion gemessen werden kann, die sich etwa in einer Weitung der Pupillen ausdrückt. Mit einem Gadget wie der angekündigten Google-Brille namens "Google Glass" wird es dann möglich sein, nicht nur das bewusste Verhalten, sondern auch die unbewussten, emotionalen Reaktionen eines Nutzers zu registrieren, beliebig lange zu speichern, sie mit anderen Daten zu verknüpfen und zu monetarisieren.

In Frankreich gab es zeitweise die Überlegung, die Datensammel-Aktivitäten der großen Internetunternehmen mit einer besonderen Steuer zu belegen. Unternehmen, die besonders viele Nutzerdaten erheben, sollten mit dieser Steuer in gewissem Rahmen zu einer Kompensationsleistung gezwungen werden. Schließlich erklärte Google sich bereit, 60 Millionen Euro für Online-Projekte der französischen Verlage zur Verfügung zu stellen. Mit dieser Beruhigungspille für seinen größten Lobbygegner gelang es dem Konzern, das Gesetz zu verhindern. Was genau in dem Abkommen zwischen Google und den Verlagen steht, ist geheim. Damit bleibt es der demokratischen Kontrolle entzogen - was man von einer Steuer nicht hätte behaupten können, wie immer man zu einer solchen Steuer stehen mag. Auch in Italien gab es schon mehrfach Pläne für eine Art Google-Steuer. Zuletzt hat die Mitte-links-Partei PD im November 2013 vorgeschlagen, Unternehmen wie Google, Amazon und Yahoo vorzuschreiben, dass sie ihre Werbung nur noch über eine in Italien selbst steuerpflichtige Agentur verkaufen dürfen.

Anfang 2013 hat John Rodgers, US-Botschaftsrat für Wirtschaft, auf einer Veranstaltung in Berlin die Pläne für eine neue EU-Datenschutz-Grundverordnung heftig angegriffen. Daten bedeuteten Geld, zitiert das Branchenmagazin heise online den Diplomaten. Es gehe um Milliarden von Euro, die zwischen beiden Kontinenten flössen. Ganz unverblümt warnte Rodgers die Europäer davor, "einen Handelskrieg anzuzetteln". Kein Zweifel: Aus US-Sicht sind Daten nichts als käufliche Ware.

Die gesamte Netzökonomie würde nicht mehr funktionieren, wenn Datenschutz im Netz funktionieren würde. Wenn die Nutzer von Google oder Facebook diesen Unternehmen untersagen könnten, die Daten, die sie ihnen zur Verfügung stellen, zu speichern oder zu nutzen, wären deren Geschäftsmodelle dahin. Denn wie alle Geschäftsmodelle, basieren auch diese auf Knappheit. Knapp sind in der Netzökonomie nicht die Inhalte, sondern die Nutzerdaten. Sie sind es, die in anonymisierter und aggregierter Form verkauft werden. Und zwar nicht von den ursprünglichen Produzenten, also den Nutzern, sondern von großen Firmen, die sich diese Daten zunächst aneignen. Oft genug gegen den Willen der Nutzer.

Damit soll übrigens nicht gesagt sein, die Anbieter datenbasierter Dienste würden keine eigene Leistung erbringen. Natürlich bietet beispielsweise eine Suchmaschine eine grandiose Leistung an. Aber sie kann dies wirtschaftlich profitabel nur tun, weil sie nichts dafür zahlen muss, wenn die Nutzer Daten erzeugen, indem sie Suchbegriffe eingeben und auf Ergebnislinks klicken. Und es ist gerade diese Datenbasis, die eine Suchmaschine erfolgreich macht. Denn die Analyse dieser Datenbasis stellt den Ausgangspunkt für die ständige Weiterentwicklung der zugrundeliegenden Algorithmen dar.

Man erkennt hier leicht die Parallele zum Urheberrecht: So wie Urheber ihre Nutzungsrechte an Verwerter abgeben, die dann mit deren Monetarisierung Geld verdienen, die Urheber aber nur unzulänglich an den Erlösen beteiligen, so verdienen große Internetfirmen Geld mit den Nutzern, ohne dafür eine adäquate Gegenleistung anzubieten. Denn natürlich ist der kostenlos zur Verfügung gestellte Dienst ökonomisch weniger wert als der Pool von Nutzerdaten, den das Unternehmen sich aneignet, wenn sein Angebot Anklang findet. Wäre dem anders, würde es sich tatsächlich um ein Äquivalenzverhältnis handeln, könnten diese Firmen schließlich keine Gewinne machen. Das schließt übrigens nicht aus, dass der einzelne Nutzer den Deal "Meine Daten gegen Euren Dienst" subjektiv als fair empfinden mag. Zumindest, so lange er nicht genau weiß, mit welchen sonstigen Daten die seinen verknüpft und an welche Unternehmen sie für welche Summe weiterverkauft werden. Vom Zugriff der Geheimdienste ganz zu schweigen.

Daten als Treibstoff der Netzökonomie

Ist "Enteignung" ein hässliches Wort? Jedenfalls hat es etwas von Enteignung, wenn Urheber gezwungen werden, die Rechte an ihren Werken aus der Hand zu geben, um überhaupt irgendeine Gegenleistung für ihre Arbeit zu erhalten. Und wenn Nutzer gezwungen werden, ihre persönlichen Daten wegzugeben, um alltägliche Dienste nutzen und damit an der digitalen Gesellschaft überhaupt erst teilhaben zu können. Oder wenn man zur Arbeit geht, dem Unternehmen die eigene Kreativität und Leistung zur Verfügung stellt, das Unternehmen reich macht und als Gegenleistung nur einen verschwindend geringen Anteil dieses Reichtums als Lohn ausgezahlt bekommt.

Urheberrecht und Datenschutz stehen, bezogen auf die Knappheit dessen, was als Ware verkauft wird, allerdings oft in einem komplementären Verhältnis zueinander. Der kostenlose Zugang zu Inhalten oder zu Diensten, die urheberrechtlich geschützte Inhalte vermitteln oder auffindbar machen, wird nämlich häufig mit einer Kommerzialisierung der Nutzerdaten erkauft. Auch YouTube verdient letztlich nicht an der Verwertung urheberrechtlich geschützter Musikvideos, die von Nutzern hochgeladen werden, sondern daran, Daten über das Nutzerverhalten auf der Plattform zu sammeln. Und Facebook verdient nicht an den Inhalten, die Nutzer in ihre Profile einstellen, jedenfalls nicht im klassischen Sinne an der Verwertung von Nutzungsrechten an diesen Inhalten (obwohl Facebook sich diese auch einräumen lässt). Sondern daran, dass user den Like-Button anklicken oder gerade nicht anklicken und dadurch Informationen darüber preisgeben, was ihnen "gefällt" und was nicht. Vor allem aber, welche anderen Webseiten außerhalb von Facebook sie besucht haben. Denn auch das erfährt das Unternehmen jedes Mal, wenn irgendwo ein "Like"-Button eingebunden ist.

Gleichwohl benötigt die Netzökonomie stets auch Inhalte, nämlich als Treibstoff für die Datenproduktion der Nutzer, die dann kommerziell verwertet wird. Ein großer Teil dieser Inhalte ist urheberrechtlich geschützt, was bedeutet, dass die Rechteinhaber seine Verbreitung blockieren könnten. Deshalb herrscht in der digitalen Welt eine tiefe Feindschaft zwischen der klassischen Medienindustrie und den Internetunternehmen. Und während die Rechtelobby den Internetaktivisten, die für eine Liberalisierung des Urheberrechts streiten, entgegenhält, sie seien die nützlichen Idioten von Google & Co., kontert die Netzwirtschaft mit dem Vorwurf, das Urheberrecht nütze den Autoren sowieso nichts, und statt Inhalte zu blockieren, solle man sich lieber neue Wege ausdenken, diese Inhalte zu monetarisieren.

Die traditionellen Verwerterindustrien binden sich in diesem Streit also die Urheber vor den Bauch, die Internetwirtschaft schiebt die Interessen der Nutzer an einer "freien" Öffentlichkeit vor. Im Grunde ist jedoch der Anspruch der Nutzer, über die eigenen Daten selbst zu bestimmen, mit der Forderung der Urheber, über das Schicksal ihrer Werke selbst entscheiden zu wollen, durchaus vergleichbar. Beide möchten nicht, dass ein Gut, das als Ureigenes begriffen wird, einer unkontrollierbaren ökonomischen Verwertung zugeführt wird, auf die sie keinen Einfluss haben und die sie nicht kontrollieren können.

Zwischen Traum und Tat

Man könnte den Konflikt um das Urheberrecht mit einer ganz einfachen Operation lösen: Urheberrechtlich geschützte Werke werden kostenlos zur Verfügung gestellt. Man könnte auch alle Datenschutzprobleme auf einen Schlag lösen, indem man die Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten grundsätzlich verbietet und stattdessen die Nutzer wieder für den Zugang zu Inhalten und Diensten zahlen lässt.

Da beides unbefriedigend klingt, hier eine dritte Alternative: Man schafft eine nicht-kommerzielle öffentliche Infrastruktur, bei der Urheber Geld dafür erhalten, dass sie ihre Werke frei zugänglich machen, wobei keine Nutzerdaten gespeichert werden. Sowohl die Inhalte als auch das entsprechende Portal müsste dann aus anderen Quellen finanziert werden. Die Bezahlung der Urheber dürfte also nicht von Lizenzzahlungen der Nutzer abhängen, und der freie Zugang zu dem betreffenden Dienst dürfte nicht auf dem Handel mit Nutzerdaten basieren. Man müsste neue Geldquellen auftreiben. Aber wäre das nicht besser als jetzt, wo Nutzer ihre Daten aus der Hand geben, um Zugang zu Inhalten zu bekommen, deren Urheber dabei häufig leer ausgehen?

Vielleicht schon, wenn man voraussetzt, dass die Bedürfnisse der Betroffenen im Mittelpunkt stehen. Dass es also beim Umgang mit Nutzungsrechten an geschützten Werken und mit persönlichen Daten der Nutzer um so etwas wie das Gemeinwohl geht, um die beste Lösung für alle. Eine Gesellschaft, die eine reiche kulturelle Sphäre und zugleich ein freies Internet vor Augen hat, könnte sich eine Lösung einfallen lassen, die den Interessen der Betroffenen Rechnung trägt. Eine Gesellschaft hingegen, die das Internet in erster Linie als Wirtschaftsraum betrachtet, kann an solchen Lösungen naturgemäß kein Interesse haben.

Anders gesagt: Wollte man Urheberrecht und Datenschutz im Netz wirklich durchsetzen, gäbe es das Netz, wie wir es kennen, nicht mehr, da die Wertschöpfung in diesem Netz darauf basiert, dass sämtliche Daten möglichst ungehindert fließen können. Wie Louis Paul Boon sagte: Zwischen Traum und Tat hat der Herrgott Gesetze gestellt und praktische Schwierigkeiten.

Ilja Braun

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Dieser Text ist ein Auszug aus Ilja Brauns neuem Buch "Grundeinkommen statt Urheberrecht? Zum kreativen Schaffen in der digitalen Welt", das diese Woche im Transcript Verlag erscheint.

Im Rahmen der Buchmessen-Reihe "Leipzig liest" stellt Ilja Braun das Buch im Gespräch mit dem Medienexperten Heiko Hilker vor: 15. März 2014, 20 Uhr, Tapetenwerk Leipzig, Coworking Space Raumstation, Haus K, 2. OG, Lütznerstr. 91, 04177 Leipzig. Mehr Infos hier.