Vorgeblättert

Muhammad al-Bissati: Häuser hinter den Bäumen. Teil 3

10.02.2005.
3

Amina setzte sich auf einen kleinen Teppich, den sie aus dem Schlafzimmer geholt und auf die Schwelle gelegt hatte. Neben sich stellte sie ein silbernes Tablett mit dem Teekrug und einer Porzellantasse darauf. Die Frauen aus der Gasse scharten sich um sie. Eine von ihnen holte ihr Kind von der Schulter herunter und setzte es auf den Teppich, wofür Amina sie schalt. Sie schenkte Tee in die Tasse und hob diese mitsamt der Untertasse zu ihren Lippen. Die Frauen befühlten den dicken flauschigen Teppich.

"Sie hat hübsche Sachen", kommentierte eine.

"Sie hat alles."

"Alles stammt aus dem Ausland", erläuterte Amina. "Alles mögliche, dies und jenes. Ein ganzer Satz Teetassen, ebenso Kaffeetassen. Ein Bettvorleger. Ihr Fuss berührt nicht einmal den Boden. Danach zieht sie sich die Plüschpantoffeln an." Sie wackelte mit den Füssen, damit alle die blauen Pantoffeln bewunderten. "Die trägt sie mit dem blauen Nachthemd. Die rosa Pantoffeln dagegen trägt sie mit dem rosaroten Nachthemd. Umm Muhammad kommt jeden Freitag vom Gutshof, um ihr die Fersen mit Bimsstein zu massieren. Los, kommt mal!"

Sie stürmte nach drinnen, die Frauen hinterher. Sie kam nochmals zurück und nahm das Tablett mit dem Teekrug. Vom Hof führte sie sie zum Schlafzimmer. Bei der Tür des Hinterzimmers hielten sie inne und fragten mit Gesten, ob sie da drin sei. Amina nickte. Doch als sie sich der Tür näherten und ihre Ohren daran hielten, würde sie wütend.

"Frau Saadija", flüsterte eine.

Amina schob die Frauen weiter und drängte sie zur Aussentür, doch sie entschlüpften ihr und liefen zum Schlafzimmer. An der Schwelle blieben sie entgeistert stehen. Der Raum schwamm in ruhigem blauem Licht, wie das Himmelsgewölbe. Lange blaue Vorhänge fielen von der Decke bis zum Fussboden und verhüllten die finsteren Lehmwände. Durch ein breites Fenster in der gegenüberliegenden Wand fiel das Morgenlicht herein; der Vorhang milderte die Helligkeit, die in blau zerschmolz. Der Fussboden war mit farbigen Matten ausgelegt, auf denen runde Teppiche lagen. Das Bett stand mitten im Zimmer. Die Vorhänge am Kopfende waren hellblau, das Moskitonetz reichte bis zum Fussende. Sitzkissen und eine lange Couch standen in einer Ecke, daneben eine Wasserpfeife, ein kleines Kohlenbecken und, direkt an der Wand, ein Tischchen. Der Schrank bedeckte eine ganze Wand. Über der Kommode hing ein grosser ovaler Spiegel und ein Bild von Mussaad im Goldrahmen. Er war barhäuptig und trug einen Anzug mit Krawatte und Tüchlein in der Jackettasche. Sein Haar war zur Seite gekämmt.

"Onkel Mussaad. Mein Gott, ich habe ihn nicht erkannt", rief eine der Frauen, während sie das Bild betrachtete.

"Und ihre Sachen, Amina?"

"Welche Sachen?" fragte sie zurück. Sie spürte genau, dass man sie aushorchen wollte. "Die Schlüssel hat Mussaad."

"Und die Kleider? Das grüne, das gelbe, das rote?"

"Und das, das so weit geöffnet ist?"

"Bitte, Amina, lass es uns sehen."

"Eines, das weit geöffnet ist?"

"Sie hat es immer oben auf dem Dach getragen. Es lässt alles nackt. Die halbe Brust, die Arme, die Schultern."

Amina betrachtete die Frauen misstrauisch. Sicher hatten sie gesehen, wie sie am frühen Morgen zwei Bündel vor ihren Mann auf den Esel packte.

Eine der Frauen fummelte an der Rückseite des Bettes herum und fragte: "Hier also hat sie mit diesem Nichtsnutz geschlafen?"

Die Frage machte Amina wütend. Sie fauchte sie an und schob sie allesamt hinaus.

Das ganze Leben des Hauses schien sich im Schlafzimmer abgespielt zu haben. Auf dem Hof fanden sie nichts als ein Waschbecken in einer Ecke, einen umgestürzten alten Wasserkrug und einen zur Hälfte mit Maiskolben gefüllten Sack. Im Gästezimmer standen zwei hölzerne Sofas mit Matten darauf und drei Rohrstühle.

Draussen setzten sie sich auf die Erde, Amina zu Füssen, die auf der Schwelle thronte. Sie kannte jede einzelne. Einige waren Freundinnen aus Kindertagen. Bis zu ihrer Heirat hatte sie in diesem Haus gelebt. Jedesmal, wenn ihr Bruder sich an sie wandte, habe sie gewusst, dass etwas Schlimmes vorgefallen war, erzählte sie. Am Tag, als er seine erste Frau heiratete, hatte sie Haus und Mann verlassen und war gekommen. Eine Woche lang war sie bei ihnen geblieben, hatte geputzt, gekocht, gewaschen und im Gästezimmer geschlafen. Sogar Handtücher und Unterwäsche habe sie für sie gewaschen, dieses miese Drecksweib. "Und am Ende hat sie mich sogar noch durchsucht, bevor ich ging." Sogar die beiden Stücke Fleisch, die Mussaad ihr für die Kinder mitgegeben habe, hätte sie mehrmals umgedreht.

"Es ist dein Haus, Schwester. Das Haus von deinem Vater und deinem Bruder."

Amina zog die Pantoffeln aus, legte sie neben sich und hockte sich auf die Schwelle.

"Und die, deren Name vergessen sei, schmeisst mich am Hochzeitstag aus dem Haus. Nach der Trauung steh ich da auf dem Hof und denke daran, ein paar Tage zu bleiben, um ihnen zu helfen. Die Kinder waren auch dabei, und mein Mann hatte den Esel im Viehgehege festgebunden. Da hör ich sie zu Mussaad sagen: Etwa hier im Haus? Sie schlafen im Gästezimmer, beruhigt Mussaad sie.

Etwa hier im Haus? Wo sollen sie denn sonst hin? Zu sich heim. Was spricht dagegen? Die Kinder stehen neben mir und halten sich an meiner Gallabija fest. Mein Mann schliesst das Tor zum Viehgehege und kommt auf den Hof. Da hört man ganz laut ihre Stimme: Ich sag s ihr schon selber, sie soll sich verziehen.

Als sie die Schlafzimmertür öffnet, fällt Licht auf den Hof. Sie steht da auf der Schwelle, fast nackt. Durch das dünne Nachthemd dringt das Licht. Wir alle, mein Mann, die Kinder und ich, ziehen uns in die Ecke zurück.

Amina, nimm deine Kinder und geh heim! Sie reicht uns ein Päckchen. Hier sind ein paar Süssigkeiten für die Kleinen.

Wir sind erst spät in der Nacht, kurz vor Sonnenaufgang, bei uns zuhause angekommen. Danach hab ich ihr Haus nie mehr betreten. Seine erste Frau machte, wenn er mit ihr schlief, ein Riesenspektakel, von dem die ganze Gasse aufgewacht ist."

"Das brauchst du uns nicht zu erzählen!"

"In der Woche, die ich bei ihnen war, hab ich es mit eigenen Ohren gehört. Sie hat Sachen gesagt! Woher sie die bloss hatte? Am Morgen seh ich sie dann im Bett, dürr und verdreckt wie eine Geiss. Dann kommt sie zur Tür, um sich ihr Haar zu kämmen. Mein Gott, als ob das Gezeter die ganze Nacht durch nicht genügt hätte. Die zweite hat das Haus ganz verschlossen gehalten. Die wollte keine Menschenseele bei sich. Mit ihrem Gesundheits- und Hygienefimmel und ihrer hellen Haut. Armer Mussaad."

"Aber er hat sie nicht umgebracht, Amina."

"Er wird es tun. Wo sollte sie auch hingehen? Ich kenne Mussaad. Bevor der irgendwas tut, überlegt er gründlich. Nimm an, er hätte sie gleich getötet und dann erst nach dem Burschen gesucht. Bevor er ihn gefunden hätte, wäre er von der Polizei geschnappt worden, und der Bursche wäre entkommen. Er wird den Burschen zuerst töten."

"Aber dann wird ihn die Polizei festnehmen, und sie wird doch entkommen."

"Wo soll sie denn hin? Bevor die Polizei kommt, schneidet er ihr die Gurgel durch. Das braucht nicht lang."


Mit freundlicher Genehmigung des Lenos Verlages

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