Vorgeblättert

Leseprobe zum Buch von Giwi Margwelaschwili: Officer Pembry. Teil 3

10.09.2007.
"Wissen Sie", sagt er und seine Stimme klingt dabei ziemlich dumpf und heiser (er muß sehr erregt sein): "Ich ? Ich ? möchte jetzt doch lieber Ihre Hilfe in Anspruch nehmen."
"Aha!" rufe ich (ein bißchen empört, doch auch zufrieden). "Jetzt kommen Sie wieder angekleckert. So hatte ich es mir ungefähr vorgestellt. Ich hoffe nur, daß es nicht schon zu spät ist und die PKP das böse buchparallele Schicksal noch von Ihnen abwenden kann. Was haben Sie mir zu berichten? Aber fassen Sie sich bitte kurz!"
"Es ist noch nichts Schlimmes passiert, mein Herr", sagt Pembry beschwichtigend durch die Leitung. "Ja, es hat sich mit mir eigentlich noch gar nichts ereignet, was Anlaß zur Unruhe geben könnte. Und doch ?"
"Kommen Sie zur Sache!" unterbreche ich ihn ungeduldig. "Was ist vorgefallen?"
"Ich habe von meinem Chef Bescheid gekriegt, daß zur Bewachung des Schwerverbrechers Lecter Polizisten mit besonders großer Erfahrung und guter Ausbildung gebraucht würden, Leute wie ich eben, und daß man in diesem Fall ohne mich leider nicht auskommen könne, weil alle anderen hier noch in Betracht zu ziehenden Beamten entweder schon anderwärts verpflichtet oder aus irgendwelchen privaten Gründen zur Zeit nicht verfügbar seien. Sie werden verstehen, daß ich mich schlecht weigern kann, diesen Arbeitsauftrag zu übernehmen. Jetzt, da es einfach keinen anderen dafür gibt, würde das aussehen, als wollte ich kneifen, als wäre mir meine persönliche Sicherheit wichtiger als alle amtlichen Verpflichtungen. Ich könnte mir übrigens gut vorstellen, daß sich für diesen Lecter so leicht keine Bewacher finden lassen werden. Der Kerl gehört ja - sagt man - zu den gefährlichsten seiner Art."
"Erzählen Sie weiter!" sage ich mahnend, denn Pembry ist wieder verstummt. "Oder ist das alles, was Sie mir sagen wollten?"
"Ja ? oder eigentlich nein. Es gibt noch ? noch einen Grund, warum ich mich meinen Vorgesetzten füge, ? fügen muß, denn ich kann nicht anders ? Ich ? Ich ?"
"Was ich ? ich?" äffe ich ihn gereizt nach, denn Pembry schweigt wieder. "Reden Sie! Ich muß alles wissen."
"Ich habe mich verliebt", murmelt er am anderen Ende der Strippe. "Ich bin rettungslos verknallt, Sir."
"Na und?" rufe ich ärgerlich. "Was hat das mit Ihrer kommenden Ermordung zu tun? Sind Sie vielleicht schon verrückt geworden vor Angst, so daß Sie hier so ein irrelevantes Zeug faseln?"
"Es hat insofern damit zu tun, daß die junge Dame, in die ich verliebt bin, in der Geschichte mit diesem Lecter eine Hauptrolle spielt und ? und das tut sie auch in dem verdammten Buch, in diesem Kriminalroman von anno dazumal, der - Gott oder Teufel wissen nur wie - schon so in etwa dieselbe Geschichte erzählt. Ich habe das extra nochmal nachgelesen."
"Moment mal!" sage ich, etwas befremdet von diesen Eröffnungen Pembrys, denn erstens orientiert sich die PKP in ihrer Arbeit nicht an Liebesromanen, und zweitens kann ich mich nicht gleich an die weibliche Buchfigur im "Schweigen der Lämmer" erinnern. "Sie reden von einer Frau, die in Ihre bibliobiologische Mordsache verwickelt sein soll? Aber der Verbrecher Lecter hat in dem Roman keine Komplizin."
"Mister Meinleser, ich rede von einer jungen Polizistin, der erlaubt wird, diesen Verbrecher über einen Serienmörder, den das FBI jagt, zu befragen und ?"
"Doch nicht vielleicht Clarice Starling?" unterbreche ich ihn, denn jetzt habe ich begriffen, von wem Pembry spricht. "Ist es die?"
"Ja", seufzt Pembry am anderen Ende der Leitung. "Sie ? Sie verstehen jetzt: Ich muß mich nach Memphis versetzen lassen, zur Bewachung dieses Lecter. Das ist die einzige Chance, die ich habe, um in ihrer Nähe zu sein."
"Hören Sie! Manchmal schlägt die bibliobiologische Parallelität zwischen kriminalistischer Literatur und realer Wirklichkeit die absurdesten Umwege ein. Überlegen Sie doch mal selbst! Vielleicht sollten Sie sich in Clarice verlieben, um dann Ihrem Mörder Lecter nur desto sicherer zum Opfer zu fallen. Haben Sie Ihr Liebesgefühl für diese junge Dame auch mal von dieser Seite aus betrachtet?"
"Nein!" sagt Pembry, und es klingt sehr entschieden. "Das habe ich noch nicht getan und werde es wohl auch niemals tun. Soll ich meine Liebe für Clarice von dem Gedanken an irgendeinen mörderischen Wahnsinn überschatten lassen? Was verlangen Sie von mir?"
"Hm, ja, ich verstehe", brumme ich ärgerlich. "Zu blöd, daß es Ihnen gerade jetzt eingefallen ist, sich in die Starling zu verlieben. Das verkompliziert die ganze Sache. Denn wenn Sie, das literarische Opfer des Mörders, schon selber, also realpersönlich, am Tatort sein wollen, den der Krimi für den Mord an der Buchperson Pembry vorschreibt, dann ? dann, mein Herr, wird es für uns schon viel schwieriger, Sie zu retten."
"Können Sie mir für die Zeit, in der ich diesen Lecter bewachen muß, nicht noch zwei, drei Leute an die Seite stellen?" erkundigt sich Pembry zaghaft. "Was kann das Monstrum gegen eine ganze Gruppe von erfahrenen Polizisten machen? Doch gar nichts. Es wird sich schön ruhig und friedlich verhalten."
"Und wenn wir Sie mit einer ganzen Armee gegen Lecter abschirmten", knurre ich mißmutig, "es würde im Prinzip nichts nützen. Irgendwie würde er Sie - da Sie ja in seiner Nähe sind - doch kriegen. Denn das Buch, lieber Pembry, setzt sich in solchen Fällen immer, na sagen wir: fast immer, durch. Wie?s geschrieben steht, so geschieht es dann auch. In der PKP haben wir schon erlebt, daß im dichtesten Sicherheitsgürtel plötzlich Löcher entstanden sind, die die möglichen Entwicklungswege für das schlimme textologische Schicksal der Realpersonen gewesen wären, wenn wir diese Löcher - übrigens durch den reinsten Zufall - nicht noch hätten entdecken und stopfen können."
"Ausgezeichnet!" sagt mir Pembry am anderen Ende der Strippe. "Dann haben Sie ja schon Erfahrungen gesammelt, und ich brauche nichts zu fürchten."
"O nein, mein Lieber!" rufe ich aufgebracht zurück. "Es verhält sich gerade umgekehrt. Wenn wir so auf Teufel komm raus in die Sache einsteigen, müssen Sie das Schlimmste befürchten. Haben Sie nicht gelesen, wie Ihr literarischer Bruder, der Pembry in ?Das Schweigen der Lämmer?, umkommt?"
"Ja. Hab ich. Na und?"
"Na und? Das ist gut!" sage ich immer ungehaltener. "Die ganze Polizei der Stadt Memphis - ich meine die Stadt im Kriminalroman - war bestellt, die Zelle, in der Lecter saß, zu sichern. Und was passiert? Ich meine, was passiert im Roman?"
"Na ja!" klingt es kleinlaut zu mir herüber. "Da wird mein Namensvetter von Lecter umgebracht. Das ist schon richtig, aber ?"


Mit freundlicher Genehmigung des Verbrecher Verlages
(Copyright Verbrecher Verlag)


Informationen zum Buch und zum Autor hier