Paul Auster

Baumgartner

Roman
Cover: Baumgartner
Rowohlt Verlag, Hamburg 2023
ISBN 9783498003937
Gebunden, 208 Seiten, 22,00 EUR

Klappentext

Aus dem Englischen von Werner Schmitz. Professor S.T. Baumgartner, unter Freunden Sy, ist ein über siebzigjähriger emeritierter Phänomenologe aus Princeton, der sich dem Schreiben philosophischer Bücher und, zunehmend, seinen Jugendreminiszenzen widmet: seiner kleinbürgerlichen Herkunft aus Newark; der schwierigen Ehe der Eltern, dem Collegebesuch und einem Studienaufenthalt in Paris; schließlich der wie ein Blitz einschlagenden Liebe zur Übersetzerin und Dichterin Anna, mit der er die glücklichsten Jahre verbrachte, bevor sie vor zehn Jahren einem Badeunfall zum Opfer fiel. Annas Tod hat ein tiefes Loch in seinem Leben hinterlassen, das aller Pragmatismus, alle Selbstironie nicht füllen kann. Denn Anna war wirklich das, was man seine bessere Hälfte nennt. Eines Tages, um sich zu trösten, wagt sich Sy endlich in ihr Arbeitszimmer, das er seit ihrem Tod nicht betreten hat …

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 13.12.2023

Die Schlichtheit der sprachlichen Mittel steht im Kontrast zur Intensität der Gefühle, die in Paul Austers Roman über einen trauernden Universitätsprofessor verhandelt werden, stellt Rezensent Michael Wolf fest. Jener Baumgartner versucht, sich mit intellektueller Betätigung vom Schmerz über den Verlust seiner verstorbenen Frau abzulenken. Wie immer bei Auster gibt es hier biografische Parallelen, so Wolf, man täusche sich aber, wenn man Baumgartner als Alter Ego von Auster begreifen wollte. Denn der Professor sei ein Typus, ein "Gewinner" des amerikanischen Traums, der durch den Tod den Halt verliere. Die einzige Hoffnung für ihn ist, sich von seiner intellektuellen Weltabkehr zu befreien und sich der Realität zu stellen, weiß Wolf, der dem Protagonisten abschließend von Herzen ein Happy End wünscht.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 14.11.2023

Interessiert, aber nicht begeistert liest sich Rezensentin Irene Binal durch den neuen Paul Auster. In dessen Zentrum steht, erfahren wir, Baumgartner, ein alternder Phänomenologe, der nachts von seiner vor zehn Jahren verstorbenen Frau angerufen wird. Eine Episode, die sich, klärt Binal auf, bald als Vision entpuppt und dennoch etwas in dem Protagonisten auslöst, der den Entschluss fasst, die Zeit, die ihm noch bleibt, sinnvoll zu nutzen. Die Figur Baumgartner beruht teilweise auf dem Autor, erläutert Binal, was sich vor allem in der fiktionalen Familiengeschichte des Protagonisten niederschlägt, die in die Ukraine zurückführt und auch das Thema der Judenverfolgung aufruft. Gut lesbar ist das alles, meint Binal, auch Austers Faible für den Zufall schlägt wieder durch, aber insgesamt will der Roman etwas zu viel auf einmal. Etwas mehr Stringenz hätte sich die Rezensentin gewünscht.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 09.11.2023

Ums Erinnern dreht sich der neue Roman Paul Austers, führt Rezensent Tilman Spreckelsen aus, und auch darum, dass Erinnerungen manchmal täuschen oder manipuliert werden. Die Hauptfigur Seymour T. Baumgartner hat, erfahren wir, vor über zehn Jahren seine Frau verloren. Erzählt werden einzelne Episoden seiner Beziehungsgeschichte zu dieser Anna, begonnen beim Kennenlernen durch einen bloßen Zufall. Seymour denkt über die gemeinsame Zeit nach, heißt es weiter, aber auch Annas schriftliche Reflexionen - sie war Schriftstellerin - dringen in das Buch ein, und schließlich wird auch noch ihr Nachlass aufgearbeitet. Auster baut laut Spreckelsen literarische Verweise in seine Erinnerungserzählung ein und zeichnet außerdem nach wie genau Erinnerungen produziert werden; Erinnerungen, die nicht immer konsensuell sind. Das Buch endet schließlich, so der Rezensent, mit der Erkenntnis, dass man manchmal auch mit Erinnerungen abschließen muss.
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Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 09.11.2023

Dieser neue Roman des, wie man mittlerweile weiß, krebskranken Paul Auster dürfte stark autobiografisch inspiriert sein, vermutet Rezensent Jörg Magenau: Der Protagonist Baumgartner hat seine Frau bei einem Unfall verloren, er selbst stürzt, alt und vergesslich geworden, die Treppe runter. Das ist bei Auster typisch, weiß Magenau, aus eigentlich vermeidbaren Problemen werden große Reflexionen über die Liebe und die menschliche Seele angestoßen, so auch hier - die fiktionalen Figuren sind aus Versatzstücken der Lebenden, etwa seiner Frau Siri Hustvedt oder seiner Ex-Frau Lydia Davis, gebaut und wirken genau deshalb auch so lebensecht, schließt Magenau, der hier gerne über die zutiefst menschlichen Regungen von Trauer und Liebe liest.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 08.11.2023

Spürbar bewegt liest Jan Drees den neuen Roman von Paul Auster, der dem Kritiker nicht nur wie der "Ringschluss" eines Prosa-Werks, sondern zudem wie der Beweis dafür erscheint, dass Liebe Menschen auch zerstören kann. Erzählt wird die Geschichte des 70-jährigen Phänomenologen Baumgartner, der, über Kierkegaard arbeitend, den Verlust seiner bereits vor zehn Jahren verstorbenen Frau Anna Blume nicht verwinden kann: Die Beschäftigung mit ihrem Nachlass gerät obsessiv, eine neue Beziehung scheitert daran, dass Baumgartner doch nur die verlorene Gattin in der neuen Partnerin sieht, in Folge seiner Einsamkeit droht er fast wahnsinnig zu werden. Der Verzicht auf einen zusammenhängenden Plot und der Mix aus Erinnerungen, Anekdoten, Texten der Verstorbenen, aber auch Motiven aus Austers Vorgängeromanen verlangen dem Kritiker zwar einiges ab. Die Mühe aber lohnt sich - auch literaturwissenschaftlich, fährt der Rezensent fort, der im Roman auch ein "Spiel mit Autobiografie und Fiktion" erkennt: Auster ist selbst an Krebs erkrankt, die Krankheit wurde spät diagnostiziert. So liest Drees den Roman auch als "literarische Überhöhung einer privaten Not".

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 04.11.2023

Nicht ohne Anstrengung, aber mit großem Gewinn liest Rezensentin Judith von Sternburg Paul Austers neuen, nervös-melancholischen Roman. Es geht um den in die Jahre gekommenen Witwer Baumgartner, der nach dem Unfalltod seiner Frau Anna an seiner Einsamkeit krankt; ruhelose Gedankensprünge und Erinnerungen des auch zunehmend Vergesslichen, die Auster hier "unperfekt" zusammenfüge - "souverän lose" in der positiven Formulierung, aber doch auch etwas zehrend beim Lesen, so von Sternburg. Das ist es für sie aber allemal Wert: Als "ergreifend leichthändig" empfindet sie diese Geschichte über den schmerzhaften Übergang vom Zu-zweit-Sein zum Nicht-mehr-zu-zweit-Sein; enge Zusammenhänge sieht sie hier auch zur Partnerschaft zwischen Auster und Siri Hustvedt, die immer wieder eingebracht werden, aber nicht selbstverliebt-spielerisch, sondern eher mit diesen Bezügen "arbeitend", mit nötigem Sicherheitsabstand, analysiert die Kritikerin anerkennend. Ein "bedrückender" Roman über die letzten Lebensjahre, der die Kritikerin auch mit seinem sehr melancholischen Ende besticht.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 02.11.2023

Rezensent Volker Weidermann rückt Paul Austers Buch in einen Zusammenhang mit der Krebserkrankung des Autors sowie, vor allem, mit der Geschichte der Beziehung des Schriftstellers zu seiner Ehefrau und Kollegin Siri Hustvedt. Die Hauptfigur des Buchs heißt Sy Baumgartner, erfahren wir, und ist nach dem Tod ihrer Lebensgefährtin allein zurückgeblieben. Sy kommt, zeichnet Weidermann nach, über den Verlust nicht hinweg und imaginiert ein gemeinsames Weiterleben mit der Verstorbenen. Ein Buch über Erinnerung ist das, so Weidermann, das autobiografische Züge enthält und sich über Motive wie das Schreibmaschinenklappern und lustige Obszönitäten vermittelt. Das Unplausible literarisch zu plausibilisieren: Das war für Weidemann stets der Kern der Kunst Austers und so ist es auch diesmal.