Raymond Carver

Kathedrale

Erzählungen
Cover: Kathedrale
Berlin Verlag, Berlin 2001
ISBN 9783827003300
Gebunden, 267 Seiten, 20,35 EUR

Klappentext

Aus dem Amerikanischen von Helmut Frielinghaus. Mit einem Vorwort von Judith Hermann. Ein Blinder und ein Sehender sitzen vor dem Fernseher und zeichnen gemeinsam, mit übereinander gelegten Händen, eine Kathedrale. Am Ende haben beide eine deutlichere Vorstellung davon, was eine Kathedrale ausmacht, als die gleichzeitig vor ihren Augen - respektive Ohren - ausgestrahlte kunstgeschichtliche Reportage ihnen jemals vermitteln könnte ... Das Personal der zwölf Geschichten, die Raymond Carver 1983 in seinem dritten Erzählungsband Kathedrale vereinigte, ist dasselbe wie in allen zuvor veröffentlichten: Paare, die sich nichts mehr zu sagen haben, Arbeitslose, Alkoholiker. Doch die Perspektive, die der Erzähler zu ihnen einnimmt, hat sich auf signifikante Weise verändert. Um nichts weniger Anteil nehmend an ihrem Elend, gelingt es ihm jetzt, sich so weit davon zu lösen, dass er imstande scheint, Auswege anzudeuten, Fluchtmöglichkeiten zumindest ahnen zu lassen.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 05.07.2001

Wer bisher an Raymond Carvers schriftstellerischem Können Zweifel hegte und die Ursache seines literarischen Rufs eher seiner Biografie oder sogar seinem Lektor Gordon Lish zuschrieb, wird nun eines Besseren belehrt: "Carver schreibt wirklich gut, beängstigend gut, und seine Short Storys gehören fraglos zu den besten des Genres", meint Jürgen Brocan. Die Erzählungen in "Kathedrale" seien unredigiert und viel besser, als die von Lish bearbeiteten. Sie sind weniger spektakulär und verzichten auf äusserliche Effekte, was paradoxerweise zu einer eindringlicheren Wirkung führe, stellt der Rezensent fest. Carvers Thema, das sich durch sämtliche Erzählungen zieht, sind die Alltagsbanalitäten, erklärt der Rezensent, und unter dem zuweilen sehr amerikanischen Kolorit komme eine allgemeine existentielle Leere zum Vorschein, in die man nur stürzen könne, führt er aus. Carver sei auch ein Meister der ersten Sätze. Brocan bewundert, wie sie mitten ins Geschehen springen. Die eigentlichen Erzählungen seien "die grossen Löcher", "jene Tragödien, die sich hinter der mitgeteilten Handlung abspielen". Dabei enthalte sich der Autor jeglicher Kommentare oder Wertungen, nebensächliche Einzelheiten erreichten zuweilen sogar eine symbolische Ebene. Der Übersetzer habe, trotz einiger holpriger Stellen, den lakonischen Stil Carvers sehr gut getroffen, und schon jetzt freut Brocan sich auf den vierten Band dieses Autors mit Erzählungen aus Literaturzeitschriften und bisher unveröffentlichtem Material.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 17.05.2001

Raymond Carver verfügt über eine eingeschworene Fangemeinde und dies, obwohl vieles von den gerade besonders bewunderten Stilelementen seiner Erzählungen auf die Arbeit seines Lektors zurückzuführen sei, wie unlängst in der "Zeit" zu lesen war. Dies sei nun anders in dem jüngst erschienenen Band mit späten Erzählungen, hier erlebe man "Carver pur", verspricht Reinhard Baumgart, und was ihm dabei zunächst auffällt ist die Tatsache, dass trotz der fehlenden minimalistischen Straffungen des Lektors dennoch alles wiederzuerkennen ist: Man treffe auf dieselbe grau leuchtende Welt mit ihren Loser-Figuren, und man gerate auch hier wieder in den Sog einer "traumwandlerisch sicheren Prosa", die für Opfer und Leser keine Gegenwehr zulasse. Cavers Erzählungen werden von zahlreichen geborenen Verlierern bevölkert, denen es unmöglich ist, ihrem Fatum zum entrinnen, wie man an Baumgarts Beispielen deutlich erkennen kann. Unheimlich sind diese Texte, und am unheimlichsten die auf rabiate Kürze reduzierten, findet er. Auf die Frage "Warum" dürfe man keine Antwort erwarten. Sicher ist für den Rezensenten - "trotz aller Liebe" - nur eines: Lust auf mehr von diesen albtraumartigen Geschichten verspürt er nicht.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 21.03.2001

Die Kunst Raymond Carvers ist, so der Rezensent Ulrich Sonnenschein, die "Kunst der Auslassung", durch die das Erzählen in den Kurzgeschichten des Autors auf seinen "Zellkern" zurückgeführt wird. Lakonisch, nie psychologisierend, mit Augenmerk aufs "Elementare" erreicht Carver doch eine "besondere Intensität", entwickeln seine Geschichten den "unheimlichen Sog", den der Rezensent an ihnen bewundert. Besonders erwähnt werden die Erzählungen "Von wo ich anrufe" und "Chefs Haus", zu denen Sonnenschein paradox anmerkt, dass "die absolute Negation (selten) so vielversprechend" gewesen sei.
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