Gotthold Ephraim Lessing: Werke und Briefe. 12 Bände in 14 Teilbänden. Band 3: Werke 1754-1757. Rettungen. Miß Sara Sampson. Briefwechsel über Das Trauerspiel

Deutscher Klassiker Verlag, Frankfurt am Main 2003
Herausgegeben von Conrad Wiedemann unter Mitarbeit von Wilfried Barner und Jürgen Stenzel. Lessings Fähigkeit, seinen biografischen Auswegslosigkeiten die besten seiner Werke und Projekte abzuringen, bewährte sich zum ersten Mal 1754, als er fürchten musste, sich im journalistischen Alltagsgeschäft aufzureiben. Seine Jugenderfolge als Lustspielautor und anakreontischer Lyriker lagen zurück und schienen abgetan, statt dessen schrieb er jährlich an die hundert Pflichtrezensionen für die Vossische Zeitung und übersetzte täglich ein paar Seiten aus Werken bedeutender und unbedeutender Ausländer. Für die Rückkehr zur schöpferischen Arbeit wurden zwei Dinge ausschlaggebend: der Entschluss, aus Geschriebenem und Ungeschriebenem eine erste, damals ganz unübliche Werkausgabe zu entwerfen, die dann auch wirklich zustande kam (Schriften, 6 Bde., 1753-55), sowie die Begegnung mit Moses Mendelssohn, aus der bekanntlich eine lebenslange Ideensymbiose entstand, zunächst allerdings eine Art Syndikat der produktiven Gegenseitigkeit. Lessings Gewinn aus dieser Selbsttherapie waren anderthalb hochmotivierte und hochinnovative Schaffensjahre, in denen ihm (fast) alles gelang. Noch im Frühjahr 1754 erschienen das "Vade mecum für Hrn. Samuel Gotthold Lange" und die vier historischen "Rettungen", das erstere der Probelauf für die folgenden großen Personalpolemiken, die letzteren die Modelle für deren Gegenprinzip einer revidierenden Kritik. Wenig später entstand das Charakterbild des problematischen, frühverstorbenen Jugendfreunds Mylius, das Lessing zum Anlass nahm, mit dem schmählichen Schicksal literarisch Hochbegabter in Deutschland abzurechnen. Schon im Herbst folgten weitere Solitäre dieser Art: die große Abhandlung über das rührende Lustspiel, die nicht minder bedeutende Gegenabhandlung über Senecas Theater der Grausamkeit und schließlich der mit Mendelssohn gemeinsam verfasste Essay "Pope ein Metaphysiker?", ein kecker Schlag gegen die Berliner Akademie und ein überraschendes Spiel mit Elementen der nachaufklärerischen Kunstautonomie-Idee. Ihren Höhepunkt erreichte diese Fieberkurve freilich erst im Frühjahr 1755, als Lessing sich in die sechswöchige Einsamkeit eines Potsdamer Gartenhauses zurückzog, um mit der deutschen Novität eines bürgerlichen Trauerspiels, "Miß Sara Sampson", zurückzukehren. Danach scheint eine gewisse Erschöpfung eingetreten zu sein. Als Zeuge der Uraufführung in Frankfurt/Oder erlebte Lessing noch, wie das Stück zum Kultobjekt der Empfindsamkeitsbewegung avancierte, was indes nicht verhindern konnte, dass er im Oktober 1755 Berlin ohne erkennbaren Anlass verließ. Der Flucht nach Leipzig im Oktober 1755 verdankt sich immerhin ein bedeutsames Nachspiel des Sara-Erfolges. Drängten doch die zurückgelassenen Freunde Mendelssohn und Nicolai auf briefliche Fortsetzung der in Berlin begonnenen Theorie-Diskussion über das zu erneuernde Trauerspiel. Die schnell in Gang gekommene und glücklich erhaltene Dreieckskorrespondenz von November 1756 bis Mai 1757 bewahrte der Nachwelt nicht nur den schönsten deutschen Literaturstreit, sondern auch Lessings unvergängliche Vision eines Mitleid-Theaters. Ansonsten gelang ihm in Leipzig nicht viel: weder die Erneuerung seines Lustspielkonzepts im Geiste Goldonis (deren Fragmente beim Verleger verloren gingen), noch die große europäische Bildungsreise im Schlepptau eines Reichen (die vom Kriegsausbruch schon in Amsterdam gestoppt wurde). Die 1757 wiederaufgenommene Beschäftigung mit der Fabel kam erst 1759 zum Abschluss.

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