Siegfried Lenz

Der Überläufer

Roman
Cover: Der Überläufer
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2016
ISBN 9783455405705
Gebunden, 368 Seiten, 25,00 EUR

Klappentext

Es ist der letzte Kriegssommer, die Nachrichten von der Ostfront sind schlecht. Der junge Soldat Walter Proska aus dem masurischen Lyck wird einer kleinen Einheit zugeteilt, die eine Zuglinie sichern soll und sich in einer Waldfestung verschanzt hat und. Bei sengender Hitze und zermürbt durch stetige Angriffe von Mückenschwärmen und Partisanen, aufgegeben von den eigenen Truppen, werden die Befehle des kommandierenden Unteroffiziers zunehmend menschenverachtend und sinnlos. Die Soldaten versuchen sich abzukapseln: Einer führt einen aussichtslosen Kampf gegen einen riesigen Hecht, andere verlieren sich in Todessehnsucht und Wahnsinn. Und Proska stellen sich immer mehr dringliche Fragen: Was ist wichtiger, Pflicht oder Gewissen? Wer ist der wahre Feind? Kann man handeln, ohne schuldig zu werden? Und: Wo ist Wanda, das polnische Partisanenmädchen, das ihm nicht mehr aus dem Kopf geht?

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 20.04.2016

Die Geschichte dieses Funds aus Marbach findet Rezensent Rainer Moritz im Nachwort erklärt. Fast ebenso aufregend wie der Roman selbst erscheint sie ihm. Siegfried Lenz' Anfang der 1950er Jahre entstandene Erzählung über den Soldaten Walter Proska, der 1944 zu den Russen überläuft, scheint Moritz politisch brisant genug, um die verwickelte Editionsgeschichte zu erklären. Umso mehr freut ihn der Erfolg des postum veröffentlichten Buches, der laut Moritz allerdings vor allem mit der Beliebtheit des Autors zu tun hat, die sich auf den Text überträgt, und weniger mit dessen Güte. Unsicherheit in der Wahl der Erzählweisen und im sprachlichen Stil bescheinigt er dem jungen Lenz. "Metaphorische Abstürze" lassen den Rezensenten allerdings nicht die Könnerschaft verkennen, zu der Lenz später finden sollte und die sich in dem frühen Werk bereits andeutet, wie Moritz meint.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 16.03.2016

Rezensentin Judith von Sternburg entdeckt mit dem Überläufer eine ganz neue literarische Figur, die hätte Geschichte machen sollen, in Siegfried Lenz' erst jetzt aus dem Nachlass erscheinendem zweiten Roman. Was für ein Text wäre das 1951 gewesen!, meint sie. Und heute? Wirkt der Text auf die Rezensentin entschlossen und treffsicher in seiner Darstellung einer disparaten Zeit. Die große Rückblende zurück an die Ostfront im Zweiten Weltkrieg macht Sternburg mit, staunt über das Geschick und die Ökonomie, mit der Lenz seine Figuren skizziert, und schwankt zwischen Grauen und der Wirkung furchtbarer Komik. Mitreißend scheint ihr Lenz über Verwahrlosung und Schuld im Krieg zu erzählen, perspektivisch experimentierfreudig, stark, findet sie.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 03.03.2016

Als ein Glück für passionierte Leser bezeichnet Rezensent Friedmar Apel die Veröffentlichung des zweiten Romans von Siegfried Lenz aus dem Nachlass. Dass der 1951 entstandene Text jetzt erscheint, nachdem er nicht zuletzt wegen Unstimmigkeiten mit Lenzens damaligem Lektor in der Schublade landete, hält Apel für einen postumen Triumph des Autors. Nicht nur wie Lenz mit wenigen Strichen Atmosphäre entwirft, Landschaften als Projektionsraum des Menschlichen zeichnet und poetische Intensität schafft, hat den Rezensenten beeindruckt. Die Geschichte um eine Handvoll Soldaten in der Hölle der Ostfront besticht laut Apel durch starke Figurenzeichnung, absurde Dialoge, sarkastische Kommentare und eine souveräne, von Humor getragene Distanz zum Schrecken. Lenz auf der Höhe moderner Romankunst, jubelt der Rezensent.
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Rezensionsnotiz zu Die Welt, 03.03.2016

Bei allen unveröffentlichten Büchern der Weltliteratur: Ein Fall wie der von Lenz' "Überläufer" will Rezensentin Barbara Möller partout nicht einfallen. Die hingerissene Kritikerin nennt dessen posthumes Erscheinen eine Sensation. Deshalb verwendet sie auch viel Platz darauf, die Hintergründe der Nichtveröffentlichung des Romans über einen zu den Sowjets übergelaufenen Wehrmachtssoldaten zu beleuchten. Die im Westen grassierende Ablehnung des Kommunismus habe 1951 dazu geführt, dass Hoffmann und Campe von der geplanten Veröffentlichung absah. Umso ehrenhafter findet es die Rezensentin, dass der Verlag die vermeintliche Fehlentscheidung nun im Anhang des Romans darlegt. Der "kraftvoll und aufregend" geschriebene Roman selbst hat die Rezensentin "durch seine authentische Unmittelbarkeit" schier überwältigt.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 03.03.2016

Siegfried Lenz' zweiter Roman "Der Überläufer" hatte es in den Fünfzigern nicht zur Veröffentlichung gebracht, weiß Rezensent Helmut Böttiger, zu groß war die Angst der Verleger vor dem Widerhall in der Gesellschaft, erklärt der Rezensent. Lenz erzählt die Geschichte eines Wehrmachtssoldaten, der sich an der Ostfront in eine "Rote" verliebt und schließlich in das Lager der Partisanen wechselt, fasst Böttiger zusammen. Angesichts des lautstarken Einvernehmens, dass die Wehrmacht nur ihrem Soldaten-Eid treu geblieben sei und deshalb für die Verbrechen ihrer Befehlshaber nicht belangt werden könne, war diese Geschichte über einen, der rechtzeitig Ungehorsam leistete, Zunder, so der Rezensent. Heute liest sich das alles zwar stellenweise melodramatisch, aber Lenz zeichnet auch ein überaus anschauliches Bild seiner Zeit, findet Böttiger.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 27.02.2016

Aus Siegfried Lenz' Nachlass wurde ein "Schatz" geborgen, freut sich Rezensentin Franziska Augstein: Der zweite Roman des Autors, der dem Verlag im Jahre 1951 noch zu pazifistisch und treulos gegenüber der Heimat war, um ihn zu veröffentlichen, ist das sehr gelungene, "reife" Werk eines jungen Mannes, versichert die Kritikerin. Die Geschichte um den jungen Wehrmachtssoldaten Walter Proska, der sich 1944 zum Desertieren entschließt, ist nicht nur spannend geschrieben, sondern bezeugt bereits Lenz' Einfühlungsvermögen in seine Figuren, schreibt die Rezensentin. Begeistert ist sie aber insbesondere von Lenz' Sprache: Zynisch-abgeschmackten Landserhumor entdeckt sie hier ebenso wie eine an Hemingway geschulte unsentimentale Lakonik und ein Gespür für romantische und zugleich treffsichere Naturbeschreibungen.
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