Konrad Küster (Hg.)

Bach-Handbuch

Nachschlagewerk nach Gattungen geordnet
Cover: Bach-Handbuch
Bärenreiter Verlag, Stuttgart 2000
ISBN 9783761820001
Gebunden, 997 Seiten, 80,78 EUR

Klappentext

Das "Bach-Handbuch" ist handlich nach Werkgruppen und Einzelwerken in chronologischer und systematischer Folge aufgebaut. Werkübersichten, Notenbeispielen, Literaturhinweisen und mehreren Registern schließen sich an. In sich abgeschlossene Kapitel stellen die Charakteristika einer Gattung ebenso vor wie die Entstehungsgeschichte und Kompositionsweise der Einzelwerke.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 29.07.2000

In einer Sammelbesprechung untersucht Thomas Schacher zehn Bücher über Johann Sebastian Bach. Dabei sind die ersten fünf der besprochenen Bücher eher der musikwissenschaftlichen Literatur zuzuordnen, während die letzten fünf populärwissenschaftlichen Charakters sind. Schacher stellt fest, dass sich die Bilder über den Komponisten in diesen Büchern teilweise erheblich von einander unterscheiden, ja widersprechen. Diese Widersprüche stellt er selbst innerhalb der musikwissenschaftlichen Literatur fest, wofür er nicht zuletzt die spärlichen Quellen zu Bachs privatem Leben verantwortlich macht. Letztlich sei aber jegliche Erkenntnis über Bach immer nur eine vorläufige, die auch in Zukunft um neue Aspekte ergänzt werden wird.
1.) Martin Geck: "Bach. Leben und Werk" (Rowohlt Verlag)
Schacher hält es für einigermaßen mutig, dass Geck sich dem Komponisten und seinem Werk "aus der Sicht von heute" nähert. Diese Haltung scheint der Rezensent durchaus zu begrüßen, denn der Autor geht, wie er feststellt, dem heutigen Bedürfnis nach "Mythos" nach, dem Wunsch nach Identifikation, der gerade bei Bach - nicht zuletzt wegen der lückenhaften Quellen zu seiner Person - kaum zu erfüllen ist. Ein zweiter Aspekt, den Schacher betont, ist dass Geck das Denken des Komponisten "zwischen Alt und Neu" einordnet, also nicht - wie so viele seiner forschenden Kollegen - primär der Vergangenheit verhaftet sieht. Der Autor sieht in Bachs Musik sowohl Anzeichen eines mittelalterlichen "Ordnungsdenkens" als auch ein neuzeitliches "am Subjekt orientiertes Denken", so Schacher.
2.) Christoph Wolff: "Johann Sebastian Bach" (Fischer-Verlag)
Schacher betont ausdrücklich, dass der Autor durch intensives Quellenstudium "das Wissen über Bach auf den neuesten Stand der Forschung" gebracht hat. Dennoch zeigt sich der Rezensent ein wenig überrascht, dass Wolff den Komponisten in seinem Denken der Zeit vor der Aufklärung zuordnet. So sehe Wolff in Bachs Komponieren die "aristotelische Nachahmungslehre als ein Abbilden der Natur" und die mittelalterliche Vorstellung des Quadriviums aus Musik, Arithmetik, Geometrie und Astronomie angestrebt.
3.) Konrad Küster (Hrsg.): "Bach-Handbuch" (Bärenreiter und Metzler)
An diesem Band hebt der Rezensent besonders den Beitrag von Hans-Joachim Hinrichsen hervor, der hier - wie Schacher feststellt - einen "fundierten Überblick über die Rezeptionsgeschichte der letzten 250 Jahre" gibt. Besonders interessant erscheint ihm dabei die Bach-Rezeption in den beiden deutschen Staaten. Während in der DDR Bach als fortschrittlich galt, um auch in das "marxistisch-atheistische Weltbild" zu passen, betrachtete man Bach in der damaligen Bundesrepublik primär als Kirchenmusiker und Komponisten religiöser Werke, so Schacher.
4.) Klaus Eidam: "Das wahre Leben des Johann Sebastian Bach (Piper)
"Geradezu peinlich" findet es Schacher, dass der von ihm geschätzte Piper-Verlag ein Buch dieses Schlages herausgebracht hat. Die hervorstechendsten Merkmale des Bandes sind seiner Ansicht nach "Arroganz und Selbstüberschätzung" des Autors, was sich bereits im Titel ankündige. Der Rezensent zeigt sich geradezu abgestoßen von Eidams polemischen Angriffen gegen dessen Kollegen und die Bach-Forschung insgesamt. Seinerseits scheint Eidam jedoch nicht viel Neues zur Bach-Forschung beizutragen, jedenfalls erwähnt der Rezensent nicht einen einzigen Aspekt, der ihm interessant genug erschienen wäre.
5.) Arno Forchert: "Johann Sebastian Bach und seine Zeit" (Laaber-Verlag)
An diesem Buch lobt der Rezensent, dass es offenbar auch möglich ist, Bach als modern und aufgeklärt zu zeigen, ohne dabei zwangsläufig von "einer linken Ideologie geprägt zu sein" (Schacher bezieht sich mit dieser Anmerkung augenscheinlich auf die Bach-Rezeption in der DDR). Forchert habe bei der Beschäftigung mit Bach zahlreiche Hinweise gefunden, die darauf hindeuten, dass Bach durchaus Kontakt mit Vertretern "‘moderner‘ Lebensweise" gepflegt hat, wofür Schacher einige Beispiele aufzählt.
6.) Christoph Rueger: "Johann Sebastian Bach. Wie im Himmel so auf Erden" (Heyne)
Diesem Buch kann der Rezensent nicht wirklich etwas abgewinnen und deutet an, dass sich der ehemalige Thomaner Christoph Rueger offenbar sehr stark "mit seinem Gegenstand" identifiziert. Rueger lobt - so der Rezensent - bei Bach "innere Ordnung, Pflichterfüllung und Gemeinsinn", und möchte seinen Lesern diese Tugenden in den heutigen Zeiten von Werteverlust ans Herz legen. Schacher bemängelt dabei, dass der Autor unkritisch "sämtliche Klischees der Bach-Literatur" aufgewärmt habe.
7.) Günter Jena: "Das gehet meiner Seele nah" (Herder)
Auch hier macht Schacher eine starke Identifikation aus, allerdings im positiven Sinne. Der Rezensent weist darauf hin, dass Jena lange Jahre Kirchenmusikdirektor an St. Michaelis in Hamburg war und mit diesem Band seine Erfahrungen als Musiker weitergeben möchte. Schacher gefällt es, dass Jena "nicht belehren, sondern berühren" möchte. Dabei geht der Autor nach Schacher nicht nur auf rein musikalische Aspekte ein, sondern beispielsweise auch auf moderne Deutungen des Verrates von Judas (z. B. der Konflikt zwischen Treue und Ehrlichkeit zu sich selbst).
8.) Franz Rueb: "Achtundvierzig Variationen über Bach" (Reclam)
Nur beiläufig geht Schacher auf dieses Buch ein und weist darauf hin, dass der Titel des Buchs auf die 48 Präludien und Fugen des "Wohltemperierten Klaviers" anspielt. Dementsprechend habe der Autor seine Variationen mit "korrespondierenden Paaren wie `Vergessen` und `Erinnern`" betitelt.
9.) Maarten t‘Hart: "Bach und ich" (Arche)
Der Titel des Buchs erscheint dem Rezensenten zwar ein wenig "unbescheiden", dennoch kann er sich für diesen Band durchaus begeistern. Offensichtlich hat er nicht erwartet, mit welcher Sachkenntnis der Autor (der bisher vor allem durch Romane bekannt geworden ist), hier zu Werke gegangen ist. So staunt Schacher über das ausgiebige Quellen- und Literaturstudium des Autors ebenso, wie über die Tatsache, dass das "Wohltemperierte Klavier" nach Angaben des Autors zu dessen "täglichem musikalischen Brot" gehört. Dass t‘Hart anhand von Bachs Orgel- und Klavierwerken "seine eigenen Entdeckungsreisen nachzeichnet", scheint dem Rezensenten ausnehmend gut zu gefallen.
10.) Andreas Liebert "Mein Vater, der Kantor Bach" (Lichtenberg/Droemersche Verlagsanstalt)
Schacher weist darauf hin, dass es sich bei diesem Buch um ein fiktives Tagebuch von Bachs Tocher Catharina Dorothea handelt. Das findet der Rezensent durchaus "spannend zu lesen". Liebert habe einerseits zahlreiche überlieferte Anekdoten zusammengetragen, andererseits die vielen Lücken in Bachs Biografie mit Phantasie "ausgefüllt". Dass Liebert auch auf Themen wie "Frauenemanzipation" oder Normenkonflikte eingangen ist, erleichtert nach Ansicht des Rezensenten die Identifikation "für die Leserschaft der heutigen Zeit".

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 23.03.2000

In Sachen Bach wird noch immer viel geforscht und ebenso viel verworfen, und es ist daher lobenswert, meint Wolfram Goertz, wenn im Turnus besonderer Anlässe wie Jahresfeiern auch die Bachforschung revidiert und frisch aufgearbeitet werde. Goertz bespricht drei neue Handbücher über den Komponisten.
1) Konrad Küster (Hrsg.): "Bach-Handbuch"
Das Handbuch sei vom Herausgeber "klug" in Werkgruppen unterteilt, lobt Goertz, denen "Grundsätzliches vorangestellt" sei. Besondere Erwähnung finden bei ihm Ulrich Siegles Aufsatz über "Bachs politisches Profil", der nahezu aberwitzige und kühne Behauptungen aufstelle, ohne an Glaubwürdigkeit oder Überzeugungskraft einzubüßen, wohingegen Martin Petzoldts theologische Suche bei Bach "voller Gemeinplätze" ausgefallen sei. In höchsten Tönen hingegen lobt Goertz die Abhandlung des Herausgebers über "Bachs Vokalmusik", mit der ihm "ein großer Wurf" gelungen sei. Gegenstand dieser Betrachtung ist Bachs inneres Verhältnis von Pflichtgefühl und Neigung.
2) Martin Elste: "Meilensteine der Bach-Interpretation 1750 bis 2000"
Unübersehbar ist die Flut an Interpretationen und Einspielungen von Bach-Stücken, klein aber fein sind die Änderungen, welche die Musizierpraxis in den vergangenen 250 Jahren seit Bachs Tod erfuhr. Ein lobenswertes Unterfangen also und "in vielen Jahren der Hörarbeit gewachsen", so Goertz über das Buch des passionierten Musiksammlers und - hörers Martin Elste. Ob vor dem Hintergrund der Romantik, der Sachlichkeit oder des Historizismus, der Autor stelle die Interpretationsgeschichte weitgehend "ohne Versäumnisse" dar. Daß dem Autor dabei allerdings die Einspielung Goulds der Goldberg-Variatonen von 1959 durch die Lappen gegangen sind, nimmt er ihm ein bißchen übel.
3) Michael Heinemann (Hrsg.): "Bach-Lexikon"
Kein gutes Haar läßt Goertz an diesem "Bach-Lexikon", für das immerhin 58 Autoren hinzugezogen wurden. Es strotze "von handwerklichen Mängeln und hanebüchenen Fehlurteilen", so der Rezensent, der verschiedene Beispiele als Beleg für seine Behauptung anzuführen weiß. Als positive Ausnahme läßt er einzig den Aufsatz des Herausgebers gelten, der sich "scharfsinnig" und keineswegs "liebedienerisch" zu Bachs Leipziger "Präfektenstreit" äußere. Für die Artikel seiner Kollegen sei Heinemann dann wohl die Zeit ausgegangen, mutmaßt Goertz. Das reicht nicht für eine Empfehlung.