Hannes Bajohr

(Berlin, Miami)

Cover: (Berlin, Miami)
Matthes und Seitz Berlin, Berlin 2023
ISBN 9783751870139
Kartoniert, 273 Seiten, 12,00 EUR

Klappentext

Die Welt in Hannes Bajohrs (Berlin, Miami) ist alles, was einer mit vier Gegenwartsromanen gespeisten KI zugefallen ist: ein namenloser Programmierer, der Listen daraufhin prüft, wer tot ist und wer nicht. Agenten der sogenannten Ãää-Firma, die Ãäängste schüren wollen. Die Gründung des niedrigen Kongresses auf Sylt. Kieferling und Teichenkopf. Lebensviren und Co-Yoga. Pechwörterworte, Sechs-Lame-Sprache und DER UNTERSCHIED. Was daraus generiert wird, ist Erzählung als bloßes Oberflächenphänomen, der irrwitzige Fiebertraum eines Sprachmodells, das Liebesgeschichten und Verschwörungsnarration simuliert, um sich - der Logik von Realität und Grammatik zum Trotz - umgehend selbst ins Wort zu fallen, an die Wand zu fahren und auch noch der letzten kausalen Klammer zu entledigen. Doch anstatt schlussendlich daraus aufzuwachen, wird die KI von Bajohr immer weiter angespornt, bis selbst der altbekannte Traum der Roboter von elektrischen Schafen platzen muss und so der Literatur gänzlich neue Rahmen steckt.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 31.01.2024

Dies ist "ein schräges, ein sehr unterhaltsames und zugleich höchst irritierendes Buch", beteuert Rezensent Guido Graf, seines Zeichens Professor für Literarisches Schreiben in Hildesheim, und das sind die einzigen Sätze, die klingen wie aus einer konventionellen Kritik zu einem konventionellen Roman. Denn dieser Roman ist ein Roman über digitale Literatur über einen Roman über digitale Literatur, der von Bajohr nicht "geschrieben", sondern beim Zurechtköcheln gewissermaßen nur beobachtet und abgeschmeckt wurde. Immerhin hat er die Vorgaben gemacht und Chat GPT mit einiger Ware aus dem aktuellen Literaturbetrieb gefüttert, so das der Code etwas ausspuckt, das ähnlich klingt. Graf ist überzeugt, erwähnt aber ein zweites Buch von Bajohr, "Quellcodekritik - Zur Philologie von Algorithmen" bei Mattes & Seitz, in dem Bajohr den logischen nächsten Schritt geht und fordert, dass Literaten Code lernen für weitere " sehr unterhaltsame und zugleich höchst irritierende Bücher".

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 09.12.2023

Rezensent André Hatting findet Hannes Bajohrs Buchexperiment spannend, wenn man es nicht als normalen Roman liest. Denn mit einer kohärenten oder nur grob verständlichen Handlung habe das Endprodukt von Bajohrs Experiment wenig zu tun: Der promovierte Sprachphilosoph habe verschiedene Textprogramme à la ChatGPT mit unfertigen Zeichen, Wörtern und Paragraphen gefüttert und diese von den Programmen vervollständigen lassen, wobei ein narratives Wirrwarr herausgekommen sei, das selbst eine andere KI am Ende nicht mehr zusammenfassen konnte - "nicht zugänglich" sei ihr der Text, wie Hatting die KI belustigt wiedergibt. Abseits der Verständlichkeit besteht für den Kritiker der Verdienst des Buchs aber in der Erkenntnis, das KIs zwar zu Kreativität und sogar Humor fähig sind - wie die fiktiven Figuren "Kieferling" und "Teichenkopf" zeigen -, aber dennoch im Grunde nicht erzählen können: Aneinanderreihungen von Geschehnissen ja, aber Begründungen und Zusammenhänge nein, meint Hatting. Ein dahingehend aufschlussreiches, manchmal gar "charmantes" Buch, dass zu viel Technikeuphorie in die Schranken weist, lobt der Kritiker.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 04.11.2023

Ziemlich fasziniert ist Rezensent Harald Staun von Hannes Bajohrs KI-Romanexperiment: Der Autor hat mit GPT-J und GPT-NeoX gearbeitet, Open-Source-Alternativen zu ChatGPT, erklärt Staun. In deren Datenbanken speiste er vier Gegenwartsromane ein, unter anderem "Pixeltänzer" von Berit Glanz und "Flexen in Miami" von Joshua Groß und ließ die KI daraus einen Roman schreiben, bei der er sie "wie in der Autovervollständigung von Suchmaschinen" ein wenig anleiten musste. Heraus kam eine bizarre, wenig kohärente Handlung, die Elemente der einzelnen Bücher erkennen lässt, verrät der Rezensent. Dafür weist der Text sprachlich eine Originalität auf, wie sie Staun in der Gegenwartsliteratur selten vorfindet - er findet hier herrlich schräge Wortneuschöpfungen wie "Gedankenstrumpfhose" oder "Pechwörterwort" vor. Dazu kommen poetische Tiefgründigkeiten,wenn der Ich-Erzähler beispielsweise darüber sinniert "wie lange ich schon ein Nichtmehr bin. Jeden Tag bin ich früher vorbei." Dieses Experiment ist also mitnichten gescheitert, sondern eröffnet interessante Perspektiven auf die Schaffenskraft künstlicher Intelligenz, meint Staun, das Ganze wird zudem ergänzt durch ein lesenswertes Nachwort des Autors.