Antje Ravik Strubel

Kältere Schichten der Luft

Roman
Cover: Kältere Schichten der Luft
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2007
ISBN 9783100751218
Gebunden, 200 Seiten, 17,90 EUR

Klappentext

Ein Kanu-Camp in Schweden. Hier arbeiten Aussteiger, Abenteuersuchende, Arbeitslose und Naturfreaks. Für einige Sommerwochen retten sie sich in eine kulturferne Landschaft. Auch Anja hat sich aus ihrem deutschen Kleinstadtalltag geflüchtet. Sie sucht Ruhe, doch sie wird überrascht von einer Leidenschaft: Eines Tages steht eine fremde junge Frau am See und legt Anja die Arme um den Hals und entführt sie in ein unbewohntes Haus. Sie gibt ihr den Namen ihres verlorenen Geliebten, des Schiffsjungen Schmoll. Doch der Zauber, die nachgeholte Unschuld dieser ersten Liebe, wird bald vergiftet durch den Argwohn und die Übergriffe der Campbewohner. Angst und Verstörung bedrohen nicht nur die Phantasien, sondern auch die Realität der beiden Frauen. Aus Aggression wird schließlich tödliche Gewalt.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.03.2007

Was den Plot dieses Romans nicht unbedingt auszeichnet ("Ostdeutsche Drop-outs" auf Identitätssuche), entdeckt Heinrich Detering um so mehr in der "suggestiven" Art der Erzählung: Kunst, Verstörung. Antje Ravic Strubels Roman nennt Detering darum auch ein "Sprachzauberkunststück". Und in dem geht es bald derart magisch zur Sache, dass der Rezensent die Orientierung zu verlieren droht. Toll daran: Er kann dabei zusehen, eine "Leseerfahrung" machen. Und er kann den kolportagehaften Start der Story und kleine Ausrutscher schnell vergessen. Bleibend für Detering ist der Eindruck von einem Risiko, das die Autorin gemeistert hat, und von einer Abgründe öffnenden Unruhe, die von dieser Prosa ausgeht.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 21.03.2007

Gruppenzwang, latente Gewaltbereitschaft sowie der Entwurf einer utopischen Erotik sind die Themen des neuen Romans von Antje Ravic Strubel, der von Ina Hartwig ein "erstaunliches Talent" bescheinigt wird. Psychologisches Gespür, verblüffender Realismus und eine perfekte Montage setzen die temporeiche Erzählung über eine erzwungene Gemeinschaft in einem schwedischen Zeltlager in Szene. Vor allem jedoch ist es die Konstruktion der ineinander greifenden Spannungsebenen, die die Rezensentin von der ersten bis zur letzten Seite geglückt findet: Ost trifft auf West, Frau trifft auf Frau, die sich wiederum als Junge imaginiert. In der undefinierbaren Liebe zwischen Anja und Siri, die sowohl eine bloß vorgestellte Verjüngung wie auch eine Geschlechtsverwandlung zur Voraussetzung hat, sieht sie den mutigen, weil riskanten Versuch, "eine erotische Utopie poetisch auszuformulieren".

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 20.03.2007

Helmut Böttiger zeigt sich fasziniert von diesem Roman, der zwei Erzählebenen vorweist: die realistische Schilderung eines schwedischen Sommercamps für Jugendliche, die immer wieder von traumhaften Sequenzen unterbrochen wird, in denen die Protagonistin Anja einem mysteriösen "Mädchen im Kleid" begegnet. Mehrmals kommt Böttiger auf das Bild einer Kamera zurück, um die Erzählweise von Antje Ravic Strubel zu beschreiben: während der nüchterne Alltag der Arbeit im Camp wie mit der Handkamera gefilmt erscheint, denkt der Rezensent bei den traumartigen Passagen an langsame Kamerafahrten und aufwendige Einstellungen von Licht und Perspektive. In der Konfrontation der erotisch aufgeladenen Traumwelt mit der Ferienlagerwelt wird der Roman zu einer "Ausgrenzungsgeschichte", in der die Hauptfigur wegen ihrer sexuelle Orientierung erst geschnitten und dann vergewaltigt wird, verrät der Rezensent. Hier wird ihm manches, was er zuvor als große Andeutungskunst genossen hat, zu plakativ und begrifflich zementiert, wie er moniert, und auch der Schluss enttäuscht ihn in dieser Hinsicht. Dennoch betont Böttiger, dass sich in der Autorin eine Ausnahmeerscheinung zeigt, die sich wohltuend und faszinierend von der Literatur deutschsprachiger Nachwuchsautoren abhebt.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 17.03.2007

Als "hochkomplex" und reines Lesevergnügen feiert Rezensentin Beatrix Langner diesen "kleinen, muskulösen Roman". Man könne ihn wahlweise als "Transgenderromanze, Comingout-Thrill" mit Toten oder "Feenmärchen aus den schwedischen Wäldern" bezeichnen. Allerdings warnt die Rezensentin davor, es bei diesen Lesarten zu belassen, da einem dann womöglich die höchst raffinierte Verbindung, die diese Autorin zwischen erotischer und gedanklicher Komplexität geschaffen habe, entgehen könne. Kurz umreißt die Rezensentin den Plot, dessen Schauplatz sie als deutsches Sommercamp für Jugendliche in den schwedischen Wäldern beschreibt, wo sich eine Frau um die dreißig in eine Art Troll verliebt, der im Verlauf der Handlung sein Geschlecht wechselt. Bei der Beschreibung dieser ungewöhnlichen Liebesaffäre nimmt die Rezensentin mit Genuss auch ein paar Kitschelemente zur Kenntnis. Was das Buch jedoch für sie zum Ereignis macht, ist der Versuch, eine literarische Sprache für die lesbische Liebe zu finden.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 01.03.2007

Einen sehr guten Eindruck hat Rezensentin Katharina Döbler von diesem Roman, den sie als Liebesroman, Krimi und Gesellschaftsroman gelesen hat. Aus ihrer Sicht hat das Buch "vieles, was sich heute literarisch gut verkaufen" lässt. Trotzdem sei alles ganz anders, weil es Antje Ravic Strubel gelungen sei, Romantik und Zeitkritik auf verblüffende Weise zusammen zu denken. Es geht, wie wir lesen, um eine Gruppe von "Losern und Entwurzelten aus dem deutschen Osten", die in Schweden zum Personal eines Camps gehören, das "Wildniserfahrung mit Null Komfort" anbietet. Darunter ist Döbler zufolge auch die Erzählerin, die sich im Lauf der Handlung aus Liebe zu einer Frau in einen Jungen verwandelt. All das ist aus Sicht der Rezensentin sehr verführerisch zusammengesponnen, ohne dass es je zum Schwelgen in großen Gefühlen oder Peinlichkeiten kommt. Für Döbler ist das Buch eine Art "verfeinerte" und aktualisierte Version von Goldings "Herr der Fliegen".

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 24.02.2007

Zwiespältig findet Rezensent Oliver Pfohlmann Anja Ravic Strubels neuen Roman, bei dem es sich seinen Informationen zufolge um eine Transgendergeschichte handelt. Zwar hält er das Buch für grundsätzlich nicht uninteressant, insgesamt scheint die Mischung aus "soldider, unspektakulärer Prosa", Outdoor-Romantik und etwas dick aufgetragenen Gewaltszenen aber wohl auch gewisse Unverträglichkeiten mit sich zu bringen. Im Zentrum steht eine junge Frau namens Anja, die für eine andere Frau ihr Geschlecht aufgibt. Wie schon in Ravic Strubels letztem Roman "Tupolew 134" spürt der Rezensent auch hier das Ost-West-Thema als Grundierung der Geschichte. Stärker und plakativer aber spürt er hier noch Ravic Strubels eigentliches Schreibthema, nämlich die Frage nach der Möglichkeit der Überwindung eingefahrener Identitäts- und Lebensmuster. Nur dass im vorliegenden Fall die Umsetzung nicht so ganz überzeugend ausgefallen zu sein scheint.