Magazinrundschau

So etwas wie ein Wunderkind

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Freitag Mittag.
31.01.2014. Washingtonian sucht den Mörder von Daniel Pearl. n+1 hört boeremusiek. Im Merkur macht Horst Meier kurzen Prozess mit dem Verfassungsschutz. In Vice erzählt Moe Tucker, wie sie das Trommeln lernte. Der Guardian schildert den Krieg Putins gegen die Moderne. Das New York Magazine trifft Chen Guangbiao, möglicherweise eines Tages Besitzer der New York Times. In Eurozine beharrt Jason Wilson darauf: Es gibt nicht für jedes Problem eine Lösung.

Washingtonian (USA), 01.02.2014

Für einen langen und sehr traurigen Text erinnert sich Asra Q. Nomani an ihren Kollegen Daniel Pearl, der vor zwölf Jahren in Karachi von Islamisten vor laufender Kamera enthauptet wurde. Sie selbst war damals in Karachi stationiert, um für ein Buch zu recherchieren und war eine der eltzten, die ihn gesehen hat: "An jenem Nachmittag krähte ein Schwarm grüner Papageien über unseren Köpfen und der Duft von Jasmin füllte die Lust. Mariane (Pearls Frau) und ich standen vor meinem Haus in der Zamzama Street und sahen Dannys Texi hinterher. 'See you later, buddy', sagte ich... Nicht in unseren schlimmsten Alpträumen konnten wir ausmalen, was dann geschah." Nomani erzählt in ihrem Text, wie sie über Jahre versuchte, die Schuldigen an dem Mord zu finden - während die Washingtoner Behörden nicht allzu interessiert an dieser Frage schienen.
Archiv: Washingtonian
Stichwörter: Duft, Pearl, Daniel

n+1 (USA), 21.01.2014

Südafrika erlebt ein Revival der boeremusiek, einer traditionellen Musikform, die bislang als Schöpfung der weißen Afrikaner galt. Die Musikwissenschaftlerin Willemien Froneman fordert diesen Konsens heraus und beschreibt boeremusiek als eine "Gattung von historisch apolitischem Charakter und ethnisch hybriden Anfängen." In n+1 beleuchtet Trevor Sacks diese Anfänge und findet Fronemans Befund plausibel: "Wenn man ein weißer Farmer in der Kapkolonie des 18. oder 19. Jahrhunderts war und eine Party schmeißen wollte, dann musste man mit großer Wahrscheinlichkeit eine Band aus Sklaven oder Dienern mit eher dunklerer Farbpigmentierung als der eigenen zusammenstellen. Diese Band spielte dann dieselben Walzer und Polkas, nach denen die Leute in Europa verrückt waren, aber sie filterte die Musik mit der Empfindsamkeit der Sklaven, der Khoisan, Indonesier, Inder, Malagasy und vielleicht Xhosa, die ihre eigene musikalische Tradition und Ästhetik mitbrachten."
Archiv: n+1

Merkur (Deutschland), 01.01.1970

Im soeben erschienenen Merkur präsentiert der Hamburger Jurist Horst Meier eine Pleiten-Pech-und-Pannen-Parade des Verfassungsschutzes und kommt zu einem eindeutigen Ergebnis: "Ein Geheimdienst, der von Anbeginn keine sinnvolle Aufgabe hatte und regelmäßig Skandale hervorbringt, der notorisch die Bürgerrechte sogenannter Extremisten beeinträchtigt und der, wenn es darauf ankommt, als 'Frühwarnsystem' versagt - ein solcher Geheimdienst ist überflüssig."

Online lesen kann man außerdem im aktuellen Merkur Ute Sackofskys Kolumne "Das Märchen vom Untergang der Familie".
Archiv: Merkur

Vice (USA), 21.01.2014

Moe Tucker war die erste bekannte Drummerin in der Geschichte der populären Musik. Und dann auch noch bei dieser Band: Velvet Underground. Bei Vice erzählt sie, dass das damals keine so große Sache war. Sie dachte nicht darüber nach, sie tat es einfach, nachdem sie die Rolling Stones auf der Heimfahrt von der Arbeit im Radio gehört und sich die Platte gekauft hatte. "Später dann dachte ich, "also das macht keinen Spaß so. Ich muss etwas zu tun haben, während ich mir das anhöre", so kaufte ich mir eine kleine Trommel. Ich war 19 oder 20 Jahre alt. Ungefähr eine Woche später brachte mir Dot Parkers Schwester ein kleines Becken mit einem kleinen Ständern, den man an der Trommel einhaken konnte. Da hatte ich also dieses Becken und die Trommel und Junge, ich habe manchmal acht Stunden gespielt, ehrlich war, immer dasselbe, wieder und wieder. So habe ich angefangen. Ich kannte keine anderen Mädchen, die Schlagzeug spielten, aber das hat mich nie gekümmert. Es war kein Thema. Niemand hat je eine Bemerkung darüber gemacht. Es war keine große Sache. Heute scheint das ungewöhnlicher zu sein."
Archiv: Vice

Guardian (UK), 24.01.2014

Masha Gessen beschreibt in einer beeindruckenden Reportage, was die beiden Musikerinnen von Pussy-Riot, Maria Aljochina und Nadeschda Tolokonnikowa, während ihrer Haft aushalten mussten und wie sie dabei zu Anwältinnen und Dissidentinnen einer Justizreform wurden. Aber auch Putins Regime habe sich geändert: "In diesem Moment seiner Geschichte ist Russland zugleich viel düsterer und kontrastreicher: Putin und die Kirche haben nicht nur der Opposition den Krieg erklärt, sondern der Moderne selbst. Der Prozess gegen Pussy Riot war die erste große Schlacht dieses Kriegs. Während ich mit Nadja und Maria im Gefängnis korrespondierte und beobachtete, wie sie bei den Gerichtsanhörungen kämpften, die den großen Prozessen folgten, fragte ich mich, ob sie gewappnet wären für die Realität, die sie nach ihrer Freilassung erwarten würde. Selten hat sich ein Land - schon gar nicht Russland - in zwei Jahren so grundlegend verändert."
Archiv: Guardian

New York Magazine (USA), 03.02.2014

Er nennt sich selbst das "größte lebende Vorbild und den prominentesten Menschenfreund Chinas". Jessica Pressler trifft den Mann, der die New York Times kaufen will, den Recyclingkönig und Möchtergernmedientycoon Chen Guangbiao. Bei der Times ist man nicht froh. Schließlich ist bekannt, dass China sich eine "gute Presse", gern einfach erkauft, in Afrika etwa. In so einer Zeitung steht dann nichts mehr über Tiananmen oder Tibet, und die Staatsgeschäfte blühen, meldet die für Pressefreiheit streitende NGO Freedom House. Doch sind das wirklich Chens Absichten? "Sein wahres Ziel könnte sein, Aufmerksamkeit zu erregen und gegen die in China seit 1999 verbotene Falun Gong Bewegung zu agitieren, die in den USA viele Anhänger hat … Auch, wenn er das nicht erreichen wird, die Aufmerksamkeit hat er schon." Was hiermit bewiesen wäre.

Die Cover Story widmet sich dem Versuch einer feindlichen Übernahme. Offenbar ist New Yorks Fauna um einen Vertreter einer besonders robusten Spezies reicher. Periplaneta japonica, die japanische Kakerlake hat es geschafft, den Pazifik zu überqueren, und sie ist winterhart. Laut Lee Siegel womöglich der Beginn einer wunderbaren neuen Beziehung für die New Yorker.

Le Monde (Frankreich), 29.01.2014

Paris ist zu einer Bonbonschachtel geworden, die an alle, die haben - Touristen und bessere Schichten der Hauptstadt - ihre Süßigkeiten verteilt und den Rest der Bevölkerung in die Banlieue verbannt. Das Hauptthema des Kampfs um das Pariser Bürgermeisteramt muss also die Verhinderung eines weiteren "Embourgeoisement" der Haupstadt sein, meint Le Monde und verweist auf Anne Clervals Buch "Paris sans le peuple" (La Découverte, 2013). Auf einer ganzen Seite diskutieren überdies die Autoren Eric Hazan und Philippe Meyer, der folgende Sachlage schildert: "Gewiss, Paris ist nicht die einzige europäische Metropole, die eine Gentrification erlebt, aber Paris ist sehr speziell, eine Stadt von hundert Quadratkilometern mit 20.000 Einwohnern pro Quadratkilometer. Wenn man die Gentrification in London oder Berlin beklagt, dann spricht man über Städte, deren Bevölkerungsdichte (4.800 in London, 3.800 in Berlin) den Wandel weniger gewaltsam und rapide macht. Überdies haben London oder Berlin nicht alle anderen Städte ihrer Länder an den Rand gedrängt."
Archiv: Le Monde
Stichwörter: Banlieue

Bloomberg Businessweek (USA), 03.02.2014

Dune Lawrence blickt hinter die Kulissen von Tor - jenes Netzwerks zur Verschlüsselung digitaler Kommunikation, das selbst die NSA zu ihrer Verzweiflung nicht knacken kann (man weiß über die Verzweiflung dank einiger von Edgar Snowden geleakter Dokumente): "Das Hauptquartier von Tor belegt einen Raum in einem Heim des Vereins christlicher junger Frauen (YWCA) in Cambridge, Massachusetts. Nachbar ist ein Frauenhaus, das Opfern häuslicher Gewalt hilft. Die 33 'Kernpersonen', die auf der Website von Tor benannt werden, sind neun Vollzeitangestellte. die meisten arbeiten von zu Hause aus mit. Das Projekt lebt zum größten Teil vom Crowdsourcing: Hunderte Freiwilliger auf der ganzen Welt arbeiten an der Verbesserung der Tor-Software und versuchen Zensoren wie jenen aus China stets einen Schritt voraus zu bleiben - China hat enorme Mittel eingesetzt, um Tools gegen Zensur - inklusive Tor - zu bekämpfen."

Interview (USA), 01.02.2014

Wer Antworten wie die unten zitierte aushält, der kann auch ein langes Interview lesen, das "12 Years a Slave"- Regisseur Steve McQueen für Interview mit Kanye West geführt hat. McQueens Frage: Wie hältst du es mit der visuellen Seite Deiner Kunst? Antwort: "Nun, ich bin ein ausgebildeter bildender Künstler. Seit ich fünf Jahre alt bin, gehe ich auf Kunstschulen. Ich war so etwas wie ein Wunderkind in Chicago. Mit 14 Jahren habe ich landesweite Wettbewerbe mitgemacht. Ich habe drei Stipendien für Kunstschulen gewonnen: in St. Xavier, in der American Academy of Art und im Art Institute of Chicago - schließlich ging ich zur American Academy of Art."
Archiv: Interview

Eurozine (Österreich), 23.01.2014

Jason Wilson nimmt das bei den TED Talks vorherrschende unpolitische Denken auseinander, nach dem es für jedes Problem eine Lösung gibt, wenn wir nur den richtigen Algorithmus finden: "Alle teilen eine gemeinsames Narrativ: Ein Problem, das in seiner derzeitigen Form schon seit Urzeiten besteht, wird gelöst, wenn jemand gegen die eigene Intuition und über den eigenen Tellerrand hinaus denkt, oder wenn ein cleverer Computerfreak einen neuen Blick auf die Daten wirft. Als Struktur entfesselt das die politische Fantasie: Dass Individuen komplexe Ereignisse beherrschen und verändern können, ohne sich über Werte und Ressourcen ernsthaft auseinandersetzen zu müssen. Aber wie die meisten Erwachsenen wissen, ist die Welt selten so für den Willen einzelner empfänglich. Historisch gesehen kamen die größten Veränderungen durch gesellschaftliche Bewegungen und ein gemeinsames abgestimmtes Handeln - das heißt auch, durch Konflikte und Verhandlungen."
Archiv: Eurozine

digg (USA), 15.01.2014

Warum werden manche Fotos und Videos im Internet millionenfach angeklickt und weiterverbreitet? Und warum geschieht das so gut wie nie mit Audiodateien? Diesen Fragen geht Stan Alcorn in einem (auch dank zahlreicher Beispiellinks) sehr unterhaltsamen Artikel auf digg.com nach und kommt zu dem Ergebnis, dass die "abgelenkte, ungeduldige Menge" der Netznutzer mit Tondateien nichts Rechtes anzufangen weiß: "Vielleicht optimiert Facebook seine Algorithmen zugunsten von Audio. Vielleicht erschaffen SoundCloud oder PRZ oder Apple eine soziale Alternative zum Podcasting. 'Vielleicht erfindet ja jemand eine App, mit der man Audio sharen kann wie Fotos mit Snapchat', schlägt Seth Lind von der Radiosendung This American Life vor. 'Das wird aber ganz sicher nicht passieren', fügt er schnell hinzu, um sicherzustellen, dass ich verstehe, dass er scherzt. 'Wenn es sich nicht für Pornografie eignet, wird es nie die beliebteste Sache im Netz."
Archiv: digg

New York Times (USA), 26.01.2014

Stephen Lee Myers schreibt gerade an einer Putin-Biografie. Wer bei den Olympischen Winterspielen gewinnt, findet er bei seinen Recherchen in Sotschi heraus. Demnach sind die bisher teuersten Spiele die Ausgeburt sowjetischer Großmannssucht eines gewissen Putin. Ökonomisch stimulierend sei der 51-Milliarden-Wahnsinn (300 neue Straßenkilometer, 24.000 Hotelbetten, die weltgrößte Kunstschneeanlage etc.) bei realistischer Betrachtung nur für Putins Oligarchen. Der Demokrat Boris Nemtsov nennt die Spiele darum ein "Fest der Korruption". Alles, von der Ortswahl bis zur Architektur, sei unter Ausschluss der Öffentlichkeit entschieden worden. Auch das genau Ausmaß der arbeitsrechtlichen und der Umweltvergehen wird wohl unbekannt bleiben, gibt Myers zu verstehen. NGOs, wie der "Environmental Watch on the North Caucasus" werden systematisch in ihrer Arbeit behindert und eingeschüchtert: "Dennoch werden die Spiele wohl ein Erfolg für Putin werden. Außer, der Terror sucht Sotschi heim."

Jason Zinoman untersucht die schwarzhumorige Seite von David O'Russels "American Hustle" und Martin Scorseses "The Wolf of Wallstreet". Zu letzterem meint er: Oft generiere die Kluft zwischen Jordan Belforts (DiCaprio) Sicht der Dinge und der Realität den Witz. "Belfort verdient sein Geld, indem er andere hinters Licht führt, doch er ist auch ein Trottel. In einer 10-minütigen Szene nimmt er Methaqualon und wird zum Primaten. Sein Gesicht verzerrt sich, er sabbert und seine Beine sind so lappig, dass es aussieht, als versuchte ein Fisch zu laufen."
Archiv: New York Times