9punkt - Die Debattenrundschau

Kommentierter Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

Juli 2023

Die Leiden von Fabian

31.07.2023. Putin sucht nicht nach einem Ausweg aus seinem katastrophalen Krieg, sondern bereitet sich im Gegenteil intensiv auf seine Ausweitung vor, schreibt der Politologe Alexander Gabuev  in der Financial Times. Unterdessen expandieren Putins wichtigste Bündnispartner im Westen, die Rechtsextremen. Die Gefahr dabei ist nicht ein neuer Faschismus, sondern die Normalisierung rechtsextremer Diskurse, meint Kenan Malik im Observer. Can Dündar zeigt in Zeit online am türkischen Beispiel , wie eine solche Normalisierung funktioniert. Ebendort analysiert Meron Mendel den Casus Fabian Wolff.

Immer nüchtern, immer auf Inklusion bedacht

29.07.2023. Mariupol ist zerbombt und von der Bevölkerung verlassen. Sonja Margolina erzählt in der NZZ, wie Putin die Stadt als Potemkinsches Dorf wieder aufbauen will. "Depubliziert": Fabian Wolff existiert nicht mehr, zumindest nicht als Autor de Süddeutschen Zeitung bei sueddeutsche.de, hat die Jüdische Allgemeine herausgefunden. Das Ruhr Museum Essen zeigt eine Ausstellung über die Ruhrbesetzung 1923 bis 1925. Die FAZ erzählt wie die extreme Rechte hier ihr Instrumentarium schärfte.

Ein unbestimmtes Dagegensein

28.07.2023. Die Politologin Natascha Strobl warnt in der SZ davor, die Bedeutung der AfD "ins Unermessliche" zu überhöhen. Die FAZ zieht Bilanz nach einem Jahr RBB-Skandal: Leute aus der zweiten Reihe müssen es jetzt richten. "Fabian Wolff ist eigentlich der Antisemit, der er nicht sein will", sagt die Historikerin Barbara Steiner in der Jüdischen Allgemeinen. Ebendort antwortet Michael Wolffsohn auf Eva Menasse.

Das Um-zu-Motiv

27.07.2023. SZ-Autor Ronen Steinke besucht den Verfassungsblogger Maximilian Steinbeis, der mit einem Projekt herausfinden will, wie Rechtsextreme den Staat aushebeln wollen - aber bringt er sie damit nicht auf Ideen? Timothy Garton Ash warnt die deutsche Politik bei t-online.de: Mit "weiter so" geht's nur weiter bergab. Güner Balci erklärt in der Zeit, warum die Vielfalt im Neuköllner Columbiabad unbedingt geschützt werden muss.

Nervöse Stimmung

26.07.2023. In der Welt kritisiert der Philosoph Arnd Pollmann das Schweigen Deutschlands zur Lieferung von Streumunition an die Ukraine. Die taz berichtet von sehr müden Ukrainern beim Kongress der "Anarchistischen Internationale", die Belehrungen satt haben, ob und wie sie sich verteidigen dürfen. Die FR beobachtet, wie Überwachung den sozialen Raum der Städte vernichtet. In der taz erklärt der israelische Veteran Yiftach Golob, warum die Justizreform die Start-up-Nation Israel bedroht.

Lügen und Geheimnisse

25.07.2023. In der FAZ fragt sich David Grossman, ob der Streit um die umstrittene Justizreform in Israel endlich die Illusionen in Israel zum Platzen bringen kann. Die Welt fragt sich, warum die Regierung eigentlich von Bonn nach Berlin gezogen ist, wenn sie in Berlin den Ostdeutschen auch nicht näher kommt? Jetzt hat also auch der Westen sein Sascha Arschloch, notieren die Ruhrbarone mit Blick auf Fabian Wolff. Große Aufregung um das Sommerinterview von Friedrich Merz: Er zündelt, warnt die taz. Interaktionen mit der AfD in Kommunalparlamenten gibts schon seit Jahren, auch von Seiten der SPD, erinnert der Soziologe David Begrich im Tagesspiegel.

Das Publikum gehört immer mit dazu

24.07.2023. Auch innerhalb Russlands nimmt Gewalt zu, konstatieren taz und FAZ - Opfer sind Homosexuelle und Frauen. Im Tagesspiegel fordert der Politologe Andreas Umland nach der Kündigung des Getreideabkommens eine vom Westen durchzusetzende Flugverbotszone über der Ukraine. taz und FAZ erinnern an die "Bombenbrandschrumpfleichen" in Hamburg nach dem "Feuersturm" vor achtzig Jahren.

Aufs Äußerste instrumentalisierte Identität

22.07.2023. Überall wird gerätselt, warum die AfD so stark ist. Es liegt an Corona, meint der Soziologe  Klaus Hurrelmann in der SZ. Die AfD-Wähler sind nur unzufrieden mit den anderen Parteien, meint Hubertus Knabe in der FAZ. Wenn man mit ihren Wählern redet, und zwar kräftig, verschwindet die Partei, empfiehlt der sächsische Landrat Dirk Neubauer in der taz. In der FAZ rät die EU-Politikerin Francesca Bria zu einem europäischen Twitter. In der NZZ warnt Michi Strausfeld vor dem chinesischen Einfluss in Lateinamerika.

Aus freien Stücken und voller Überzeugung

21.07.2023. Der Ukraine-Krieg kam nicht aus dem Nichts: Deutschland, Europa, der Westen wussten genau, mit wem sie es bei Putin zu tun haben, schreibt Bernd Rheinberg bei den Salonkolumnisten. 9.000 amerikanische Autoren protestieren in einem offenen Brief an die Fürsten der Tech-Konzerne gegen Künstliche Intelligenz, berichtet unter anderem die FAZ. Verästelungen des blühenden illegalen Antikenhandels reichen laut taz bis in die vornehmsten Kulturinstitute. Und bei der Debatte um Fabian Wolff wird gefragt, warum Zeit online dem Autor überhaupt so viel Raum gab.

Antidot gegen das Dingfeste

20.07.2023. Eva Menasse rechnet in der Zeit mit den Holocaust-fixierten Deutschen und der partikularistischen jüdischen Gemeinde ab - und BDS, hat sie von linken Israelis, die nach Berlin emigrierten, gelernt, ist die friedliche Alternative zur Hamas. Fabian Wolffs Geschichte ist schrecklich und tragisch, findet Sebastian Leber im Tagesspiegel, nur schade, dass er in seinem ausufernden Zeit-Text kein Wort darüber verliert, "was er mit seinen provokanten politischen Äußerungen angerichtet hat". Hat Egon Bahr mit den reaktionärsten Betonköpfen in Moskau konspiriert, um die Bürgerbewegungen in Osteuropa und dann gar die Wiedervereinigung zu sabotieren? Gerhart Baum says so!

Das vermutete Empörungspotenzial

19.07.2023. In der taz plädiert Georg Seeßlen für eine Ökologie des Denkens. Der Guardian würde gern den Vorwurf des "Ausverkaufs" wiederbeleben, um die Popmusik zu revitalisieren. Die FAZ fragt sich, ob die Spanierinnen am Sonntag zur Wahl gehen werden, die von allen Parteien im Stich gelassen wurden. NZZ und Jüdische Allgemeine widmen sich dem Phänomen des "richtigen" Juden Fabian Wolff, der ein falscher war. Hpd fragt, wie lange der Staat noch die Kirchensteuer einziehen will.

Wir sind froh, dass Sie glücklich sind

18.07.2023. Der Tagesspiegel erzählt eine Geschichte der sowjetischen und russischen Giftmorde. Die Jüdische Allgemeine empört sich über den "Hochstapler" Fabian Wolff. In der NZZ  warnt Ayaan Hirsi Ali vor Woken, die einen eigenen Gottesstaat errichten wollten. Die FAZ erkennt auf einer Plantage in Florida, wie der Kampf gegen Wokeismus die Geschichte verfälschen kann. Der neue nigerianische Präsident Bola Tinubu hat Oba Ewuare II. zur Rückgewinnung der Benin-Bronzen beglückwünscht und will ihn beim Bau eines Palastmuseums unterstützen, meldet die Berliner Zeitung.

Speerspitze einer revolutionären Idee

17.07.2023. Er sei mit dem sprichwörtlichen gepackten Koffer unterm Bett aufgewachsen, hatte der bekannte jüdische Intellektuelle Fabian Wolff vor zwei Jahren in einem langen Zeit-Online-Essay geschrieben, der die deutsche Linke seinerzeit begeisterte, dabei gab es nur ein  Problem: Wolff ist ein Goj, wie er wiederum ausufernd in Zeit online darlegt. Die "Letzte Generation" hat mit der basisdemokratischen Geschichte von Umweltbewegungen nichts zu tun, sagt die Psychologin Maria-Christina Nimmerfroh in der FAS, sondern im Gegenteil: sie funktioniert strikt hierarchisch. Nützen Sanktionen eher den Sanktionierten, fragt die NZZ.

Nicht explizit menschenfeindlich

15.07.2023. In der NZZ warnt der Historiker Rasim Marz vor neuen ethnischen Konflikten und der Machtausbreitung der Türkei auf dem Balkan. Die SZ ist nach den Urteilen zur Friedrich-Affäre entsetzt über die Auffassung der Gerichte vom Pressekodex. "Seit wann entscheidet der Hehler oder der Dieb, was mit dem Gut passiert?", winkt Claudia Roth in der FR Kritik an der Rückgabe der Benin-Bronzen ab. SZ und ZeitOnline hätten sich vom Rat der deutschen Rechtschreibung eine Entscheidung in Sachen Gendern gewünscht, die den Kulturkampf endlich beendet.

Aus verständlichen historischen Gründen

14.07.2023. Muriel Asseburg von der Stiftung Wissenschaft und Politik war wegen ihrer israelkritischen Äußerungen kritisiert worden. Sie verteidigt sich im Spiegel-Gespräch. Die taz unterstützt ihre Position. Fassungslos blickt die FAZ auf das "Geschwurbel" des Berliner-Zeitung-Verlegers Holger Friedrich zum Quellenschutz. Im Tagesspiegel erklärt Sabine Krome vom Rat für deutsche Rechtschreibung: Zu viel Gendern könnte die Sprache beschädigen. Die SZ macht mit Historiker Jürgen Luh klar: Kronprinz Wilhelm war kein Zwerg.

Bin ich ein Akteur, der einfach draufloslebt?

13.07.2023.  Wenn Archäologen in der Türkei forschen, sollten sie besser türkische Tabus über den Völkermord an den Armeniern respektieren, berichtet die FAZ - ein amerikanischer Archäologe prangert das Schweigekartell an, ein deutscher verteidigt es. Ahmad Mansour erklärt in der Zeit, warum er Antisemitismus in der Deutschen Welle als Antisemitismus bezeichnet: "Was hätten wir machen sollen? Antisemitismus leugnen?" Holger Friedrich hat sich selbst bei Julian Reichelt eingeschmeichelt, bervor er dessen Informationen an Springer weiterreichte, berichtet die Zeit. Der neue Shooting Star der French Theory ist Däne, heißt Nikolaj Schultz und schreibt über seine Großmutter. Die Zeit porträtiert ihn.

Anderthalbtausend likes

12.07.2023. Die FAZ entdeckt im kanadischen Crawfordsee den Golden Spike, den Ort, an dem der Beginn des Anthropozäns belegt werden kann. Die SZ protokolliert die Twitter-Hatz gegen Ahmad Mansour. Außerdem erinnert die SZ angesichts der Ränkespiele im russischen Militär an die Enthauptung der Roten Armee unter Stalin. Die taz erlebt in Saudi-Arabien, dass die Formel Brot und Spiele auch im modernen Nation-Branding gilt. Die FR präsentiert mit der nordkoreanischen Herrscherschwester Kim Yo-jong die erste nukleare Despotin der Welt.

Das Adrenalin des Widerstands

11.07.2023. Die taz fragt, warum sich der Westen in Srebrenica schon wieder von serbischen Nationalisten auf der Nase herumtanzen lässt. Im Guardian fordert Timothy Garton Ash von der Nato einen Energieschub für die Ukraine. Auf ZeitOnline schildert die Journalistin Sabina Brilo den seit drei Jahren andauernden Raubzug der belarussischen Sicherheitskräfte. In Le Monde rechnet Thomas Piketty vor, wie Banlieue und ländliche Regionen in Frankreich gleichermaßen abgehängt wurden.

Immer überaus sachlich

10.07.2023. Vor sechzig Jahren erfand Egon Bahr die Formel "Wandel durch Annäherung" - Heinrich August Winkler analysiert in der FAZ ihre Höhen und Tiefen. Auf Twitter tobt ein Streit um die Politologin Muriel Asseburg, die Israels Eingreifen in den besetzten Gebieten mit dem russischen Angriff auf die Ukraine gleichsetzte - wie legitim ist ihre Kritik am angeblichen Einfluss der israelischen Regierung auf Deutschland, fragen FAZ und Zeit online. Richard Herzinger warnt in seinem Blog vor neuen Kriegsgefahren aus Belarus. Im Observer konstatiert Kenan Malik das Versagen sowohl der amerikanischen als auch der französischen Integrationspolitiik.

Wir sind hundert Millionen

08.07.2023. Immer verzweifelter klingt Bülent Mumays FAZ-Kolumne - Erdogan verschärft die Repression weiter, nur Deutschland wird profitieren. In der taz nimmt Marcel Lepper noch einmal die rechtsextremen Netzwerke in der Carl-Friedrich-von-Siemens-Stiftung unter die Lupe. In Unherd fürchtet der der Terrorismusexperte Liam Duffy eine Zunahme islamistischer Terrorakte gegen "Blasphemie". Mena-Watch notiert, dass der französische Bildungsminister vor einem Parlamentsausschuss zu Samuel Paty nicht einmal das Wort "Islamismus" aussprach. Die RBB-Krise soll durch eine ehemalige Regierungssprecherin gelöst werden - die SZ prangert die porösere Membran zwischen Journalismus und PR an.

Irritation und Dissens

07.07.2023. In der taz erinnert der tschetschenische Aktivist Abubakar Jangulbajew an die Kriege, mit denen alles anfing: die Kriege gegen Tschetschenien. Die Taliban machen es einem leicht, Afghanistan zu vergessen, schreibt Theresa Breuer ebenfalls in der taz - aber für die afghanischen Frauen haben sie die Hölle geschaffen. In der NZZ sehnt sich Jochen Hörisch nach Philosophen mit Stil. Die SZ resümiert den Streit in der feministischen Organisation "Terre des femmes".

Die Alternative ist, dass wir nett sind

06.07.2023. Die Welt beleuchtet die Machenschaften des "französischen Trump der Medien" Vincent Bolloré. Die taz erzählt die Geschichte des Ryyan Alshebl, der vor acht Jahren als Flüchtling aus Syrien kam und nun Bürgermeister der 2.500-Seelen-Gemeinde Ostelsheim in Schwaben ist. Für die FAZ besucht Ines Geipel den AfD-Landkreis Sonneberg und stellt fest: "Wo das Extrem einst stattfand, ist es unter entsprechendem Druck wieder aufrufbar." Im Tagesspiegel stellt der  Neurowissenschaftler Anil Seth die Frage der Fragen: Wird KI ein Bewusstsein entwickeln?

Sie warteten schon am Flughafen

05.07.2023. In der Novaya Gazeta Europe berichtet die Reporterin Elena Milaschina, wie sie und der Anwalt Alexander Nemow in Grosny von einem organisierten Schlägertrupp überfallen wurde. In der SZ ruft Bernard-Henri Lévy das wütende Frankreich auf, dem Wind des Wahnsinns zu widerstehen. In der taz erklärt die Kulturtheoretikerin Catherine Liu die Obsession linker Akademiker mit Kultur und richtigem Sprechen als Folge ihres Angestelltendaseins. Perlentaucher Thierry Chervel erkennt in dem Angriff auf Ahmad Mansour das Muster linker Rufmordkampagnen.

Komm, Behemoth, gib uns den Roman

04.07.2023. Russische Manuskripte brennen vielleicht nicht, ukrainische schon, schrieb die getötete Schriftstellerin Victoria Amelina vor einem Jahr. Eurozine bringt noch einmal ihren bitteren Text über die Zerstörung der ukrainischen Kultur. Im Guardian mahnt Amelinas Kollegin Natalja Gumenjuk, die russischen Angriffe auf zivile Ziele in Kramatorsk nicht hinzunehmen: Es sind Kriegsverbrechen. Für den Historiker Martin Schulze Wessel markiert in der FAZ Prigoschins Meuterei den gänzlichen Verfall des Politischen in Russland. In der Welt sieht Slavoj Zizek den französischen Staat allerdings auch ganz schön heruntergekommen.

An einer Zuspitzung interessiert

03.07.2023. Emmanuel Macron hat seinen lange geplanten großen Staatsbesuch in Deutschland abgesagt und muss die Krise zuhause bewältigen. Die jüngsten Unruhen in den französischen Vorstädten offenbaren, in welchem Ausmaß die französische Gesellschaft inzwischen blockiert ist, schreibt der Politologe Rachid Benzine in Le Monde. Viele Artikel handeln von der Polizeigewalt. Die SZ thematisiert das extrem polarisierte politische Klima in Frankreich. In der NZZ kommt Politikwissenschaftler Andreas Umland auf Prigoschins Meuterei zurück.

Jeder in seinem kleinen Königreich

01.07.2023. In der SZ glaubt Viktor Jerofejew, dass Prigoschin zu geradlinig war, um Putin wirklich gefährlich werden zu können. In der Welt fragt Gerd Koenen, warum gerade jene Ländern Osteuropas zu Russland neigen, die besonders gründlich von den Sowjets besiegt wurden. Im Tagesspiegel fürchtet Wolf Biermann, dass die Ostdeutschen an den Schlägen leiden, die sie nicht ausgeteilt haben. In der FR muss Stephan Lessenich einsehen, dass rechte Politik unmoralischer, aber eventuell attraktiver ist als linke. SZ und FAZ blicken zudem auf Frankreichs brennende Vorstädte und den Eisbären auf seiner schmelzenden Scholle.