Maluma und Takete

Die Künstler haareraufend

Die Kunstkolumne. Von Ulf Erdmann Ziegler
11.11.2014. Pop ist ein vertracktes Etikett. Es klingt vertraut und hält wahrscheinlich ewig. Nur, niemand will damit beklebt werden. Daher auch die Idee der Kuratorin Martina Weinhart an der Schirn: Mal sehen, ob es da nicht doch Streit gibt. Oder sagen wir, eine deutsche Debatte. Ein erster Essay zur Gestalt der Zeit.
Letzte Woche: Ein Mädchen, etwa elfjährig, geht mit seinem Vater die Treppe der Schirn hoch. Er hat ein Glas in der Hand mit vier Pinseln drin. Er gehört also zum Aufbauteam. Die riesige Beschriftung im Foyer ist aber schon angebracht. "German Pop", ruft das Mädchen, "o nein, ich kann diese Schlager nicht ausstehen!"

Als Lawrence Alloway in London Mitte der fünfziger Jahre zuerst von einer "Pop Art" schrieb, meinte er nicht die Kunst der Künstler, von denen er unmittelbar umgeben war, (des Schotten) Eduardo Paolozzi oder Richard Hamiltons mit seinen fleischlich wuchernden Straßenkreuzern. Alloway meinte nicht die ganz frische Kunst seiner Zeit und seines Kreises, sondern deren Gegenstand, Comics und Autowerbung, aber in der Bezeichnung lag dennoch eine Aufwertung.


Schreibmaschine, mit fluoreszierender Temperafarbe bemalt, auf Holz montiert, Stiftung Museum Kunstpalast, Düsseldorf, Foto: Stiftung Museum Kunstpalast, Horst Kolberg / Artothek, © Nachlass Manfred Kuttner.


Mein High School Standard Dictionary of the English Language von 1924, New York und London, verzeichnet sowohl den "lolly-pop" (bald eingedeutscht als "Lolli") wie auch das "popcorn". "Pop" ist noch heute das englische Wort für den Knalleffekt, aber das Wort ist sauber geblieben, es wird nicht gebraucht für den Rohrkrepierer, einen Fehlstart oder den Furz. Tatsächlich wurde "pop" in diesem Schülerlexikon vor neunzig Jahren auch schon als Abkürzung der Worte "popular" und "population" eingetragen. Auf jeden Fall haben "Popmusik" und "PopArt" dieselbe Wortwurzel; die Karriere eines Wortes, das als Kürzel loslief und plötzlich explodierte, nämlich in dem Moment, als es auf einen wirkmächtigen Gegenstand traf.

Wie fremd dem Deutschen diese Etymologie ist, kann man an dem seltsamen Wort "Pop-Artist" ablesen, das immer wieder auftaucht (selbst im brandneuen Katalog der Schirn), als wäre "Art" nicht "Kunst" und jemand, der PopArt hervorbringt, möglicherweise einer vom Zirkus. Überhaupt hat man in Deutschland die Profanisierung und banalisierende Tendenz der Pop-Kunst durch ihren Gegenstand überschätzt, was gewiss auch daran lag, dass die Konsumgüter zwischen New York und Los Angeles uns nicht so vertraut waren und auch nicht sein konnten; die Filmstars noch ferner. Andy Warhol hatte, zum Beispiel, die Angehimmelten vom Kinderkrankenbett in Pittsburgh aus um Autogrammpostkarten gebeten.

Nicht, dass die Auguren des "Sublimen" in New York nicht angeekelt oder schockiert waren vom direkten Verweis auf das Allgegenwärtige bei Warhol, Lichtenstein und Oldenburg. Wäre das alles marktmäßig Off-off geblieben, Schwamm drüber. Das Schockierende war eigentlich, mit welcher Eleganz die Bildformeln von den Jüngeren gefunden wurden. Denn auch wenn sich die Generation der 1928ff Geborenen über die Innerlichkeit ihrer extrem erfolgreichen Vorgänger hinwegsetzte oder lustig machte, hatte sie sich via Robert Rauschenberg bei den Abstrakten abgeguckt, wie man mal- und siebdrucktechnisch den Schöpfungsakt mit ausstellt: hier eine Spur, ein doppelter Rand und dort ein Tropfen. Hinter dieser Praxis im Detail scheint ein geradezu zärtliches Verhältnis zum Populären auf.

Christa Dichgans, 1967/1968 mit einem DAAD-Stipendium in New York, malte dann aalglatt aufblasbares Plastikspielzeug, zentriert auf hellem Grund in der Art einer Blüte: Konsumgüter als Blumen des Bösen. In der Schirn-Ausstellung "German Pop" steht sie da nicht allein. Vostell ließ eine Lithografie in Serie gehen, die einen zeitungsgerasterten B-52-Bomber hoch im Himmel zeigt, der farbige Lippenstifte abwirft. Die westdeutsche Konsumwelle galt hier als Akt der Verdrängung, und die Fütterung mit Konsumikonen als Strategie einer Kolonialisierung durch die USA.


German Pop, Ausstellungsansicht. © Schirn Kunsthalle Frankfurt, 2014, Foto: Norbert Miguletz..


Martina Weinharts "German Pop", Ausstellung wie Katalog, ist gegliedert nach vier deutschen Orten, wobei Frankfurt eine Ausnahme darstellt. In Düsseldorf, München und Berlin gab es Künstlergruppen von 1963 bis 1968. Vom Stichwort "Pop" mal abgesehen, sollte man schon fragen, warum es die Gruppen gab und warum sie sich auflösten. Zumindest für die Berliner Gruppe "Großgörschen 35" hat Eckhart Gillens Katalog zur Retro-Ausstellung in diesem Sommer die Frage beantwortet. In West-Berlin gab es zwei Tendenzen, die Rückbesinnung auf die Expressionisten ab 1920 und eine Frage nach dem sozialen Gehalt von Kunst, deren Antwort auf keinen Fall in Ost-Berlin liegen sollte. Am Ende spaltete sich die Gruppe in diese, die ihr mitgeschlepptes Dogma auf einem "Kritischen Realismus" abzubilden in Ordnung fanden, und jene - wie Markus Lüpertz - die genau das nicht wollten. Die Axt hielten seit dem Sommer 1968 sowieso die Aktionisten in der Hand, denn die vielgerühmte politische Revolte hantierte auch mit einem Bilderverbot, einem handfesten Ikonoklasmus.

Alle drei Künstlergruppen waren im Kern Zusammenschlüsse von Produzenten, anfangs versucht, einen gemeinsamen Bezug zu artikulieren. Der Vorläufer der Münchner Gruppe "Geflecht" hieß SPUR und hatte seit den fünfziger Jahren Kontakte zu den Pariser Situationisten gepflegt. Die Berliner dachten vielleicht eine Weile, sie seien eine Wiederkehr von Dada und "Brücke". Die Düsseldorfer empfanden sich als Club von "Refusés"; sie stellten 1963 zuerst in einem Möbelhaus aus - da war Gerhard Richter noch sub-sub. Man könnte den politischen Druck durch die APO sehr wohl als Grund sehen dafür, dass die Gruppen nicht überlebten: die Frage künstlerischer Legitimität überhaupt. Es gab gar nicht wenige bildende Künstler damals, die in die Provinz abtauchten, es ernsthaft mit Drogen probierten oder gänzlich aufgaben. Es war keine gute Zeit für die Kunst, für das visuelle Milieu, und die wenigen, die da durchkamen, waren entschiedene Individualisten.

Diese - Richter und Polke vorneweg (und mit Beuys im Hintergrund) - aber brauchten, um als Produzenten dranzubleiben und sich zu entwickeln, unbedingt einen Markt, und es kann kein Zufall sein, dass die Düsseldorfer durchmarschierten, dort, wo Konrad Lueg als Maler in der Gruppe ab- und als Galerist Konrad Fischer wieder auftauchte. Zur Erinnerung: Auch der dritte Teil der "Blechtrommel" spielt… na, wo? Nicht in West-Berlin.

Der Ausdruck "German Pop" ist nicht soeben in der Denkfabrik namens Schirn erfunden worden; er war 1963 in Düsseldorf - Möbelhaus! - zuerst aufgetaucht. Man könnte die Künstlergruppen als kollektive Pop-Pubertät der Nachkriegskunst deuten: Man wollte das dringend Notwendige tun und sich zugleich gegen eine übermächtige Autorität abschotten. Und diese war der amerikanische Kunstmarkt, der bis weit in die deutschen Museen und Ausstellungshäuser hinein außerordentlich wirksam war.

Es gibt gewisse, offensichtliche Parallelen der sechziger Jahre, die alle miteinander verbindet. Es ist ja nicht so, dass US-Künstler es nur mit Coca-Cola und Bikinis zu tun hatten; ihr Land war schließlich verstrickt in den Krieg in Vietnam. Die Londoner Künstler und Intellektuellen, denen wir die Wortfindung verdanken, befanden sich in einer ähnlichen Lage wie deutsche Künstler, indem vieles, was uramerikanisch war - der Big Apple, Detroit, New Orleans, Las Vegas, Hollywood, Hawaii - nur vermittelt greifbar war, man flog doch da 1956 nicht hin; soeben noch nicht. Sogar die US-Kunst selbst musste aus Schwarzweißabbildungen in internationalen Kunstzeitschriften mühsam dechiffriert werden.

Aber wenn ein kleiner Münchner Katalog jener Zeit die knallgrüne Persil-Verpackung zitiert, dann war ja gleich der Henkel-Konzern im Spiel, und jede große deutsche Firma schwieg damals großflächig über die eigene Nazivergangenheit, über die Zwangsarbeiter sowieso. Insofern ist es kein Wunder, dass deutscher Pop mit bittersüßer Warennostalgie nicht wirklich punkten konnte. Gar nicht zu ungunsten der Deutschen, scheint in den besseren Arbeiten von "German Pop" immer wieder Dada und Surrealismus durch.

Die Schirn-Ausstellung hat kein revisionistisches Argument im Köcher, in dem Sinne, dass Lambert Maria Wintersberger, Ludi Armbruster und Peter Roehr nun, mit vierzig Jahren Verspätung, doch noch in den Pantheon des Pop-international hineingeschossen werden müssten. Im Gegenteil, die Ausstellung ballt die Energien fast küchenmäßig und zeigt die Künstler haareraufend. Deshalb ist auch die Integration dreier malender Frauen in diesem Genre keine historische Trendwende: Pop war die letzte große Kunstbewegung, die aus Männerbünden stammte oder in solche mündete. "German Pop" betreibt ein close reading in der Entwicklungsgeschichte der Bundesrepublik, und das wirklich Erstaunliche ist, wie viele Werke in privaten Sammlungen und Museen ihre Halbprominenz unbeschadet und unbeschädigt überdauert haben. Es ist auf vertrackte Weise charmant, wie man jetzt noch die Anstrengung der Künstler spürt, etwas "Populäres" zu verwirklichen, ohne dabei volkstümlich zu werden oder auch nur zu wirken.

Ulf Erdmann Ziegler

Ausstellung German Pop, 6. November 2014 bis 8. Februar 2015, Schirn Kunsthalle Frankfurt.


Katalog herausgegeben von Martina Weinhart und Max Hollein. Vorwort von Max Hollein, Einführung von Martina Weinhart, Essays von Selima Niggl, Dietmar Rübel, Interviews mit Thomas Bayrle, René Block . Deutsch - englische Ausgabe, 248 Seiten, ca. 160 Abbildungen, 31,5 x 31,5 cm, Broschur; Gestaltung Moiré. Marc Kappeler, Dominik Huber, Ruth Amstutz, Zürich; Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln 2014, 48 Euro. )

"Maluma" und "Takete" sind Begriffe aus der Gestaltpsychologie. Geprägt hat sie der Psychologe Wolfgang Köhler in der Weimarer Zeit.