Groß ist die Aufregung im Netz über das jetzt doch noch geplante Leistungsschutzrecht für Verleger, das die schwarz-gelbe Koalition noch vor Ablauf der Legislaturperiode formulieren will. So groß, dass die halbe Niederlage der Verleger in den meisten Kommentaren übersehen wird. "Eines haben sie schon mal nicht durchgekriegt", sagt Matthias Spielkamp von irights.info, einer der besten Experten für das Thema, im Gespräch: "Gewerbliche Nutzer der Zeitungswebsites werden für das Lesen nichts bezahlen müssen." Denn in der Tat: das war einer der Träume der Lobbyisten. Sie argumentierten, dass Unternehmen wie Siemens oder Daimler ihre Zeitungsabos abbestellen, weil sie die Zeitungen ja jetzt angeblich online lesen können. Die Verleger wollten deshalb die Zeitungswebsites für solche Unternehmen sperren, um für die Freigabe dann kassieren zu können. Ein Traum von Zensur! Der Rest der deutschen Wirtschaft war von der Idee nicht so begeistert, und so heißt es dann im Papier des Koalitionsausschusses: "In der gewerblichen Wirtschaft bleiben das Lesen am Bildschirm, das Speichern und der Ausdruck von Presseerzeugnissen kostenfrei."

Der Argumentation der Verleger lag in diesem Punkt übrigens eine falsche Unterstellung zugrunde: Sie behauptete, dass die Zeitungen tatsächlich im Netz stünden – aber das ist meistens gar nicht der Fall. Niemand kann kostenlos im Netz die FAZ, die SZ, den Spiegel  oder die Zeit lesen, denn all diese Zeitungen stellen allenfalls ein Zehntel ihrer Artikel kostenfrei online. Der Rest ist hinter Zahlschranken verschanzt und für die Frage des Leitungsschutzrechts im Internet somit irrelevant. Weder Google News noch der Perlentaucher noch sonst irgendein Aggregator können auf diese Artikel verlinken.

Die Frage ist also, für welche Leistungen die Verleger überhaupt ein Leistungsschutzrecht wollen. Im Koalitionspapier heißt es, dass die "Hersteller von Presseerzeugnissen ein eigenes Leistungsschutzrecht für die redaktionell-technische Festlegung journalistischer Beiträge oder kleiner Teile erhalten sollen". Das klingt vage!

- Denn wer ist im Netz ein Hersteller von Presseerzeugnissen? Soll das Leistungsschutzrecht in erster Linie auf die Ableger von Printerzeugnissen wie der FAZ oder SZ angewendet werden? Sie bestehen zum größten Teil aus Tickerverschnitten und eigenen redaktionellen Leistungen der Online-Redaktionen, allenfalls ein kleiner Teil der Artikel stammt wie gesagt aus den Print-Zeitungen. Was macht ein solches Angebot nun eigentlich zu einem "Presseerzeugnis"? Wenn der Perlentaucher Tickerverschnitte und ein paar eigene Artikel anbieten würde – wäre er dann ein Presseerzeugnis? Könnte sich jedes Blog bei der zu gründenden Verwertungsgesellschaft anmelden? Wenn ja, wäre der Geldsegen aus dem Leistungsschutzrecht für die Zeitungen am Ende nicht recht mager? Warum sollte man für so einen geringen Ertrag überhaupt ein Gesetz machen und einen weiteren bürokratischen Moloch aufbauen?

- Und wofür wollen die Zeitungen eigentlich Leistungsschutzrecht? Christoph Keese, Cheflobbyist des Springer-Verlags und Hauptverfechter des Leistungschutzrechtes, versucht in seinem Blog zu beruhigen: "Nein, das Leistungsschutzrecht schränkt die Weitergabe von Informationen nicht ein. Das Zitatrecht wird nicht geändert, sondern umgekehrt: Es gilt mit allen bisherigen Bestimmungen auch beim Leistungsschutzrecht. Die Nachricht als solche wird ebenfalls nicht geschützt und wäre auch gar nicht schützbar. Frei bleibt auch der Link." Mit anderen Worten: Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu bauen!

Gleichzeitig sagt Keese: "Wer gewerblich Inhalte kopiert, muss sich schon die Frage gefallen lassen, ob er nicht dafür bezahlen möchte." Damit meint er ja nicht Blogs oder andere Anbieter, die aus Unwissen oder wider besseres Wissen ganze Artikel kopieren, um ihre eigenen Medien damit zu schmücken. Denn um solche Missetaten zu verfolgen, reicht das Urheberrecht, und manche Zeitungen beschäftigen ganze Abteilungen, um Blogger abzumahnen, die einen Absatz aus einem Artikel kopiert haben. Nein, hier geht es um den "kleinen Teil", von dem im Koalitionspapier die Rede ist, um Überschriften und Unterzeilen von Artikeln oder Artikelanfänge, wie sie Google News verlinkt

Also so etwas wie: "Super Tuesday der Republikaner Wenn sich alle als Sieger fühlen, hat keiner… sueddeutsche.de - ?vor 17 Minuten?

Mitt Romney gewinnt den Super Tuesday, ohne zu überzeugen. Rick Santorum ist viel zu weit gekommen, um jetzt aufzugeben. Newt Gingrich rettet sich mit seinem Sieg in Georgia - und selbst der glücklose Ron Paul will bis zum Ende kämpfen."

Auf diesen Artikelanfang setzt Google News den Link, um zur SZ zu verweisen, hierfür soll Google News bezahlen – das ist das, was Google "kopiert" und womit Google Christoph Keeses rechtschaffenen Zorn auslöst.

Jetzt ist die Frage, was durch das Leistungsschutzrecht an so einem Artikelanfang eigentlich geschützt werden kann. Die Nachricht, dass der Super-Tuesday keine Klärung des republikanischen Wettrennen um die Präsidentschaftskandidatur gebracht hat, soll ja zirkulieren dürfen. Der Satz "Wenn sich alle als Sieger fühlen", hebt als eigene Interpretation an, wird von Google in diesem Fall aber abrupt abgebrochen. Alles andere ist sprachlich ein wenig verbrämte Information. Ein Wort wie "glücklos" allein genügt nicht, um einen Satz schützenswert zu machen.

In dem Prozess, den FAZ und SZ gegen den Perlentaucher führten, zeigte sich der Bundesgerichtshof sehr kulant, was das "geistige Eigentum" (mehr hier) angeht, das sich die Zeitungen von den Autoren haben abtreten lassen, und stellte zum Beispiel Formulierungen wie "weltanschauliches Anliegen" oder "langatmige Ausbreitung von Altbekanntem" unter Kunstverdacht, so dass der Perlentaucher sie nicht einfach übernehmen darf.

Aber beim Leistungsschutzrecht soll es ja gerade nicht um diesen Kunstverdacht gehen, mit dem Zeitungen sonst ihre Ansprüche durchfechten. Dummerweise verdankt sich dieser Kunstverdacht ja auch immer den Urhebern, also den Autoren der Zeitungen, nicht den Zeitungen selbst. Das Leistungsschutzrecht soll jenseits dieses Verdachts gelten.

Was bleibt dann am Ende noch außer der nackten Information?

In der Musik gelten Leistungsschutzrechte etwa für Coverversionen. Joe Cocker hat Leistungschutzrechte an seiner Version von "Just a Little Help from My Friends", im Grunde also ebenfalls für eine eigene Leistung, die etwas zum Original hinzufügt und als schützenswert erachtet wurde. Die Lobby der Musikindustrie hat es übrigens gerade geschafft, dieses Leistungsschutzrecht von fünfzig auf siebzig Jahre auszudehnen. Sie war trotzdem traurig, denn sie wollte eigentlich 95 Jahre! (Aktualisierung vom 8.3.: Zu diesem Absatz gibt es eine Korrektur, s. Kommentare)

Aber im Fall eines Snippets wie dem oben zitierten dürfte es unmöglich sein, die "redaktionell-technische Festlegung" von der schieren Information zu trennen: Faktisch würde ein Leistungsschutzrecht darum tatsächlich die Zirkulation von Informationen behindern – und man darf hoffen, dass das Bundesverfassungsgericht dieses entscheidende Allgemeingut dann doch über die Privatinteressen deutscher Verleger stellen wird.

Um es mit Matthias Spielkamp in seinem höchst lesenswerten Grundsatzartikel auf diskurs@dradio zu sagen: "Es ist nicht klar, warum das Leistungsschutzrecht eingeführt werden soll, wem es helfen und was es schützen soll." Hoffen wir, dass die Politik einen Weg findet, das Projekt fallen zu lassen. Bestand hat es jedenfalls nicht.

Thierry Chervel

twitter.com/chervel