Im Kino

In schattigen Grotten

Die Filmkolumne. Von Thomas Groh
28.02.2024. Komplizierte theologische Erörterungen stehen im Zentrum von "Dune: Part Two", mit dem Denis Villeneuve seine epische Verfilmung der epischen Wüstenplanet-Romane des Science-Fiction-Autors Frank Herbert fortsetzt. Der Film zeichnet konsequent eine Verfinsterung nach, die dazu führt, dass dem Publikum keine positiven Identifikationsfiguren mehr zur Verfügung stehen.
"We don't need another hero"
Tina Turner



Das Regie-Privileg, für die Kino-Umsetzung eines Romans gleich zwei Filme spendiert zu bekommen, müssen sich Franchises für gewöhnlich erst erarbeiten. Entsprechend hoch dürfte das kulturelle Kapital sein, das der kanadische Regisseur Denis Villeneuve nach Filmen wie "Arrival" (2016) und "Blade Runner 2049" (2017) in Hollywood angehäuft hat, dass Warner ihm für die mittlerweile dritte Adaption von Frank Herberts Science-Fiction-Klassiker "Der Wüstenplanet" (1965) die Möglichkeit einräumte, den komplex erzählten 900-Seiten-Wälzer zunächst nur zur Hälfte und mit einer Option auf einen zweiten Teil umzusetzen. Zumal der ausladend erzählte, von einem irren Intrigennetz durchzogene und einem detaillierten World-Building getragene Stoff als kaum umsetzbar gilt: Legendär (und Gegenstand einer aktuell bei Arte online stehenden Doku) ist die nach langer Vorbereitungszeit noch vor Drehbeginn abgebrochene Adaption des chilenischen Hexenmeisters Alejandro Jodorowsky (immerhin schlug sich die weit vorangeschrittene Vorarbeit in der Ästhetik von Ridley Scotts "Alien" von 1979 gewinnbringend nieder), zumindest faszinierend interessant ist der als Adaption als gescheitert geltende David-Lynch-Film aus den frühen Achtzigern und nicht sonderlich von Belang die Trivial-Variante, die um die Jahrtausendwende in Form einer Miniserie fürs amerikanische Fernsehen entstand.

Insofern ging Warner kein geringes Risiko ein, als das Studio dem auf visuellen Bombast abonnierten kanadischen Genre-Auteur die Möglichkeit gab, es auf quasi vermintem Gelände unter hohem finanziellen und technischen Aufwand mit einer nur zur Hälfte erzählten Geschichte zu versuchen. Der Mut zahlte sich aus: Auch durch den pandemiebedingten Kino-Hunger entpuppte sich der erste Teil 2021 als Kassenhit und holte auch einen ansehnlichen Teil der Kritik sowie des nicht selten überkritischen Fan-Nerdtums mit ins Boot. Die Frage bleibt: Geht das Spiel auf Risiko auch mit dem nun vorliegenden, zweiten Teil auf?

Was bisher geschah: Nachdem der galaktische Imperator den Wüstenplaneten Arrakis vom Haus Harkonnen auf das Haus Atreides übertragen hat, ersinnen die teuflischen Harkonnen einen Plan, um die Kontrolle über das wertvolle Lehngut wiederzuerlangen. Denn: Nur hier findet sich mit dem sogenannten "Spice" jener Rohstoff, der interplanetare Reisen und damit den politischen und wirtschaftlichen Erhalt des Imperiums ermöglicht. Der Coup gelingt: Das Haus Atreides wird ausgelöscht - mit Ausnahme des jungen Erben Paul (Timothée Chalamet), der sich mit seiner Mutter Jessica (Rebecca Ferguson) in die Wüste zu den Ureinwohnern des Planeten, den Fremen, durchschlägt. Jessica gehört zu den Bene Gesserit, einem strengen, intriganten Frauenorden, der undurchdringlich hinter den Kulissen des Imperiums eigene, schemenhafte Interessen verfolgt und durch ein auf Jahrhunderte angelegtes Zuchtprogramm ihren Messias, den Kwisatz Haderach, hervorzubringen sucht. Paul ist für diesen Posten der derzeit aussichtsreichste Kandidat. Ihrerseits auf der Suche nach einem Messias sind auch die Fremen, bei denen Paul und die vom ermordeten Herzog Leto Atreides schwangere Jessica Unterschlupf und nach einem gewaltvollen Ritualkampf Aufnahme finden.



"Dune: Part Two" schließt fast nahtlos an den ersten Teil an und fokussiert vor allem auf theologische und rituelle Fragen rund um den prophezeiten Messias: Während die verschiedenen Kulturen der Fremen heiß diskutieren, ob Paul tatsächlich der Auserwählte ist, der den verdorrten Planeten Arrakis wieder ergrünen lassen wird, packen ihn selbst zwischen Rachegelüsten und Auserwähltseins-Bombardements ernste Zweifel. Kann er sich wirklich als Erlöser einer fremden Kultur voranstellen - zumal seine diffus seherischen Fähigkeiten ihn ein Zukunftsszenario erahnen lassen, in dem in seinem Namen ein Heiliger Krieg über die ganze Galaxis gebracht wird und Milliarden ihr Leben lassen werden? Zögernd fügt er sich in die Stammeskultur der Fremen ein - und organisiert mit ihnen Anschläge auf die Spice-Raffinerien der Harkonnen, die gegenüber dem Imperator zusehends in Erklärungsnot geraten, was den Nachschub der wichtigen Ressource betrifft. 

Als eine Art "Star Wars"-Version für Erwachsene will Villeneuve seine entsprechend zur gravitätischen (und nach Ansicht von Villeneuve-Skeptikern so humor- wie farb- und freudlosen) Epik neigenden "Dune"-Variante verstanden wissen - was auch insofern passt, als George Lucas sich für den ersten Teil seiner Weltraumsaga (1977), für jeden ersichtlich, mehr als nur großzügig an zahlreichen Versatzstücken aus Herberts Roman bediente, dessen grundlegend kritisch-interventionistischen Kern allerdings zugunsten einer Rückbindung an infantil-naive Genre-Träume verfehlte. Diese wichen im zweiten "Star Wars"-Film, "The Empire Strikes Back" (1980), einem düsteren Grundton, in dem die Herausforderungen seiner Heldenfigur anklingen, wenn er in Gefahr gerät, sich der verführerischen dunklen Seite der Macht zu ergeben. Sehr ähnlich funktioniert auch "Dune: Part Two": Es geht um eine Selbstfindung eines zaudernden Helden, der ahnt, welche verheerenden Folgen seine Zauberkräfte und sein Charisma haben werden, wenn er sie im vollen Maße für die eigene Sache einsetzt. Nur, dass Pauls Heldenwerdung noch einmal deutlich ambivalenter, schattierter abläuft als bei Lucas.

Insbesondere darin wird Frank Herberts eigentliches Anliegen filmisch sichtbar: Sein Romanzyklus ist als große Warnung vor charismatischen Anführern, religiösen Heilsgeschichten und der naiven Neigung des Science-Fiction-Genres zu Superhelden angelegt - eine Essenz, die David Lynch in seiner auf ein triumphalistisches Spektakel hinauslaufenden Adaption gründlich verfehlt, wenn Paul, zum spirituellen wie militärischen Anführer der Fremen herangewachsen, den Planeten Arrakis, begleitet von einem aufpeitschenden Score, den Harkonnen entreißt und von seiner mittlerweile geborenen, durch eine unglückliche Maßnahme schon im Kindesalter allwissenden Schwester Alia final zum Heiland und Erlöser ausgerufen wird.

Beim Kinostart 2021 wurde Villeneuves Film von einigen Stimmen zwar etwas voreilig, aber bei Kenntnis nur des erstens Films durchaus nachvollziehbar vorgeworfen, erneut das "White Saviour"-Narrativ zu bedienen, bei dem eine weiße Figur Menschen mit dunkler Hautfarbe zu Heil und Licht führt. Erklärende Hinweise von Kennern der Vorlage wurden weggewischt. Mit dem zweiten Teil ergibt sich ein differenzierteres Bild: Die Fremen wurden in ihrem Messias-Glauben gezielt manipuliert, zugleich wird den Kontroversen innerhalb der (sich ohnedies im Laufe des Films ausdifferenzierten) Fremen-Kultur großer Raum gegeben - die (gegenüber der literarischen Vorlage) Aufwertung der weiblichen Figuren wie etwa von Chani (Zendaya), Pauls Geliebter, die mit äußerster Skepsis auf den Heilandsdiskurs reagiert, tut ihren Teil dazu. 



Mit großer Konsequenz zeichnet Villeneuve eine Verfinsterung nach, in deren Zuge es zwar weiterhin möglich ist, von einem eindeutigen "Bösen" zu sprechen (die Harkonnen, sicher auch der intrigante Imperator, hier erstmals im Film zu sehen, gespielt von Christopher Walken), aber immer weniger von einem eindeutig Guten: Weder Paul, der dank seiner Seherfähigkeiten weiß, dass er mit seinem Handeln eine fundamentalistisch-religiöse Kraft entfesseln wird, die einen brutalen Krieg über die gesamte, übers All verstreute Menschheit bringen wird, noch Jessica, die sich in ihrem Ränkespiel als Reverend Mother der Fremenreligion positioniert, taugen ernsthaft als Figuren von Heldenqualitäten. Auch die Fremen, die die Erfahrung jahrhundertelanger Erniedrigung nur zu gerne in einen Heiligen Krieg ziehen lässt, funktionieren nicht mehr als Sehnsuchtssubjekt einer auf Identifikation abzielenden Rezeption. Allenfalls Chani, die die Folgen des kriegerischen Tuns am Klarsichtigsten durchschaut, verbleibt als Stimme einer skeptischen Vernunft. Wenn man diese Gemengelage, die einem dritten Teil (basierend auf Herberts zweitem "Dune"-Roman) das Bett bereitet, als Parabel auf die geopolitischen Konfliktlinien der Gegenwart deuten will, sieht Villeneuve jedenfalls ziemlich schwarz. Unter den Eindrücken der Hamas-Eskalation im Nahen Osten wirkt manche Szene gespenstisch prophetisch - und zugleich unter den von Film und Vorlage etablierten Konstellationen kaum mehr eindeutig auflösbar.

Allerdings liegt in diesen langwierigen Erörterungen zugleich die Crux des Films. Villeneuves erster Film faszinierte vor allem als Ausstattungs- und World-Building-Kino, dem es bestrickend gelang, die von schwelenden Intrigen und atemberaubenden Schauplätzen getragene Atmosphäre des Romans sowie dessen gigantischen Weltentwurf in große Bilder zu übersetzen, die das Publikum eben diese Welt Schritt für Schritt erkunden ließ. "Dune: Part Two" tut sich sichtlich schwerer: Zumindest gefühlt befindet man sich als Zuschauer den Großteil der fast drei Stunden Spielzeit in schattigen Grotten und verfolgt dialogische theologische Abwägungen. Ging im Roman mit der Entdeckung der geheimen Welt der Fremen ein gewisser Sense of Wonder einher, verliert sich das bei Villeneuve rasch - aus der faszinierenden Untergrund-Kultur der Ureinwohner schlägt er filmisch kaum Kapital. Großaufnahmen von Gesichtern dominieren die filmische Form, selbst ein gestandener Schauspieler wie Christopher Walken bewältigt weite Strecken seiner spärlichen Strecken damit, dass ihm eine Kamera direkt vor der Nase beim dräuenden Schweigen zusieht. Die Spektakelszenen wirken pflichtschuldig eingefügt, um das Publikum bei Laune zu halten - und offenbaren nicht selten, dass Villeneuve Herberts tendenziell antifaschistisches Projekt einer Dekonstruktion von Führerfiguren zwar erkennt, er den filmischen Überschuss faschistischer Massenekstasen aber dennoch gerne im Sinne eines Affektkinos mitnehmen will.

Auch ergibt sich ein paradoxer Effekt: Der Film wirkt gedehnt und gehetzt zugleich - viel zu viel will Villeneuve mitnehmen, aber dennoch läuft ihm am Ende der üppig bemessenen Spieldauer die Zeit davon, weil er viel zu viel davon viel zu lange auswälzt. Vor allem der Großangriff der Fremen auf Imperator samt Harkonnen am Ende leidet sichtlich darunter und nimmt zur Verkürzung eine auffällige Erratik in Kauf. "Dune: Part Two" ruht deutlich weniger souverän in sich als der erste Teil.

Ob es an den Produktionsumständen gelegen hat? Der erste Teil wurde lange und sorgfältig vorbereitet, sicherlich auch schon mit Blick auf eine mögliche Fortsetzung. Der zweite Teil hingegen hatte vom "grünen Licht" im Oktober 2021 bis zur ursprünglich vorgesehenen Premiere im Herbst 2023 gerade einmal zwei Jahre Zeit. Oder vielleicht war es an sich schon nicht die allerbeste Idee, auf den "Hobbit"-Effekt zu setzen: Peter Jackson hatte ja seinerzeit - mit bekannten Folgen - die kirre Idee, Tolkiens schmales Kinderbüchlein auf neun Stunden und drei Blockbuster aufzublasen. Womöglich hatte David Lynch doch Recht: Der Teil aus Herberts Roman, der im Zentrum von "Dune: Part Two" steht, war in seiner Fassung aufs Allernotwendigste skelettiert.

Thomas Groh

Dune: Part Two - USA 2024 - Regie: Denis Villeneuve - Darsteller: Timothée Chalamet, Zendaya, Rebecca Ferguson, Javier Bardem, Josh Brolin, Austin Butler, Florence Pugh, Dave Bautista, Christopher Walken - Laufzeit: 166 Minuten.