Im Kino

Nur das Lächeln bleibt

Die Filmkolumne. Von Robert Wagner
03.04.2024. Zwei Unfälle und zwei Fälle von Fahrerflucht stehen im Zentrum von Josef Haders zweitem Film, in dem die Menschen ihr Innenleben nur andeutungsweise offenbaren. "Andrea lässt sich scheiden" erzählt von der Möglichkeit, Glück in einem dementen Abend in der Schlagerdisco zu finden und Scheitern als Chance zu begreifen.

Josef Hader spielt in seiner zweiten Regiearbeit den alkoholkranken Theologielehrer Franz. Nachdem dieser jemanden überfährt, lässt er sein Leben willfährig fahren. Er beginnt wieder zu trinken, verliert seinen Job und packt seinen Koffer voreilig für das Gefängnis - eine mögliche Verhandlung zeichnet sich noch nicht einmal am Horizont ab. Er lässt sich gehen, und es kommt einer Befreiung gleich. Mehrmals zeigt er ein breites Grinsen, dass einen Lausbuben offenbart. In dem sich aber auch die Erwartung abzeichnet, dass die Strafe wohl nicht lange auf sich warten lässt.

Haders Franz ist zwar nur eine Nebenfigur, sein Lächeln aber steht für "Andrea lässt sich scheiden" im Ganzen. Für die Lakonie, mit der die Figuren Schicksalsschläge und Alltag hinnehmen. Für den Galgenhumor des Films, der sich aus der allgemeinen Trostlosigkeit entwickelt. In dem Lächeln steht geschrieben, dass Selbstkontrolle und Aufrechterhaltung einer bürgerlichen Fassade nicht unbedingt glücklich machen. Dass ein feuchtfröhlicher bis dementer Abend in der Schlagerdisco auch nicht schlechter ist. In ihm findet sich der Fluchtpunkt der Erzählung: Auch die aufgeräumte, kontrollierte Polizistin Andrea (Birgit Minichmayr) steuert darauf zu, Scheitern als Chance zu verstehen.

Andrea befindet sich auf dem Absprung. Von ihrem Mann möchte sie die Scheidung, die Versetzung aus der Provinz nach St. Pölten steht unmittelbar bevor, wodurch sie ihren Vater, der im Alter zunehmend Betreuung bedarf, allein zurücklassen würde. Die Gefühle, die damit einhergehen, Freunden und Verwandten den Rücken zu kehren, kulminieren nach der Geburtstagsfeier eines Kollegen (Thomas Schubert). Sie überfährt ihren Noch-Ehemann auf einer Landstraße - ihm hatte sie den Autoschlüssel nach einer intensiven Auseinandersetzung weggenommen, damit er nicht besoffen und zornig durch die Nacht braust. Es ist ein Versehen. Ihr verwirrter Vater hatte sie per Anruf abgelenkt. Sie begeht Fahrerflucht und lässt ihren Mann liegen, der später noch einmal von Franz überrollt wird. Ihre Tat versucht sie zu verstecken, sie kämpft mit ihren Schuldgefühlen, vor allem aber damit, dass ihr alle mit Mitgefühl begegnen.


Während ihr Leben auseinanderzubrechen droht, während sie still und ausdruckslos darum kämpft, ihren Status quo zu erhalten, trifft sie auf Franz und zeigt sich irritiert, weil er keine Hilfe von ihr möchte. Im Gegensatz zu ihr stemmt er sich nicht gegen die Veränderung. Auch in St. Pölten wartet diese Dualität in Form einer seelenlosen Dienstwohnung und den Versprechungen Walters (Robert Stadlober), der dort nach vielen Anpassungsschwierigkeiten seinen Frieden gefunden hat, weil er sich mit sich abgefunden hat. Oder anders: Das Drama und die Figuren sind vollkommen durchdeterminiert und klar - und doch ziemlich offen, da die Leute kaum über ihre Gefühle reden. Die Zuschauer und die Mitmenschen bekommen nur eine Ahnung des Innenlebens eines jeden. Höchstens Haders ambivalentes Lächeln spricht expressiv von seinem Inneren.

Zur Komödie wird "Andrea lässt sich scheiden", weil sich die Leute hilflos abstrampeln, dabei aber so tun, als hätten sie alles im Griff. Weil sie in ausgedehnten Einstellungen feststecken, in denen wir ihnen so lange zuschauen, bis sie grotesk und skurril geworden sind. Gleichzeitig schafft es Hader, diesen Stil nicht ins Strenge kippen zu lassen. Vielmehr bietet er einen Platz für seine Schauspieler, die schräg lächeln, mürrisch gucken und sich ahnungslos (über sich und ihre Umwelt) winden. Wenn Andrea und Franz am Straßenrand sitzen, zur Ruhe kommen und ins Leere starren, dann geht davon eine latente Hoffnung aus. Das Winden kann ein Ende haben und der Krampf kann nachlassen. Da ist es dann auch egal, wie kurz oder lang das Ende des Abrackerns an der eigenen Existenz dauert.

Als solch hoffnungsvolle Tragikomödie funktioniert Haders Film. Die Lacher sitzen, Gefühle werden vermittelt. Freilich ist er völlig frei von Überraschungen. Die stilistische Reduktion, die schweigsamen Leute, der lakonische Humor: Nichts an "Andrea lässt sich scheiden" ist in irgendeiner Form auffällig oder geht über den Film hinaus, den wir von Hader - dem Schauspieler und dem Regisseur - erwarten können. Weshalb es wie bei der Grinsekatze ist: Nach dem Schauen geht der Film wieder im Hintergrund auf, verschwindet aus unserem Gedächtnis und nur Haders Lächeln wehrt sich ein bisschen gegen das Verschwimmen mit anderen Filmen seiner Art.

Robert Wagner

Andrea lässt sich scheiden - Österreich 2024 - Regie: Josef Hader - Darsteller: Birgit Minichmayr, Josef Hader, Thomas Schubert, Robert Stadlober, Thomas Stipsits - Laufzeit: 93 Minuten.