Im Kino

Unablässig raschelt es

Die Filmkolumne. Von Robert Wagner
06.03.2024. Michael Manns "Ferrari" widmet sich einer berühmten Automarke, setzt dabei aber keineswegs auf ikonische Bilder aus der Unternehmensgeschichte; nicht einmal die Formel 1 kommt vor. Stattdessen entwirft er einen melodramatischen Rennfahrerfilm, der elegant um den Widerspruch zwischen Perfektion und Gewinnstreben herum konstruiert ist. Der Film läuft nur auf Amazon Prime.


Enzo Ferrari (Adam Driver) schleicht sich zu Beginn aus Bett und Haus. Statt sein Auto zu starten, versucht er es geräuschlos vom Grundstück zu schieben. Ob er auf den Schlaf der Geliebten (Shailene Woodley) Rücksicht nimmt oder sich nur heimlich verdrücken möchte, ist irrelevant. Wichtig ist, dass es ihm diesen Aufwand wert ist. Nach einer rasanten Fahrt kommt er zu Hause an, wo ihn seine Ehefrau (Penélope Cruz) mit einer Pistole bedrohen wird. Von ihr aus kann er rumhuren, wie er möchte, aber morgens früh habe er bei ihr zu sein - bevor das Dienstmädchen den Kaffee serviert, damit der Schein gewahrt ist. Er nimmt nur Rücksicht auf sie - wobei er eh meistens keine nimmt -, weil seine Frau 50 Prozent seiner Firma besitzt.


Später im Film wird Enzo seinem Sohn Piero (Giuseppe Festinese) anhand der Zeichnung des Innenlebens eines Motors dessen Funktionalität und Ästhetik näherbringen. Die Linie, mit der das Benzin vom Tank in den Motor gelangt, muss so geschwungen sein, dass der Kraftstoff schnellstmöglich fließt. Er vermittelt seine Liebe zu sachlicher Eleganz mit leuchtenden Augen. Augen, die sonst versuchen, entschlossen und eisig zu wirken. Wie zum Beispiel, wenn er eine tückische Zeitungsmeldung in Auftrag gibt, mit der er Fiat überrumpeln und zum Investor seiner insolvenzbedrohten Firma machen möchte.

Die beiden Szenen, die auf den ersten Blick nicht viel miteinander zu tun haben, stellen den zentralen Widerspruch dar, der Michael Manns neuen Film "Ferrari" durchzieht. Auf der einen Seite stehen Schönheit, Rücksichtnahme, die Suche nach Selbstverwirklichung und Liebe (zu den perfekt abgestimmten Abläufen eines Otto-Motors). Auf der anderen Seite die knallharten Geschäfte, die Wahrung einer verhärteten Außenwirkung, die Selbstverleugnung. Gleich doppelt wird dies erzählt. Zum einen in einem Ehedrama, in dem eine Frau entdeckt, dass ihr Mann parallel ein Leben mit Geliebter und unehelichem Sohn führt, weshalb sie voll Hass und Verzweiflung das gemeinsame Geschäft zu zerstören droht. Zum anderen muss gleichzeitig ein Rennen gewonnen werden, um den Ruin des eigenen Unternehmens abzuwenden. Zu gleichen Teilen ist "Ferrari" Melodram und Rennfahrerfilm.



Beide Teile bauen auf Widersprüchen auf, wie gesagt, und sind deshalb durch Kontraste bestimmt. Als Ehemann lebt Enzo zwei Leben. In dem einen Heim herrschen Schweigen, (hysterische) Vorwürfe, finanzielle und emotionale Erpressung und seine Mutter, die einer stillen Harpyie gleicht. Ans Grab des gemeinsamen Sohns geht die Familie nicht zusammen, sondern nacheinander. Leidenschaft kommt höchstens noch auf, wenn das gemeinsame Autogeschäft floriert. Das andere Heim ist im Gegensatz dazu fast ein Idyll, mit ruhigen Aussprachen, Verständnis und einer Zukunft. Dunkle Bilder da, helle hier.

Als Geschäftsmann führt Enzo ein weniger gespaltenes Dasein. Er muss seinen Laden am Laufen halten, weshalb er ohne Pause am Ver- und Aushandeln ist. Mit der Presse, mit Geschäftspartnern, mit seinen Frauen und Anwälten, mit seinen Fahrern (u.a. Patrick Dempsey), denen er Feuer unterm Arsch macht und Honig ums Maul schmiert. Enzo wirkt dabei starr, gebieterisch und angesichts der Umstände verkrampft. Er würde die Dinge gern so elegant wie ein Otto-Motor am Laufen halten und ist dabei eben zur Maschine geworden - nur in seinen Augen oder gegenüber seinem Sohn zeigt sich Menschlichkeit. Realitätsflucht als Ideal: Wenn Motoren aufheulen und Wagen über Rennstrecken und durch die italienische Landschaft jagen, dann schaltet ein eh schon eleganter, wunderschöner Film nochmal einen Gang höher. Da diese Wagen jedoch mit schönster Regelmäßigkeit opernhaft durch eben diese Landschaften fliegen und mit ihren Landungen Katastrophen verursachen, will sich auch die Rennobsession nie in Frieden übersetzen.

"Ferrari" erzählt von einem entscheidenden Moment in der Geschichte der ikonischen Sportwagenmarke und reiht sich augenscheinlich in die derzeit populären Markenbiografien ein. Allerdings geht es nicht darum, wie aus Ferrari Ferrari wurde oder wie die Eitelkeit der Gründer den Konzern in die Hände eines internationalen, gesichtslosen Kapitalismus treibt. Nach dem Film kennen wir ein paar wenige biografische Einzelheiten, aber kaum mehr. So knapp ist der zeitliche Ausschnitt bemessen, den der Film erzählt, dass nicht einmal die Formel 1 Erwähnung findet. Wenn die roten Rennwagen von Ferrari und Maserati nebeneinander rasen, ist es nicht ganz einfach, sie auseinander zu halten. Zuweilen dünkt es einen, dass der Film fast schon zufällig seinen Namen trägt, weil Ferrari nur Mittel zum Zweck einer zutiefst universellen Erzählung ist.

Noch vor der Bettflucht zu Beginn sehen wir Enzo als jungen Mann in (auf alt getrimmten) Rennsportaufnahmen der 1920er/1930er-Jahre. Selig grinst er, wenn er die Wagen noch selbst steuern darf. Später, während einer Oper, sehen wir die Sehnsuchtsorte der Hauptfiguren aus ihrer Vergangenheit. Damals, als alles noch schön und einfach war. Die Gegenwart steht dazu im krassen Gegensatz, weil sie für alle nur Anstrengung, Qual, (drohende) Niederlagen und mühselige Aufrechterhaltung des Erreichten bedeutet. Michael Manns Film zeichnet nicht das Porträt eines Rennstalls, sondern malt das Porträt eines Lebens in der Gegenwart, das aus der Perspektive eines verloren gegangenen (oder nie erreichten) Paradieses immer beschwerlich wirkt.

Die größte Qualität von "Ferrari" ist, dass eben dies nicht als triste, bedeutungsschwere Erkenntnis präsentiert, sondern mittels eines eleganten, lustgesteuerten, zuweilen makabren Genrefilm gefeiert wird. In den verhandelten Konflikten des Films stehen sich die Fronten nicht verbissen gegenüber, sondern greifen ineinander und erzeugen einen gleichbleibenden Eindruck des Nagens an den Figuren. Die Bilder, die Musik, das Ehedrama, die rasenden Autos, die unendlichen Geschäfte schaffen einen stetigen Fluss des Unfriedens und machen "Ferrari" zu einem geschmeidig laufenden Motor, der trotz seiner Abgründe, trotz seines Abgesangs auf die Hoffnung, in Ruhe zu leben, voller trotziger, hoffnungsvoller Anmut ist. Und das bereits, wenn Enzo zu Beginn seinen Wagen vom Hof schiebt und daran scheitert, keine Geräusche zu verursachen, weil sein Wagen zu nahe an einem Busch steht. Unablässig raschelt er. Bereits hier finden sich die Absurdität, das Scheitern und die klare, elegante Linie, die diesen Film bestimmen wird.

Robert Wagner

Ferrari - USA 2023 - Regie: Michael Mann - Darsteller: Adam Driver, Shailene Woodley, Patrick Dempsey, Penélope Cruz, Giuseppe Festinese - Laufzeit: 130 Minuten.

"Ferrari" ist in Deutschland nicht im Kino zu sehen. Auf Amazon Prime ist eine Streamingfassung verfügbar.