9punkt - Die Debattenrundschau - Archiv

Religion

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9punkt - Die Debattenrundschau vom 13.05.2024 - Religion

Der emeritierte Rechtsprofessor und ehemalige Präsident der Goethe-Universität Frankfurt Rudolf Steinberg beleuchtet in der FAZ das Verhältnis von Staat und Kirchen in Deutschland und bleibt beim Befund der "hinkenden Trennung", die irgendwie eher einer Aufteilung von Kompetenzen gleicht, in der der Staat den Kirchen ihre Position sichert - auch wenn die Gläubigen millionenfach abfallen. Die Kirchen, so Steinberg, funktionierten inzwischen vor allem als "Sozialkirche" über ihre Wohlfahrtsverbände Caritas und Diakonie, den größten Arbeitgebern nach dem öffentlichen Dienst. Steinberg kommt dann trotz seiner kritischen Position zu der seltsamen Aussage: "Vor allem bei der Übernahme von sozialen Aufgaben sind die Kirchen auf die Kirchensteuer als sichere Einnahmequelle angewiesen. Sie setzt die Kirchen in die Lage, Aufgaben, die der gesamten Gesellschaft dienen, tatsächlich dauerhaft übernehmen zu können: Schulen, Kitas, Beratungsstellen, Krankenhäuser, Altenpflegeheime. Genau aus diesem Grund steht auch kaum zu erwarten, dass der Staat an einer grundlegenden Änderung des Staatskirchenrechts interessiert sein könnte." Und da sind sich die Politiker aller Parteien laut Steinberg mit den Kirchenfürsten einig.

Schüchterne Frage des Bürgers: Werden Caritas und Diakonie wirklich aus der Kirchensteuer finanziert? Die Caritas selbst sagt jedenfalls auf ihren Seiten, dass sie zum großen Teil mit staatlichen Mitteln finanziert wird, die mit der Kirchensteuer nichts zu tun haben. Die Wikipedia hat sogar einen Artikel über die "Caritas-Legende", die von den Kirchen lange aufrecht erhalten wurde. Mehr als ein paar Prozent kommen bei Caritas und und Diakonie nicht aus Kirchensteuern, das meiste aus den Steuern der Allgemeinheit.

9punkt - Die Debattenrundschau vom 02.05.2024 - Religion

In der taz winkt der Islamismus-Experte Patrick Möller ab angesichts der Überraschung über eine Demo in Hamburg, bei der die Gruppe "Muslim Interaktiv" aus dem Umfeld der islamistischen Hizb ut-Tahrir (die unter anderem ein globales Kalifat anstrebt) mehr als tausend Menschen mobilisieren konnte. Die Gruppe ist bekannt, meint er, ähnliche Demos gab es in der Vergangenheit immer wieder - er glaube auch nicht, dass die Gruppe in großem Stil Zulauf bekommen werde. Allerdings sorge die deutsche Berichterstattung über den Gaza-Krieg, die er zu israelfreundlich findet, auch bei integrierten Muslimen für einen "massiven Vertrauensverlust": "Es dauerte in den deutschen Medien lange, bis über mutmaßliche Kriegsverbrechen berichtet wurde, etwa über Videos, die zeigen, wie israelische Soldaten Wohnungen plündern und feixend mit Damenunterwäsche posieren und Palästinenser verhöhnen. ... Aus meiner Sicht erodiert seit Oktober 2023 das Vertrauen in die deutsche Politik in erschreckendem Ausmaß - und viele wenden sich ab. Das ist der wahre gesellschaftliche Sprengstoff. Und dann wird es manche Muslime geben, die auf die einfachen Botschaften der Hizb ut-Tahrir und anderer Extremisten hören werden."
Stichwörter: Islamismus, Hamburg, Gazakrieg, Kalifat

9punkt - Die Debattenrundschau vom 23.04.2024 - Religion

Christian Geyer (FAZ) hat mit Begeisterung den Disput zwischen den Theologen Georg Essen und Hubert Wolf verfolgt, den die beiden in der theologischen Zeitschrift Herder Korrespondenz Spezial geführt haben und der offenbar in der Frage gipfelte, ob Frauen nun zum Priesteramt zugelassen werden sollen oder nicht. Das ist komplex, erklärte Essen und gewann damit Geyers Herz: "Selten macht Theologie so interessant von sich reden wie bei diesem von Stefan Orth dramaturgisch effektvoll moderierten Disput, bei dem es mit der Paradoxie des Dogmas geradewegs ins Zentrum aller innerkirchlichen Reformdiskussionen geht." Einerseits. Andererseits: "Warum lässt sich theologisch nicht einfach Tabula rasa machen, etwa durch Dichtmachen oder Umbenennung von Dogmen, wie man es von Straßen her kennt? ... Essen ist nicht grundsätzlich gegen diese Ansicht, er räumt ein: 'Umbrüche können Innovationen auch dann legitimieren, wenn sie einen Bruch mit der Tradition darstellen.' Allerdings müssten auch Brüche regelgeleitet vonstatten gehen, orientiert an den Gehalten der lehramtlich gültigen dogmatischen und rechtlichen Vorgaben." Ist das eine Umschreibung für Veränderungen totreden?

9punkt - Die Debattenrundschau vom 22.04.2024 - Religion

Auf ihren "Christ&Welt"-Seiten bringt die Zeit ein Interview mit dem katholischen Theologen Heiner Bielefeldt, der auf die Verfolgungen von Christen in der Welt hinweist (dabei geht es ihm ausgerechnet besonders um die Evangelikalen) und generell auf den Widerspruch von religiöser Zugehörigkeit und politischer Verfolgung zu sprechen kommt. "Wenn es sich nur um Konfessionskonflikte handelte, die sich politisch Ausdruck verschaffen, dann würden wir zuweilen die Frontverläufe gar nicht verstehen. Die ganzen Widersprüche: Die Hamas etwa ist eine sunnitische Organisation. Sie wird vom schiitischen Iran unterstützt, der im eigenen Land die Sunniten diskriminiert. Fest steht aber auch: Man kann Religion nicht als rein rhetorisches Mittel in der Politik nutzen, wenn das nicht auch in den Religionsgemeinschaften selbst auf Resonanz stößt."
Stichwörter: Christenverfolgung, Iran, Hamas

9punkt - Die Debattenrundschau vom 18.04.2024 - Religion

Der Religionswissenschaftler Reinhard Flogaus ruft in der FAZ den Ökumenischen Rat der Kirchen dazu auf, Konsequenzen gegenüber dem Oberhaupt der Russisch Orthodoxen Kirche, Patriarch Kyrill, zu ziehen. Kyrill verteidige den Krieg in der Ukraine als "Heiligen Krieg". Der Leitsatz des ÖRK "Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein!" ist mit der christlichen Botschaft unvereinbar, so Flogaus: "Der ÖRK muss handeln, sonst wird er unglaubwürdig. ... Der Zentralausschuss des ÖRK muss über Konsequenzen aus der Aufkündigung des Amsterdamer Gründungskonsenses des ÖRK durch die ROK nachdenken. Das ist er den orthodoxen Kirchen in der Ukraine und allen anderen Kirchen schuldig. … Der Zentralausschuss des ÖRK sollte nun prüfen, ob ein Ausschluss oder eine Suspension der Mitgliedschaft der ROK möglich wäre."

Ist die von Donald Trump mitpropagierte "Ideologie des christlichen Nationalismus bloß harmlos patriotisch wie Apfelkuchen", fragt sich Marc Neumann in der NZZ. Mitnichten, wie islamische Fundamentalisten streben auch die Christlichen Nationalisten (CN) die Zurückdrängung der Macht des Staates an, erfährt Neumann beim CN-Aussteiger Brad Onishi: "Laut Onishi geht es den radikalen Christen darum, die Grenze zwischen Kirche und Staat einzureißen. Sie sähen sich in einem existenziellen Kampf zwischen Gut und Böse und forderten deshalb wirtschaftliche, soziale und politische Privilegien für Christen in den USA. (...) Christen sollten die sieben Hügel von Staat, Familie, Religion, Wirtschaft, Schulwesen, Medien und Kunst/Unterhaltung stürmen, um von dort die Menschheit zu kontrollieren und die Erde für Gott zu kolonialisieren."
Stichwörter: Ukraine, Trump, Donald

9punkt - Die Debattenrundschau vom 30.03.2024 - Religion

Die Menschenrechtsaktivistin Sara Khan hat im Auftrag der britischen Regierung einen Bericht über "Threats to Social Cohesion" vorgelegt (hier als pdf-Dokument). Darin spricht sie auch den Druck an, der von Islamisten ausgeübt wird. Dieser Druck ist auch in Großbritannien gewaltig, notiert Nick Cohen in seinem Blog, auch wenn er viel weniger thematisiert werde als in Frankreich. Cohen erzählt die von Khan aufgearbeitete Geschichte eines Lehrers, der in einer Stunde über Religionsfreiheit ein Bild (keineswegs eine Karikatur) Mohammeds zeigte, zusammen mit Bildern von Jesus Christus und Moses. Er bekam den üblichen Ärger, musste die Schule und die Stadt verlassen. "Das Gymnasium und die Behörden weigerten sich, die Drohungen gegen den Lehrer als einen Angriff auf die Grundsätze einer freien Gesellschaft zu werten. Anstatt ihn zu verteidigen, suspendierte die Schule ihn und sagte, er dürfe auf keinen Fall mit seinen Kollegen sprechen. Damit nicht genug, wurden zwei weitere Lehrer suspendiert, die dieselbe Schulstunde unterrichtet hatten. Tracy Brabin, die damalige Labour-Abgeordnete für Batley und Spen, gab eine Erklärung ab, in der sie sich weder um die Sicherheit des Lehrers noch um seine Werte scherte. 'Die Verärgerung und Beleidigung, die sein Verhalten hervorgerufen hat, sind verständlich, aber sie waren auch vorhersehbar. Ich freue mich, dass die Schule eingesehen hat, wie unangemessen dies war und sich für die Beleidigung entschuldigte.'"

9punkt - Die Debattenrundschau vom 22.03.2024 - Religion

Die Stilisierung der Hamas-Pogrome zum "Widerstand", der vielleicht nicht mal antisemitisch ist, findet sich nicht nur bei Judith Butler. Ähnlich argumentieren auch manche in Deutschland populäre Theologen, hat Thomas Wessel bei den Ruhrbaronen herausgefunden. "Beispiel: der Weltgebetstag ('Frauen aller Konfessionen laden ein'), der am 1. März in ungenannt vielen Gottesdiensten mit ungezählt vielen Teilnehmern begangen worden ist. Um 'informiert zu beten', hatte der deutsche Weltgebetstag (WGT) monatelang Hintergrund-Infos angereicht, die maßgeblich von Katja Dorothea Buck, Politologin aus Tübingen, 'recherchiert' worden waren: Weit mehr als die Hälfte von vierzig Seiten mit 'Informationen zu Land und Menschen' stammt aus ihrer Feder. Durchgängig darin die von Butler bekannte Behauptung, 'die Palästinenser*innen' leisteten 'Widerstand' auch dann, wenn sie israelische Zivilisten  -  'so zum Beispiel in der Ersten Intifada'  -  niedermetzelten."
Stichwörter: Butler, Judith, Hamas

9punkt - Die Debattenrundschau vom 13.03.2024 - Religion

Bevor der Fastenmonat Ramadan zum muslimischen Volksfest wurde, diente er als militärische Übung, klärt Hamed Abdel-Samad in der NZZ mit Blick auf den Koran auf: "Muslime sollten von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang auf Nahrung, Flüssigkeit und Geschlechtsverkehr verzichten. In einer Region, in der es im Sommer bis zu 50 Grad im Schatten werden kann, war dieses Fasten eine Art militärisches Überlebenstraining und eine Maßnahme der Selbstbeherrschung. In der gleichen Koransure (Sure 2) gibt es zwei Verse, die den Muslimen ihre religiösen Pflichten erklären. Im ersten Vers heißt es: 'Vorgeschrieben ist euch das Fasten.' Einige Verse später heißt es: 'Vorgeschrieben ist euch, zu kämpfen, auch wenn es euch widerstrebt.' Die Soldaten, die widerwillig in den Kampf zogen, sollten so abgehärtet werden, und Mohammed konnte sie besser steuern, indem er alles kontrollierte, was sie aßen, wann sie aßen, wann sie schliefen und aufwachten und was sie in ihren Schlafgemächern taten." Heute stehen Muslime vor allem unter Rechtfertigungsdruck, etwa weil Kinder im Unterricht mitunter dehydriert oder unterzuckert umkippen, so Abdel-Samed weiter: "Eine islamische Kultur, in der die Religion, ihre Symbole und Rituale wichtiger sind als das Wohl der Kinder, fördert nicht die Integration."
Stichwörter: Abdel-Samad, Hamed, Ramadan

9punkt - Die Debattenrundschau vom 12.03.2024 - Religion

Der Papst hat der Ukraine neulich vorgeschlagen, die weiße Fahne zu hissen und zu kapitulieren. Matthias Rüb beschreibt im Leitartikel der FAZ Franziskus' auch unter Diplomaten in der Kirche gefürchtetes Wüten im Porzellanladen: "Der Papst schlägt die Einladungen der politischen Führung und der Katholiken in der Ukraine hartnäckig aus, weil er nur dann nach Kiew reisen will, wenn er unmittelbar danach auch in Moskau empfangen wird. Dort wollen ihn aber weder Putin noch der orthodoxe Patriarch Kyrill treffen. Dem Papst sind die durch eine 'einseitige' Reise nach Kiew verletzten Gefühle der Täter offenbar mindestens so wichtig wie die Gefühle der Opfer, die ihn um ein Zeichen der sichtbaren Solidarität anflehen."

In der FAZ verteidgt Saba-Nur Cheema die Ramadan-Beleuchtung in deutschen Städten. Dabei attackiert sie auch Hamed Abdel-Samad, der die Lichterketten kritisierte (unser Resümee): "Wie in jeder Islam-Debatte fehlt auch jetzt der muslimische Kronzeuge nicht. In der NZZ stellt Hamed Abdel-Samad die These auf, das Sichtbarmachen des Islams im öffentlichen Raum würde zu einer Stärkung der Islamisten führen. Warum sollen Islamisten davon profitieren? Das ist genauso wahr wie der Gedanke, dass die Weihnachtsbeleuchtung christlich-fundamentalistische Evangelikale stärke." Cheema berät als Politologin das Innenministerium zu Muslimfeindlichkeit, ihren Bericht zu Muslimfeindlichkeit in Deutschland musste das Bundesinnenministerium neulich zurückziehen (unser Resümee).

9punkt - Die Debattenrundschau vom 11.03.2024 - Religion

Ziemlich skeptisch registriert Hamed Abdel-Samad in der NZZ die Ramadan-Beleuchtung in manchen deutschen Großstädten. "Andersgläubige mögen sich fragen, ob sie einen Fehler machen, weil sie friedlich sind, keine Ansprüche erheben, keine Weihnachtsmärkte angreifen und sich nicht laut genug über Rassismus beschweren. In Deutschland leben Menschen aus mehr als 150 Nationen. Würde jeder von ihnen die öffentliche, staatlich finanzierte Zurschaustellung seiner religiösen oder nationalen Symbole als Voraussetzung für seine Integration fordern, dann könnte der Staat keine anderen Aufgaben mehr erfüllen, weil er ständig damit beschäftigt wäre, die Seelen der Migranten zu massieren."