Mord und Ratschlag

Mitleid mit dem Staatsanwalt

Die Krimikolumne. Von Ekkehard Knörer
20.09.2002. Die Krimikolumne. Heute: Eine arrogante Ehefrau, eine untreue Geliebte, Ärger mit dem Opus Dei und Probleme mit der Prostata - Jef Geeraerts "Generalstaatsanwalt" hat's nicht leicht
Romane mit Botschaft, gesellschaftskritischer, politischer oder sonstiger, verlangen nach dem Autor als Verpackungskünstler. Was sich mit einem Brief oder Pamphlet oder einem großen Artikel im journalistischen Umfeld umstandslos an den Mann oder die Frau bringen ließe, geht als Roman schnell auf die Nerven, weil die literarische Form immer mehr sein will als bloßer Transmissionsriemen für dies und das, für Meinung und Anklage, Aufklärung und Erhellung von Sachverhalten. Wer diesen Anspruch unterläuft, den bestrafen die Leser und erst recht die Kritiker, weil ihre Erwartungen düpiert werden. Die Kunst, das, was man sagen will (oder muss), in einen Roman zu verpacken, besteht dann genau darin, Inhalt und Verpackung so stark miteinander zu verschweißen, dass das eine vom anderen ohne Schaden für beides nicht zu lösen ist, dass die Verpackung zur Form wird für einen Inhalt, der anders nicht zu haben wäre: es bleibt einem also, einfacher gesagt, nichts anderes übrig, als einen literarischen Text zu produzieren.

Es ist, um nun auf den vorliegenden Fall zu sprechen zu kommen, keine Frage, dass Jef Geeraerts in seinen Roman "Der Generalstaatsanwalt" eine Menge Recherchen gesteckt hat, zwei Themenkomplexe stehen dabei im Vordergrund: die alle politischen Ebenen durchziehende Korruption im belgischen Staat zum einen, die skrupellosen Machenschaften der katholischen Organisation Opus Dei zum anderen. Die zentrale Gestalt des Romans ist die Titelfigur, der Generalstaatsanwalt von Antwerpen, Albert Savekoul, 64 Jahre alt, seiner Macht gewiss, korrupt bis auf die Knochen, verheiratet mit einer Frau, mit der er sich seit langem nur noch per schriftlicher Notiz austauscht. Sie leben unter dem selben Dach, aber seit vielen Jahren in getrennten Schlafzimmern, natürlich hält sich Savekoul eine Geliebte, die dreißig Jahre jüngere Louise. Seine Ehefrau ist der Inbegriff von Bigotterie, Mitglied von Opus Dei, bedacht - und damit kommt die Kriminalhandlung des Buches ins Rollen - auf einen Adelstitel für ihre beiden Söhne, keinesfalls aber für den Ehemann.

Opus Dei, mit besten Beziehungen in die höchsten Ränge des belgischen Staates, soll diese Erhebung in den Adelsrang arrangieren, Madame Savekoul zahlt dafür und nicht zu knapp. Der streng hierarchisch organisierte Orden aber ahnt, dass noch mehr drin sein könnte, durch Erpressung des Staatsanwalts, der ein geheimes Nummernkonto in der Schweiz hat. Nun, nicht ganz geheim, denn natürlich hat Opus Dei auch in die höchsten Ränge des Schweizer Bankwesens die allerbesten Verbindungen. So zieht sich die Schlinge um den Hals Albert Savekouls langsam zu, es kommt zur Übergabe des erpressten Geldes, bei der schief geht, was schief gehen kann, mit unerwarteten Folgen. Auch im Privatleben läuft es nicht, wie der Staatsanwalt wünscht: Die Geliebte hat längst einen anderen, als Ersatz kommt das polnische Hausmädchen wie gerufen - freilich ist die Ehefrau zwar bigott, jedoch nicht dumm.

Was Geeraerts zu berichten hat über die Verknüpfungen innerhalb eines hoffnungslos verrotteten Staatswesens, klingt bis in die Einzelheiten kundig - und bestätigt in jedem Fall die schlechten Nachrichten, die in den letzten Jahren aus dem Nachbarland zu uns gedrungen sind (der Fall Dutroux wird natürlich mehrfach erwähnt). Auch in Geschichte wie Gegenwart des ideologisch beinharten, im Kampf um die Macht skrupellosen Opus-Dei-Ordens scheint Geeraerts sich auszukennen, die Praktiken des Sadomasochismus, die Grundlage einer jeden totalitären Organisation sind, werden weiß Gott anschaulich dargestellt. Wieviel Wahres im Detail dran ist, entzieht sich selbstverständlich dem Beurteilungsvermögen des Nicht-Experten, aber das kann auch nicht die Frage sein. Die ist vielmehr: taugt das Buch - das allemal das Zeug zum Pamphlet hat - als Literatur?

Die Antwort lautet, mit kleinen Einschränkungen, erstaunlicherweise: ja. Zunächst einmal bringt Geeraerts das Kunststück fertig, einen Roman ohne eine einzige der Sympathie würdige Figur zu schreiben. Das Personal schwankt zwischen finsterster Niedertracht und arroganter Selbstgefälligkeit - und von Schwarz-Weiß-Malerei kann schon deshalb nicht die Rede sein, weil nur die Dunkelheit der Schatten variiert, von Unschuld, gar Güte ist in der Welt des Romans keine Spur. Umso verblüffender ist es, dass man, irgendwann und unvermerkt, so etwas wie Mitleid mit dem Staatsanwalt zu entwickeln beginnt, der lange nicht merkt, in welch unangenehmer Lage er sich befindet. Das Porträt des Arschlochs als alternder Mann, in ständiger Sorge in erster Linie um seine Prostata, deutet menschliche Züge wenigstens an - wenngleich Geeraerts von einer differenzierten Darstellung um einiges entfernt bleibt.

Auf die hat er es aber auch nicht abgesehen. Der Strich ist meist satirisch breit und nur mit der satirischen Absicht ist auch die Untugend des Erzählers zu entschuldigen, immer schon mehr zu wissen als die Figuren, stets das letzte, urteilende Wort zu haben, überhaupt: Bescheid zu wissen, mit einer flinken Beschreibung im Zweifel allen Einzelperspektiven voraus zu sein. Dieser Erzähler hat sein Personal, so viel steht fest, durchschaut und das lässt er uns wissen. Und dennoch: Er scheut nicht zurück vor dem Detail, er wühlt, ohne dass es Lust macht oder machen soll, in Sex und Verbrechen in denkbar unappetitlichen Milieus, und er flicht diese pointiert gesetzten Darstellungen nicht ohne Raffinesse in eine Kriminalhandlung mit Hand und Fuß. Das Ergebnis ist, alles in allem, eine runde Sache, die gelungene Präsentation Ekel erregender Figuren. Der Spaß, den das ganze macht, ist dem Ernst geschuldet, der hinter der Satire steckt.


Jef Geeraerts: Der Generalstaatsanwalt. Roman. Aus dem Niederländischen von Hans-Ulrich Jäckle. Unionsverlag Zürich 2002. 320 Seiten, 19,80 Euro

Zur

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Inoffizielle homepage von Jef Geeraerts