Im Kino

Leben trotz allem

Die Filmkolumne. Von Lukas Foerster, Thomas Groh
03.09.2014. Ein aufgepumpter Dwayne Johnson jagt als "Hercules" einen Haufen schmaler Hemden durch die griechische Pampa. In Uberto Pasolinis "Mr. May und das Flüstern der Ewigkeit" entgeht ein Angestellter nur knapp der Selbstsedierung durch Routine.


Muskeln
, Römer, Griechen - mit Filmen wie dem "300"-Sequel, "Pompeii" und dem bei Kritik und Publikum zwar gleichermaßen durchgefallenen, wegen seiner ganz eigenen Qualitäten aber von einigen Cinephilen derzeit versuchsweise rehabilitierten "Legend of Hercules" erlebte der Sandalenfilm zuletzt ein erstaunliches Comeback. Mit dem zweiten "Hercules"-Film der Saison, passend mit Dwayne "The Rock" Johnson in der Titelrolle besetzt, dessen Muskelberge sich mittlerweile zu Kontinenten auswachsen, endet der jüngste Höhenflug des Genres nun allerdings abrupt. Konnte "300: Rise of an Empire" noch als konsequente Durchfetischisierung und "Pompeii" als gegenüber dem Genre und seiner Geschichte respektvolle Reprise für sich bestehen, ist "Hercules" im wesentlichen eine so scham- wie charmlos depperte "Gung Ho"-Variante mit blöden Sprüchen und rustikaler "Aufs Maul"-Attitüde. Hübsch allein: Die zahlreichen Großaufnahmen von Johnsons Gesicht, wenn dieser sich redlich müht, als Held von Format ein gütiges, im Resultat allerdings nur dümmliches Grinsen zu bewerkstelligen - da findet der Film tatsächlich für wenige Sekunden einen Weg ins Herz des Publikums.

Nicht, dass sich der auf einem Comic von Steve Moore basierende Film keine Mühe gibt, das Geprügel ein wenig zu erden. Zum einen stellt er dem Geschehen von Beginn an einen mythenskeptischen Diskurs zur Seite: Besungen wird hier nicht nach alter Väter Sitte der große Held und dessen überirdische Taten, sondern ein Freelance-Söldner, der seine Taten quasi schon aus Gründen des Eigenblutdopings von einem Rhapsoden ausschmücken und überhöhen lässt - und damit die Messlatte so hochlegt, dass der Halbgott nur mit großer Mühe die selbst erweckten Ansprüche erfüllen kann. Zum anderen erzählt "Hercules" eine Geschichte mit sachten Shakespeare-Anflügen, ein Intrigendrama rund um Herrschaftsansprüche und Landbesitznahme, in dem Hercules einer bis dahin wenig durchschlagskräftigen Armee binnen kürzester Zeit zu Glanz und Glorie verhelfen soll.



Beides läuft freilich wenig rund. Will man einen antiken Held tatsächlich im ständigen Widerstreit mit seinem lancierten Image sehen? Und was ist damit gewonnen, die Fabelwesen der antiken Mythologie aufs reichlich Menschliche zurückzuwerfen? Die sich am Horizont drohend abzeichnenden Zentauren entpuppen sich hier bald als schnöde Reiter hoch zu Ross - fahler lässt sich Poesie kaum entzaubern. Und was ist spannend daran, einen aufgeputschten Dwayne Johnson dabei zu erleben, wie er einen Haufen schmaler Hemden mit Sprüchen aus der "Tschaka - Du schaffst"-Motivationsecke durch die griechische Pampa hetzt?

Auch ästhetisch bietet "Hercules" vor allem trocken Brot. Auf gepflegten Kintopp-Irrsinn wartet man nahezu vergeblich. Erst zum Showdown, und da schon viel zu spät, verirrt sich diese ansonsten reichlich durchschnittliche Hausmannskost für ein paar Momente in die Gefilde jenes gigantomanischen Schwachsinns, den man sich von einem "Hercules"-Film versprechen können sollte.

Thomas Groh


Hercules - USA 2014 - Regie: Brett Ratner - Darsteller: Dwayne Johnson, Ian McShane, John Hurt, Rufus Sewell, Aksel Hennie, Ingrid Bolsø Berdal, Reese Ritchie, Joseph Fiennes - Laufzeit: 98 Minuten.


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Man möchte das alles gründlich durchlüften: Dieses Leben, diese Welt, leider auch den Film selbst. Er erzählt die Geschichte des John May, eines Beamten, der damit beautragt ist, Angehörige von allein Verstorbenen ausfindig zu machen. Er begibt sich dazu von seinem funktionalen, nicht eben zeitgemäß ausgerüsteten Schreibtisch zu den kleinen, beengten Apartments der Toten (diese Wohnräume sind mir trotz allem, was mich sonst vom Film fern gehalten hat, sehr nahe gegangen; wie da einsame Leben selbstdiszipliniert durchorganisiert, wie bis zuletzt noch Unterwäsche zum Trocknen über die Heizung gespannt wurde…), und beginnt mit der Spurensuche. Nach Feierabend macht May sich auf nach Hause, in sein eigenes, ebenso beengtes, ebenso einsames Apartment und nimmt ein minimalistisches Abendbrot zu sich: Toastbrot und Tunfisch aus der Dose.

Der Regisseur des Films, Uberto Pasolini - der nicht nur einen cinephil sprechenden Nachnamen trägt, sondern zu allem Überfluss auch noch der Neffe Luchino Viscontis ist; freilich sollte man gar nicht erst auf die Idee kommen, Vergleiche in diese Richtung anzustellen - hat eine Vorliebe für ruhige, oft unbewegte Einstellungen, für gedeckte Farben und für symmetrische Bildkompositionen, die als (bild-)architektonische Entsprechung der Entfremdung in der Moderne gemeint sein dürften: Überall leblose Serialität, in fein säuberlich parzellierten Reihenhaussiedlungen sowieso, aber zum Beispiel auch am Meer, das hinter nebeneinander aufgereihten, farblich aufeinander abgestimmten Strandhäuschen kaum noch zu sehen ist.

Passend dazu der Protagonist, der auch im Schauspiel als eindimensionaler Trübling angelegt ist. Eddie Marsan mag anderswo, in kleineren Rollen, ein kompetenter Charakterdarsteller sein, als Hauptfigur, als John May bleibt er chancenlos gegen die Ton in Ton inszenierte Trostlosigkeit, in die Pasolini ihn wieder und wieder hineinstellt wie ein besonders trist-possierliches Requisit: Hat Marsan nicht wunderbar knautschig-formlose Gesichtszüge? Ist es nicht anrührend, wie er da vor dem Backsteingebäude steht, mit seinem altmodischen Anzug und der allzu korrekten Frisur?



Man merkt schnell, was Pasolini mit dieser Form, mit dieser Hauptfigur anstellen möchte. Innerhalb des gleichzeitig narrativ und piktoriell fest gefügten, erkalteten Rahmen - "Still Life" heißt der Film im Original - sollen kleine, widerständige Details sichtbar werden: Gefühlsreste, Erinnerungsspuren, Leben trotz allem. Noch am besten funktioniert das über Alltagsbeobachtungen: Ein Streitgespräch zwischen Nachbarn um Hundepisse, zwei Teenager, die sich am Bahnhof, über die Gleise hinweg, gegenseitig in Liebeserklärungen zu überbieten suchen.

Weitaus mehr Zeit und Energie verwendet der Film auf Wiederbelebungsversuche der abgeschmackteren Art (in denen der leider nicht komplett irreführende deutsche Titel "Mr. May und das Flüstern der Ewigkeit" zu seinem Recht kommt). In einer an den Haaren herbeikonstruierten Handlungswendung wird Herr May einerseits entlassen und also seiner Selbstsedierung durch Routine entbunden. Und andererseit landet auf seinem Schreibtisch ein letzter Fall, der ihn praktischerweise ebenfalls mit einer ungerahmten Biografie konfrontiert - worauf bereits die zahlreichen leeren Bier- und Schnapsflaschen verweisen, die May in der Wohnung des Toten findet. Seine - erst ganz am Ende, dann aber in reichlich zynischer Manier ironisch gebrochene - Reise zurück ins Leben führt ihn unter anderem in ein Fish"n"Chips-Geschäft, zu einer blonden Hundepflegerin, und zum gemeinsamen Whiskeytrinken mit Obdachlosen. Zwischendurch zielen vergilbte Fotografien und verzärtelte Musik in manipulativer oder jedenfalls mechanischer Manier aufs Sentiment.

Das alles fügt sich zu einem Begriff von Freiheit, der sich als ebenso strikt vorformatiert erweist wie die Routine, vor der man doch eigentlich fliehen will. Ist "Mr. May und das Flüstern der Ewigkeit" am Ende ein subversiver Film wider Willen?

Lukas Foerster


Mr. May und das Flüstern der Ewigkeit - GB 2013 - Originaltitel: Still Life - Regie: Uberto Pasolini - Darsteller: Eddie Marsan, Joanne Frogatt, Karen Drury, Andrew Buchan, Neil D"Souza, David Shaw Parker - Laufzeit: 92 Minuten.