Im Kino

Dicke Fische

Die Filmkolumne. Von Lukas Foerster, Thomas Groh
19.02.2014. Vorbehaltlos enthusiastisch agiert ein Starensemble in David O. Russells großem Schauspielerfilm "American Hustle". Der Animationsfilm "Tarzan 3D" von Reinhard Kloos müffelt dagegen trotz Dinosauriern reichlich altbacken.


Gleich in der ersten Einstellung ist der ziemlich voluminöse Bauch zu sehen, den sich Christian Bale angefressen hat für seine Rolle des von den eigenen Betrügereien chronisch überforderter Schwindlers Irving Rosenfeld. Die zweite Einstellung zeigt dann, wie er sich vor dem Spiegel die Haarfransen solange über die Halbglatze streicht, mit brauner Watte unterfüttert, aufwändig feststeckt, bis man natürlich erst recht sieht, dass mit seiner Frisur etwas nicht stimmt. in David O. Russells "American Hustle" gehört beides eng zusammen: Man exponiert sich in einem Moment mit all seinen Schwächen, in durchaus zügelloser Manier, im nächsten verstellt man sich, schlüpft in eine oft ad hoc erdachte Rolle - und füllt die dann genauso zügellos, ungehemmt aus, wie man vorher sein vermeintlich authentisches Selbst ausgestellt hat. Um einen Wahrheitswert jenseits der aktuellen Performance geht es so oder so nicht.

"American Hustle" ist ein Historienfilm, der sich anfangs exakt verortet ("April 28, 1978 Plaza Hotel, New York"), sich sonst aber nicht allzu viel Mühe gibt, als spezifisch verortbares Zeitbild durchzugehen. Rosenfeld gerät gemeinsam mit seiner Geliebten Sydney Prosser (Amy Adams) in den späten Siebzigern in die Fänge des überambitionierten Polizisten Richie DiMaso (Bradley Cooper). Di Maso hat Material gegen die beiden in der Hand, will aber an die richtig dicken Fische, will Mafiosi, oder, noch besser, Politiker in den Knast bringen. Die Grundstruktur der Filmerzählung ist recht simpel: Es gibt immer einen noch dickeren Fisch, Rosenfelds Uncervocer-Einsatz nimmt kein Ende und formt sich zu einem immer dichteren Lügengewebe. Und dann gibt es als wild card noch Rosenfelds Frau Rosalyn (Jennifer Lawrence), die sich mit der notorischen Untreue ihres Mannes zwar arrangiert hat, ihn aber trotzdem nicht ganz freigeben will und außerdem ganz unabhängig davon ihre Klappe nicht halten kann.

In dieser Figur, dieser wandelnden, blondierten, dauergewellten Hausfrauenneurose, einer Figur, die von Lawrence in einer denkwürdigen, zurecht oskarnomminierten Brachialperformance regelrecht zelebriert wird, kommt der Film ganz bei sich selbst an. Wenn Lawrence die Szene betritt, bebt die Leinwand (hier ein kleiner Vorgeschmack...). Auch Bradley Cooper, Lawrences Co-Star in "Silver Linings Playbook", Russells vorherigem Film, darf sich gehen lassen, wenn auch in eine andere Richtung: Wo bei Rosalyn jede Impulskontrolle ausgeschaltet ist, ist DiMaso nicht nur in seinem Job ein überehrgeiziger Streber, er muss sich bald auch im Privaten, wild grimassierend, in Verzicht üben. Wenn man dann noch Adams und Bale hinzu nimmt, die auf auf eher konventionelle Art glänzen (sie sind im Film schließlich dasselbe wie im echten Leben: Verstellungskünstler), wird klar: "American Hustle" funktioniert in erster Linie als Schauspielerkino. Und zwar nicht in dem Sinn, dass psychologisch komplexe Figuren besonders lebensecht dargestellt würden; eher funktioniert der Film als eine Bühne, die sehr direkt auf den Schauwert am Schauspieler ausgerichtet ist; und auf das, was am Schauspiel nicht Nachahmung ist, sondern Exzess. Das geht bis in kleine Nebenrollen hinein: Robert de Niro darf bei seinem Kurzauftritt seine Arabisch-Aussprache vorführen.



Sowas kann leicht nerven: Manny Farber hat immer wieder darauf hingewiesen, dass die besten Schauspielleistungen nicht im Rampenlicht, sondern sozusagen im Vorübergehen vollbracht werden, meist nicht von den Stars der Filme, sondern von szenenstehlenden Nebendarstellern. Bei Russell ist das Rampenlicht allgegenwärtig, jede Geste zielt auf den größtmöglichen Effekt, Schattenzonen für Termitenkünstler gibt es nicht mehr. Auch sonst kann man durchaus Probleme haben mit "American Hustle". Man kann sich zum Beispiel fragen, ob nicht gerade die Art von auf dem Papier nicht unkomplizierter Doppel- und Dreifachagentenerzählung, die Russels Film entwirft, nach einer etwas subtileren Schauspielführung, und auch insgesamt nach einer etwas zurückgenommeneren Inszenierung verlangt hätte. Von einem derart fein gebauten, runden Film, wie "Silver Linings Playbook" einer war, ist der zwischendurch ziemlich rüpelhafte "American Hustle" jedenfalls meilenweit entfernt.

Andererseits macht das gerade den Reiz des Films aus: Dass Russell sich nicht nur im Großen und Ganzen, sondern in jeder einzelnen Szene gegen die Kohärenz seines Drehbuchs und für seine Schauspieler und deren unbedingte Entfaltungsfreiheit entscheidet. Und dass sich seine Regie von der allgemeinen Enthemmung anstecken lässt: schon in der Musikauswahl, die nicht auf Distinktionsgehabe aus ist, die ganz im Gegenteil auch vor der einen oder anderen Peinlichkeit nicht zurück schreckt, wenn dafür der richtige Fingerzeig an der richtigen Stelle gesetzt werden kann. Auch die Kamera sucht nicht Distanz und Überblick, sondern schweift in fast formlos anmutender Manier durch Räume, tastet die Starkörper ab, lässt sich nur zu gerne von neu auftauchenden Attraktionen ablenken; stürzt sich in diesen grandios chaotischen Film genauso vorbehaltlos enthusiastisch wie Lawrence, Cooper, Adams, Bale, de Niro, und wie sie noch alle heißen.

Lukas Foerster

American Hustle - USA 2013 - Regie: David O. Russell - Darsteller: Christian Bale, Bradley Cooper, Amy Adams, Jennifer Lawrende, Jeremy Renner, Louis C.K., Jack Huston, Robert de Niro - Laufzeit: 138 Minuten.

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Dinosaurier. Dinosaurier? Dinosaurier! Mit Riesenechsen beginnt die neue filmische Adaption von Edgar Rice Burroughs' klassischer "Tarzan"-Geschichte, eine deutsche Produktion, die mit Geschäftssin in die Lücke vorprescht, die mit dem Ende von Disneys Lizenzrechten an dem Stoff entstanden ist. Erzählt wird einmal mehr die Geschichte vom weißen Jungen, der in der Obhut großer Affen im Dschungel landet, sich Jahre später als König des Dschungels von Liane zu Liane schwingt, die Bekanntschaft mit einer gewissen Jane macht und sich schließlich als Spross einer britischen Adelsfamilie - hier: eines großen Konzerns - entpuppt.

Um große Töne ist das Presseheft zum Film nicht verlegen: Es heißt, man wollte sich an einer möglichst authentischen Umsetzung versuchen. Beim Versuch ist es offensichtlich geblieben, jedenfalls sind vom Original nurmehr die Umrisse geblieben. Angereichert hat man den Film mit einer blödsinnigen Geschichte um einen Meteoriten, der vor Jahrmillionen - deshalb: Dinosaurier - auf die Erde gestürzt ist und heute das Interesse eines internationalen Konzerns weckt, verspricht er doch, eine nahezu unerschöpfliche Energiequelle zu sein. Den Unsinn im Detail - nicht nur bleibt der beträchtliche Meteorit in Größe und Umfang trotz seines ruppigen Aufschlags geradezu im Originalzustand erhalten, auch verwundert die Tatsache, dass dieser gigantisch im Dschungel prangende Brocken in dieser Hi-Tech-Welt offenbar komplett übersehen wurde - kann man gut verschmerzen; schmerzhaft wird es allerdings, wenn klar wird, warum der Meteorit in diese Geschichte zu stürzen hatte: In dessen Umgebung erstrahlt ein offensichtlich von "Avatar" abgekupfertes Wunderland mit sonderbar geformten Pflanzen und Tieren. Dessen Funktion beschränkt sich allerdings darauf, sinnlos minutenlang und reichlich fad im Film herumzustehen. Die Oberfläche des kosmischen Gebildes sieht unterdessen verdächtig nach dem bizarren Düsterland Mordor aus, das man aus "Herr der Ringe" kennt.



Dinosaurier, Wunder-Fauna, Mordor-Abklatsch - "Tarzan 3D" offenbart sich mit großer Geste als das, was der Film tatsächlich bloß ist: Eine reine Portfolio-Arbeit ohne Sinn und Verstand, die laut sagt: "Schaut her, sowas können wir auch." Hätte das den Charme einer hemdsärmeligen Aneignung, könnte man dem durchaus etwas abgewinnen. Doch "Tarzan 3D" macht ernste Miene zum ernst nicht nehmbaren Spiel und macht sich, insbesondere auch im Verbund mit dem im Märchenonkel-Brustton der Überzeugung knarzig fabulierenden Voice-Over-Erzähler, im Großen und Ganzen ziemlich lächerlich.

Das auch, weil es handwerklich reichlich hakt. Stolz kommt die Angabe daher, man habe den Film, ähnlich wie "Avatar", im Motion-Capturing-Verfahren gedreht. Da es aber zu "Avatar"-Qualität aus den Hochleistungsrechenzentren Hollywoods verständlicherweise nicht gereicht hat, hat man sich dazu entschlossen, Physiognomie und Textur der Figuren ins Cartoonhafte zu verschieben, auch um das gefürchtete "Uncanny Valley" zu umgehen, also jene unheimliche Phase in der Animation, in der eine Figur bereits zu menschenähnlich ist, um noch als erkennbar künstliche Figur durchzugehen, aber noch sichtlich davon entfernt ist, mit einem echten Menschen auch tatsächlich verwechselt zu werden. Diese Entscheidung hat zur Folge, dass Tarzans Körper zwar eine durchaus beeindruckend animierte Akrobatik hinlegt, andere Figuren aber wie elastische Knetmasse wirken und es an allen Ecken und Enden am emotionalen Ausdruck mangelt.

Dass im weiteren der Plot von Logiklöchern perforiert ist und es trotz vieler Zugeständnisse an heutige Verhältnisse ziemlich altbacken müffelt - nicht nur hat man Tarzans Affenmutter die Anflüge eines Schminkgesichts als Signum weiblicher Identität ins Gesicht animiert, auch knarrt der Voice-Over am Ende davon, dass Tarzan endlich das wertvollste auf dieser Erde gefunden habe, nämlich "die Liebe einer Frau" -, will einen da schon gar nicht mehr groß irritieren. Dieser "Tarzan" ist ein nach allen Regeln der Kunst von den eigenen Ambitionen totgeschlagenes Waisenkind.

Thomas Groh

Tarzan 3D - Deutschland 2013 - Regie: Reinhard Kloos - Mit den Stimmen von: Kellan Lutz, Brian Bloom, Spencer Locke, Jaime Ray Newman, Robert Capron, Jo Osmond - Laufzeit: 94 Minuten.

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Außerdem diese Woche neu: "Nymphomaniac Volume 1" von Lars von Trier. Hier Elena Meilickes Berlinale-Kritik.