Außer Atem: Das Berlinale Blog

Indie-Verweigerungsposen: Georg Tillers 'DMD KIU LIDT' (Forum)

Von Thomas Groh
14.02.2014. Georg Tillers Film über die Indie-Popper "Ja, Panik" ist kapitalismuskritisch, sehr traurig und sehr posenhaft.

Die in Berlin lebenden Exil-Wiener Indie-Popper "Ja, Panik" sind derzeit im Feuilleton allgegenwärtig. Das tolle WG-Badezimmer-Video zum Titelsong ihres neuen Album "Libertatia" entzückt die sozialen Netzwerke. Jetzt bringen sie auch noch einen Film, wenn schon nicht ins Kino, so eben doch ins Forum der Berlinale, dem angestammten Festivalort für poplinken Kunstgrips. Er trägt den selben Titel wie das vorangegangene Album der Band: "DMD KIU LIDT", was als Abkürzung für den schönen Satz "Die Manifestation des Kapitalismus in unserem Leben ist die Traurigkeit" steht.

Wird der Kapitalismus also konkret, wird man traurig. Auch entstehen unter Bedingungen des Kapitalismus stets Waren. Und was nicht warenförmig ist, kann unter Marktbedingungen warenförmig werden und zum Genuss angereichert oder eben zugerichtet werden. Auch und gerade vor kulturellen Erzeugnissen macht das nicht halt. Der Traurigkeitsfilm der Musiker entzieht sich dem zunächst ostentativ, indem er sich zunächst einmal in jeder Hinsicht entsättigt: Keine Farben, statt dessen ein wenig attraktives Grau-Weiß. Keine Musik von "Ja, Panik" (erst im Abspann). Keine Geschichte und doch auch kein wirklicher Anspruch auf dokumentarische Qualität. Niedrige Schnittfrequenz, lange Einstellungen. Bilder, die nicht genossen werden, aber auch nicht die Gemüter anstacheln sollen. Dialoge - kaum. Die Laufzeit? Unter einer Stunde, für den Kinobetrieb also kaum von Interesse. Ein Film wie "DMD KIU LIDT" kann nur entstehen, wenn man ihn der Sphäre der Warenzirkulation auf allen erdenklichen Ebenen zu entziehen versucht. Man könnte das vielleicht auch dialektisch verstehen: Der Kapitalismus ist so total, dass kaum Nischen und Refugien bleiben, in denen eine Ahnung dessen, was ein freies Leben sein könnte, aufschimmern.



Auch handelt es sich um einen Film, der aufräumt mit den Vorstellungen von (wenn auch beschränktem) Glamour, den Aussichten auf Selbstverwirklichung, mit denen das Musikgewerbe ja insbesondere auch im um Authentizität besonders bemühten Indie-Segment stets wirbt. Man sieht zu Beginn: Eine Band, die abbaut. Eine Band, die Bandbus fährt. Auf ewig langen Autobahnen. Zwischendrin: Diffuse Diskussionen, irgendwo zwischen Theoretisierung und konkreter Verortung. Man ringt um Sätze, erklärende Worten, wiederholt sich. Dann eine Debatte darüber, dass ein Mitglied aussteigt (wie in den zahlreichen Artikeln über das neue Album angesprochen wurde, ist die Band zuletzt tatsächlich vom Quintett zum Trio geschrumpft). Dann wieder ein Bild vom Backstage-Raum: Leute sitzen herum, ein Geldschein wird gerollt, dann geht die Band zu ihrem Auftritt. Alles für die Kunst.

Christiane Rösinger (von "Britta" und den "Lassie Singers", kürzlich hat sie ein Lob auf die Beziehungslosigkeit verfasst) sitzt einmal im Auto und diskutiert mit Sänger Andreas Spechtl unter anderem über das Schreiben trauriger Lieder. Wie man eben oft im Auto sitzt, über Dinge diskutiert, die wichtig sind, aber im referenz- und aktionslosen Raum eines Autos aber eben auch verpuffen.

Später wird der Film, ich will mal sagen: künstlerischer. Eine Szene bei einem Pferderennen lässt an die Romane von Bukowksi denken, zwei Musiker ziehen durch einen Hain und knutschen schließlich, dann gibt es Szenen, in denen die Band in Verkleidung durch den Wald läuft. Man macht Halt beim Grab von Nico, noch so eine große Traurige der Popmusik, und schaut ins Leere. Ein Film als Kind von Traurigkeit.

Traurig ist der Film und ist die Band vielleicht auch deshalb, weil die Hype-Maschinerie des Kapitalismus Lebens- und ästhetische Formen stets aufs Neue aussaugt und als entkernte Hüllen zurücklässt, die im Grunde nicht mehr brauchbar sind, es sei denn, man sagt Ja zu allem und reagiert eben nicht mit Panik. Traurig ist der Film vielleicht auch, weil man neue Lebens- und ästhetische Formen kaum unter den Augen des Kapitalismus entstehen lassen kann, will man nicht einfach nur als Zuarbeiter und Modernisierer fungieren. Der Film hält eben auch Rückschau: So entsättigt "DMD KIU LIDT" auch sein mag, man erkennt doch immer wieder Codes, die auf die Vergangenheit verweisen. Und sei es die flackernde und zitternde weiße Schrift auf schwarzem Grund im Abspann, die daran erinnert, dass Filme einmal tatsächlich Filmstreifen waren, die vor einer Lampe durch eine mechanische Apparatur ratterten. Beim Festival auf dem Potsdamer Platz sieht man diese Apparaturen nur noch musealisiert, in Vitrinen in den Arkaden beim Vorverkauf der Karten. Auch das neue " Ja, Panik"-Album "Libertatia" ist ja nun eine Rückschau auf das, was Neues einst in Aussicht stellte, aber doch nur zum Hier und Jetzt führte.

Und dennoch: Irgendwie ist das, wenn auch auf sehr eigene Weise, am Ende prätentiös. Allerspätestens im langen Abspann, der sich dann auch als Appendix mit weiterführenden Literatur- und Musikhinweisen versteht. Was zunächst als interessante Meditation über den Leerlauf im Innern begann, der sich an den ekstatischen Außenbildern des Popbiz reibt, wird gerade wegen solcher Gesten zum Ende hin ziemlich nervig. Auch wenn Spechtl Zigarette raucht und melancholisch in die Welt jenseits der Filmränder blickt, gewinnt man den Eindruck, dass "DMD KIU LIDT" im Grunde eigentlich nur eine etwas avanciertere Version von "Oh Boy" ist, die sich immerhin mit der richtigen Indie-Verweigerungspose schmücken kann.

Thomas Groh

"DMD KIU LIDT" Regie: Georg Tiller. Mit Andreas Spechtl, Stefan Pabst, Thomas Schleicher, Christian Treppo, Christiane Rösinger. Österreich / Deutschland 2014, 55 Min (Vorführtermine)