Außer Atem: Das Berlinale Blog

Raunen und Staunen: Wim Wenders und Werner Herzog in 3D

Von Ekkehard Knörer
14.02.2011.


Die erste Einstellung von Wim Wenders "Pina" simuliert den Guckkastenblick aufs Theater aus den hinteren Reihen. An der Bühnenwand trifft der Blick auf ein hingekrakeltes "Alles vorbei. 2009". Ein Anfilmen gegen den Guckkastenblick ist dieser Film, der sich als Aufhebung von Pina Bauschs choreografischen Arbeiten in 3D-Bilder geriert, dem stolz ausgestellten eigenen Verständnis nach. Es gibt manchen Grund dafür, dass "Pina" schwer erträglich ist: das erwartbare Weihevolle seines Herangehens, das komplett analysefreie Gerede der Pina-Tänzerinnen und -Tänzer. Ein komplett hagiografischer Blick auf alles und jedes, das Pina Bausch je tat. Das fernsehkultursendungstaugliche Geschnipsel aus Tanz, Talking Head, Archivaufnahmen und Bedeutung behauptendem, aber nirgends historisch, theoretisch oder sonstwie begründendem oder unterfütterndem Geraune. All das ist schlimm, das eigentliche Scheitern von "Pina" hat seinen Grund anderswo: Wenders übereignet den theatralen und choreografierten Raum einem Verständnis von Film (a fortiori in 3D), das man kaum anders als barbarisch nennen kann.

Tanz ist Arbeit an Bewegung von Körpern im Raum. Choreografiert wird für einen spezifischen Blick: den des Zuschauers im Theater. Fürs Tanztheater der Pina Bausch ist das aus historischen Gründen der westliche Guckkastenblick. Für ihn messen die Tänzerinnen und Tänzer Raumverhältnisse aus: in den Bewegungen miteinander und gegeneinander und ohne einander. Die Dynamik des Raums ist die Dynamik sämtlicher Bewegungen in ihm. Das Hineinschneiden in den so aufgespannten Raum mit anderen, nämlich Kamera-Perspektiven ist zwar die übliche brutale Praxis von Fernseh-"Inszenierungen" von Theater und Tanz, darum aber um keinen Deut weniger ein Eingriff, der begründet sein will und nur als genuin filmisch argumentierendes Konzept einer anderen, neuen Raumauflösung begründet sein kann. Das gilt sehr grundsätzlich und in 3D noch grundsätzlicher.



Eine solche Begründung wird in Wenders' Hereinmischung unters Tanzvolk nirgends erkennbar. Plump stellt er die Kamera immer so hin, dass sie den besten Blick aufs Geschehen hat. Tanzbewegungen laufen nun auf die Kamera zu, sie wird zum zusätzlichen und herausgehobenen - aber unsichtbar bleibenden - Spieler im dynamischen Feld, der in narzisstischer Manier alles auf sich und nichts andres bezieht. Mit dieser kamerazentrischen Umperspektivierung wird die Eigenlogik der Bewegung der Tänzer im Raum auf brutale Weise zerstört und der Raum verliert seine eigentlichen choreografischen Dimensionen. Die 3D-Illusion tritt dadurch von außen hinzu und hinein, nicht als genuine und eigene Auffassung des Bühnenraums, sondern als ganz äußerlich bleibender Schein.

Ja, es wäre eine Kamera denkbar, die den Kampf aufnimmt mit dem anderen Medium, auch in 3D. Eine Film-Inszenierung, die der Tanz-Choreografie auf den Kopf zusagt, dass das mit ihr im Kino so nicht geht, aber anders. Ein Film, der sich um die Gesetze der anderen Kunst mit Absicht nicht schert und zwischen und mit Körpern und ihren Bewegungen sein eigenes Ding macht. Der das Bühnenbewegtbild mit dem Filmbewegtbild intelligent konfrontiert. Nichts dergleichen aber versucht auch nur Wenders. Vollends kulinarisch wird es in jenen Sequenzen, in denen die Bausch-Tänzerinnen und -Tänzer den Wuppertaler Stadtraum nach Art von Klassikradio-Best-of-Häppchen betanzen. Oh ja, diese Bilder sind "schön", die Musik ist "schön", wie ja auch viele spätere Bausch-Sachen - hier durch "Vollmond" von 2006 vertreten -, immer auch auf jene Weise "schön" waren, für die es ein in der Kunstbetrachtung gut eingeführtes Wort gibt, das Wenders' Bühnenweihefestspiele vollumfänglich beschreibt: "Pina" ist nicht mehr und nicht weniger als der reine Kitsch.

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Welch ein Kontrast dazu Werner Herzogs für den US-History-Channel entstandene Höhlenbegehung "Cave of Forgotten Dreams". Nahtlos schließt er damit an seinen dokumentarischen Antarktis-Besuch "Encounters at the End of the World" an, in Methode, Obsessivität und auch der ziemlich einzigartigen Mischung aus wahrer Grandiosität und höherem Blödsinn. Gleich zu Beginn lässt es sich Herzog im bewährt hinreißenden bajuwarisch-englischen Singsang nicht nehmen, die Einzigartigkeit der ihm gewährten Chance zu betonen: Für das Publikum sind die im Jahr 1994 zufällig entdeckten Chauvet-Höhlen verschlossen. Mit einem kleinen Wissenschaftlertrupp erhalten Herzog, seine 3D-Kamera (die vor allem in der Höhlenbeschreitung einen Mehrwert schafft) und ein winziges Filmteam für kaum mehr als eine Stunde Einlass.



In wackligen Bildern und im die diamantstaubfunkelnden kurvigen Wände entlanggezittertem Scheinwerferlicht kommen die ältesten menschheitsgeschichtlichen Höhlenmalereien in den Blick. Vor rund dreißigtausend Jahren sind sie entstanden. Man sieht ein Bison mit acht Beinen, da war der prähistorische Muybridge am Werk. Man kommt einem Individuum an seinem krummen kleinen Finger auf die Spur. Vier unfassbar lebensecht wirkende Pferdeköpfe, eins wiehert, stammen von der Hand eines auf immer unbekannnten Meisters. Dazwischen auch mal Herzog selbst, der erklärend immer weiter auch auf der Tonspur spricht.

Charakteristisch die erste Einstellung des Films. Zwischen Weinstöcken schwebt die Kamera eine ganze Weile knapp über der Grasnarbe, bevor sie sich dann plötzlich hoch und höher bewegt, firmamentwärts, und die gewaltige Landschaft aus Fluss und Gebirge in den Blick nimmt. Das eine funktionierte nicht ohne das andere, der Aufflug nicht ohne die Grasnarbe, die der Ausgangspunkt ist. So wie Herzogs Kunst immer nur in den unwahrscheinlichsten Balancen möglich ist, zu sich kommt: als Verbindung des Lächerlichen mit dem Großartigen, des Bajuwarischen mit dem Kosmischen, des Naheliegenden mit dem sternfern Spekulierten, der naiven Weisheiten mit schalkhafter Scharlatanerie. Ansatzlos spielt Herzog Gedanken und Worte mit kühn-genialen Pässen in die Tiefe des Raums, wo freilich stets die Gefahr besteht, dass da gar keiner mehr steht. Meistens ist aber tatsächlich einer da, zum Beispiel ein bezopfter Archäologe, der vom Zirkus kommt und Herzogs Seelenerkundungen mit Hilfe der Wissenschaft lässig aufnimmt.

Jeden coup de theatre nimmt man Herzog, mag er noch so durchschaubar sein, ab. Er führt einem vor, wie man ein Mysterium schafft: auf einem wuchtig von der Höhle der Decke herabhängenden Felsenzahn findet sich die in der ganzen riesigen Höhle einzige Darstellung eines menschlichen (weiblichen) Körpers - gerade offenbar von einem Bison begattet. Genaueres aber, sagt Herzog (so recht erkennen kann man es nicht) entzieht sich dem Besucher- und Kamerablick, die Hinterseite nämlich darf er nicht filmen, zu fragil ist der Untergrund. Später im Film stellt sich diese Geheimnistuerei als Zinnober heraus. Herzog darf ein weiteres Mal in die Höhle, eine ganze Woche sogar. Nun wird auch die Rückseite der Bisonbegattung gefilmt. Die klassische Herzog-Anordnung: Er produziert munter Mysterien und es tut deren Wirkungen keinen Abbruch, wenn man dann backstage geführt wird und die Machinationen begreift, denen die Herzogschen seltsamen Götter entsteigen.

Etwas ästhetiktheoretischer formuliert: So wie Wenders mit seiner Schönheit im Kitsch sitzt wie die Made im Speck, unterhält Werner Herzog die subtilsten Beziehungen zum (entschieden postkantisch) Erhabenen. Mit der Nase stößt er den Betrachter auf allerlei, das ihm über Verstand und Begriff gehen soll. Das tut es freilich vor allem dank der Herzog-Methode. Es raunt bajuwenglisch, der Spiritualismus ist bei allem gelegentlichen Gefasel seltsam geerdet durch Sprunghaftigkeit und den verschrobenen Flug der Gedanken. Wie der Steinzeitmensch das fliehende Pferd die Sache, trifft mit entwaffnender Direktheit Herzog die Sache ins Herz. Und auch abschweifen kann er wie keiner. Ein Epilog führt vollkommen unerwartet in eine künstliche tropische Zone mit Albino-Krokodilen, gleich um die Ecke der Chauvet-Höhle. Schon in seinen letzten Spielfilmen übte Herzog den Betrachter ein in seltsame tierische Perspektiven. Das Tun der Menschen erscheint im Auge des Alligators verfremdet zum Treiben heiliger Narren. Menschheitspathos schwingt sich hoch hinaus ins Gebirge - und erweist sich dann als getragen von einem untermotorisierten kleinen Modellflugzeug. Weil er neben das Schöne immer das Tolle setzt, schlägt bei Herzog das Alberne verlässlich um ins Sublime.

"Pina". Regie: Wim Wenders. Deutschland, Frankreich 2010. (Wettbewerb, Vorführtermine)
"Cave of Forgotten Dreams". Regie: Werner Herzog. USA 2010. (Wettbewerb, Vorfürhtermine)