Im Kino

Sprache und Raumelement

Die Filmkolumne. Von Lukas Foerster, Ekkehard Knörer
08.06.2011. "A Star is Born" im Country-Milieu: Gwyneth Paltrow hat sich als alkoholumnebelter Star in Shana Festes "Country Strong" des Nachwuchses zu erwehren. Dokumentation als Analyse, darum geht es in Stefan Landorfs "Besprechung", der einen von einer fremden Welt in die nächste stößt.


Drei Country-Musiker auf Tournee. Headlinerin ist Kelly Canter, in die Jahre gekommener Star der Szene. Gwyneth Paltrow in einer ersten Altersrolle: durch weite Teile des Films bewegt sie sich alkoholumnebelt-selbstmitleidig, aber wenn sie am Ende doch noch einen großen Auftritt hat, kann man es durchaus mit der Angst bekommen: dann verwandelt sie sich in eine stahlharte, perfekt zurecht gefönte Showmaschine, Look und Auftreten erinnern an die storm-trooper-Blondinen der Fox News. Fast schon wieder sympathisch wirkt da die allerdings auch ziemlich reaktionäre Alternative, die der Film aufbaut: Canters Tourbegleiter, Lover und true-country-boy Beau Hutton, der sich am Anfang noch am Steuer seines heruntergekommenen Pick-ups umziehen muss und sich dann doch breitschlagen lässt, es einmal in der ersten Liga zu versuchen. Sein musikalisches Ideal: nostalgische Macho-Hymnen, performt in schummrigen Kneipen vor einem Haufen Rednecks.

Wie man es auch zu drehen und zu wenden versucht: Sie bleibt, zumindest aus der Außenperspektive, eine ziemlich unappetitliche Angelegenheit, diese Country-Szene, in der Massenkulturvariante als Soundtracklieferant für die Tea-Party-Bewegung genauso genauso wie an den grassroots, wo Männer noch Männer sind und Frauen idealerweise Stripper. Nichts gegen die Musik als solche soll damit gesagt sein, natürlich. Auch als Laie kann man davon ausgehen, dass eine Musikform, die so viel Wert darauf legt, mit Biografien und Lebenserfahrung gesättigt zu sein, in der Lage ist, gelegentlich auch den Ambivalenzen der menschlichen Existenz Ausdruck zu verleihen. Leider ist im Film nicht viel von solch einem Potenzial zu hören. Die Songs funktionieren im Großen und Ganzen genau gleich wie so viele Hollywood-Filmscores der Gegenwart, als stets etwas zu aufdringliche, unzweideutige Stimmungsmalerei.

Es fällt nicht leicht, sich unter diesen Bedingungen auf eine neuerliche "A Star is Born"-Paraphrase, auf das große Backstage-Melodram, das "Country Strong" mit großen Gesten und der Filmgrammatik lang vergangener Jahrzehnte aufruft, einzulassen. Dabei geben sich die Regisseurin Shana Feste und ihr Kameramann John Bailey (der in den Achtziger Jahren unter anderem einige der besten Filme Paul Schraders fotografierte) durchaus Mühe: klassisch elegant komponierte Cinemascope-Bilder, volle, warme Farben, die gelegentlicht fast ein wenig an das dem Kino längst verloren gegangene Technicolor denken lassen. Einige der gar nicht so wenigen schönen Momente des Films leiten sich direkt aus der Form ab: Der moderne, verspiegelte Tourbus gleitet fast raumschiffartig durch ein noch lange nicht im 21. Jahrhundert angekommenes Postkarten-Breitbildtexas; oder während den Konzerten, die Schnitte von der Totalen der Bühne in die Garderobe, der Song läuft dann stets im Hintergrund gedämpft weiter zur intimen Großaufnahme der versoffenen Canter.



Was den Film aber vor allem anderen ein bisschen wenigstens rettet, ist die Dritte im Bunde. Die allzu bemühte Gwyneth Paltrow und der wie schon zuletzt in "Tron" völlig banale Garrett Hedlund (den Hollywood um jeden Preis zum Star aufbauen möchte, warum auch immer) werden mit links an die Wand gespielt von Leighton Meester. Deren Chiles Stanton, Provinz-Schönheitskönigin und Country-Starlet, ist zwar nur der opening act, aber sie stiehlt mit ihrer betörenden Unschuldsmine den anderen beiden sehr glaubwürdig in Windeseile die Show.

Meester wurde bekannt durch die gleichzeitig fragwürdige und faszinierende High-Society-Teenie-Soap "Gossip Girl". Da machte und macht sie als komplett versnobbte, krankhaft ehrgeizige Milliardärstochter Blair Waldorf Manhattans Luxushotels unsicher, in "Country Strong" gibt sie eine gebändigte Variante derselben Figur. Auch Chiles Stanton will hoch hinaus und gibt erst einmal vor, alles dafür zu tun, eilt eisern strahlend von Konzerten zu Pressekonferenzen zu Studioaufnahmen, aber zwischendrin wächst ihr, was Blair nie in den Sinn kommen würde, ein Herz; bald lehnt sie sich ermattet im Tourbus an Beau Huttons Schulter, man kann sich ausdenken, wie das weitergeht. Meesters neurotische Lebendigkeit aber, die bei aller aufgesetzten Cleverness stets ein Moment von Naivität, etwas Unfertiges, behält, trägt den Film trotzdem über so manche Länge.

Lukas Foerster

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Menschen kommen an Tischen zusammen. Das sieht man, wieder und wieder. Dagegen, daneben aber auch: leere Stühle, leerer wartender Raum, Außenansichten. Ein Raum und sein Zweck, ein Ding und seine Funktion. "Besprechung" heißt der Film. Er beobachtet dokumentarisch Menschen, die aus beruflichen Gründen zu Tisch kommen und dort ihre Dinge bereden. Berufliche Dinge, man redet in Fachsprachen-Zungen, Termini-Brocken in Deutsch und Englisch und Denglisch.

Eine Runde nach der anderen zeigt beim Besprechen Stefan Landorf, der diesen Film gedreht hat. Wer von außen kommt und hineindarf (wir, die Zuschauer also), versteht wenig. Ziel der Dokumentation ist nicht der Einblick in diesen und jenen sachlichen und beruflichen Zusammenhang. Als Zuschauer wird man in diese spröde Fremde einer Sprache geworfen, die - in den meisten Fällen sicherlich - nicht die eigene ist. Justizsprache, Militärsprache, Entwicklungshilfesprache, Medizinsprache. Und so weiter. In der imaginären und möglichen Fortsetzung wäre dann irgendwann eine dran, die einem vertraut ist: Redaktionskonferenzsprache, Filmkritikersprache. Mir aber bleibt alles fremd in "Besprechung". Was man, die Nase platt an der Glaswand der Refugien der anderen, wiedererkennt: die Tische, die Stühle, die Funktionen, die Gesten, die Rangordnungen, die Angemessenheit der Kleidung (Uniform, Jeans, Anzug: je und je), die Fokusierung aufs Thema, das forciert Sachliche aller Umstände der Zusammenkunft.

Daraus ergibt sich, implizit schon, eine These, die zudem der Titel suggeriert: Es macht Sinn, die Sozialszenerie "Besprechung" mit ihren Skripten als Abstraktum zu begreifen. Das tut der Film. Er geht nicht auf einzelnes ein. Erläutert wird nichts. Die sich zur Besprechung versammelnden Menschen tun, was sie tun, sagen, was sie sagen, sind so nah dran an ihrem Gegenstand, dass der Betrachter mit Gewalt auf Distanz bleibt. Außer er fällt aus Versehen in die eigene Sache und Sprache, ist mit Finanzdingen und Genmarkern und Werbeetats befasst. (Allerdings gibt es dem Allgemeinwissen näher und ferner liegende Dinge: Kosovo und Afghanistan, Besprechung in der Jugendjustiz. Dagegen "Funktionsverlagerung, Zinsschranke, Mantelkauf, Thesaurierungsbegünstigung...")



Das Desinteresse des Films an den Gegenständen, deren Verhandlung er beobachtet, ist komplett. Er sucht eine Grammatik, eine Struktur. Alles Semantische ist ihm Hekuba. Konsequent nimmt er die Sprechenden nicht als Individuen, sondern quasi-wissenschaftlich selbst als Samples. Keine Namen, nichts Privates. Sondern: Menschen als Aufsager von Sätzen. So greift er einzelne Personen aus ihren Zusammenhängen jeweils heraus - spielfilmartig sozusagen -, bevor er sie dann in ihnen vorführt. Sie sitzen nicht im Besprechungszimmer, sondern in ihren Büros. Auf dem Stuhl am Schreibtisch. Sie sagen jetzt, als Fische aufs Trockene gesetzt, was sie danach im Film im Zusammenhang der Besprechung sagen werden und in der Wirklichkeit natürlich zuvor gesagt haben. Landorf löst den Zusammenhang auf, genauer: macht ihn als auflösbaren kenntlich.

Und er macht einen weiteren Schritt Richtung Abstraktion. Junge Menschen schieben die Brice-Marden-haft einfarbigen beweglichen Raumteiler-Wände in einem Besprechungszimmer nach links und nach rechts und sprechen die Sätze der Anderen dabei. Landorf nimmt die Samplesätze denen, die sie geäußert haben, dadurch endgültig aus dem Mund. Endültig leer werden sie so, abstrakt, verloren ohne den Zusammenhang, in den sie gehören: Wo "Besprechung" war, soll Aufsagen werden. Diese ikeahaft abstrakte Raumteilersprache schneidet der Film zwischen die real dokumentarischen Szenen. Drei Ebenen also: Die tatsächliche Besprechungssituation. Das Herausnehmen der Sprecher mit einzelnen Sätzen, das Verfügen des einzelnen mit seinen ihm noch einmal aufgenötigten eigenen Worten an den Schreibtisch. Und drittens die Verraumteilung der vereinzelten Sätze.

So weit, so gut, so seltsam. Die entscheidende Frage: Was soll das, was bringt das? Eines ganz buchstäblich und sicherlich: Analyse, also Lösung eines Zusammenhangs zwecks Betrachtung einzelner Teile. Wird dabei aber eine Struktur sichtbar? Oder andersrum: Liegt die Struktur des Skripts Besprechung nicht sowieso lächerlich klar zutage? Ist die Analyse und Auflösung etwas anderes als bloße Verfremdung durch Abstrahierung? Und also der Film eine Art Filmgedicht, das Semantik in Form überführt? Sollte er dann aber nicht zwingendere Rhythmen haben und raffinierter verfarhen und mehr Formbewusstsein zeigen?

Oder versteht Landorf das ganze - das möchte man am wenigsten hoffen - als Sprachkritik? Gewiss, hier wird in Formeln gesprochen, hier wird Sprache als reines Verständigungsinstrument gebraucht. Aber erstmal: So what? Kritik wäre doch erst möglich, wo man sähe, wie sehr oder wenig diese Sprache mit ihren Versatzstücken dem Zweck, dem sie dient, angemessen ist. Gerade das aber macht Landorf unmöglich, indem er die Besprechungs-"Samples" von vorneherein ohne Kontext in seinen filmischen Abstraktionsraum stellt. Jeder mögliche kritische Impetus fiele so auf sein eigenes Verfahren zurück: Er interessiert sich nicht für Zusammenhang, Soziales, den Gegenstand selbst. Dass auch die Sich-Besprechenden das nicht tun, erhellt daraus, dass er sie und ihr Sprechen frei- und bloßstellt, gerade nicht. "Besprechung" ist der ambitionierte Versuch, die Wirklichkeit in übers rein Dokumentarische hinaus gehenden Verfahren, nämlich per Analyse und Abstraktion, nicht darzustellen, sondern zu untersuchen. Was dabei rausspringt, bleibt sehr die Frage.

Ekkehard Knörer

Country Strong. USA 2010 - Regie: Shana Feste - Darsteller: Gwyneth Paltrow, Garrett Hedlund, Tim McGraw, Leighton Meester, Marshall Chapman, J.D. Parker, Cinda McCain, Jeremy Childs, Jackie Welch, Gabe Sipos, Sandra Harris

Besprechung
. Deutschland 2009 - Regie: Stefan Landorf - Darsteller: Anne-Marja Lützkendorf, Kerstin Peupelmann, Matthias Pick, Albrecht Schuch, Juliane Spaniel