Im Kino

Abgefahrener Zug

Die Filmkolumne. Von Thomas Groh, Ekkehard Knörer
02.01.2008. Regisseur Wes Anderson schickt in "Darjeeling Limited" drei heilungsbedürftige Brüder mit dem Zug durch Indien und alle, sogar Bill Murray, der eigentlich nicht mitspielt, landen dabei in Anderson-Ville. Chris Sivertsons kruder Horror-Thriller "Ich weiß, wer mich getötet hat" wurde beim US-Start von der Kritik heftig verprügelt, ist aber stylisher Trash der beinahe begnadeten Sorte.
Bill Murray. Bill Murray - im Taxi, gestresst, quer durch eine indische Metropole. Bill Murray - rennt. Einem davonfahrenden Zug hinterher, Zeitlupe, 60s Pop. Schmeißt noch sein Gepäck, aussichtslos, der Zug ist abgefahren. Andere - um die es gehen wird ­ kriegen ihn, trotz Zeitlupe. Der neue Film von Wes Anderson - nach "Rushmore", "Royal Tenenbaums" und "Die Tiefseetaucher" - hat begonnen. Der erste in dieser Reihe, der ohne Bill Murray auskommen muss, weil der ja, wie man sieht, eingangs den Zug verpasst. Wir aber sind schon mitten drin, in ­Anderson-­Ville, einem Reich aus einer Fülle obskur-­ephemerer Details, dysfunktionaler Großfamilien, verschroben entrückter Melancholie und einer scheinbar der Logik von Mixtapes folgenden Zusammenstellung von Popmusik vergangener Dekaden.

Der prächtig anzuschauende Zug, dem hinterher gehetzt wird, heißt Darjeeling Limited, seine Route führt durch Indien und bietet über weite Strecken die Kulisse des Films, weshalb dieser denn auch genauso heißt. In diesem Zug unterwegs sind die drei Gebrüder Whitman, die sich, auf Geheiß des ältesten, Francis (Owen Wilson), nach einer Phase der Entfremdung und ein Jahr nach der Beerdigung des wohlhabenden Vaters in Indien wiedertreffen, zum Zwecke der Erleuchtung inklusive brüderlicher Wiederannäherung. An Beschädigungen haben sie schwer zu tragen: Francis hat einen Unfall gerade so überlebt und tritt deshalb grotesk bandagiert auf; Peter (Adrien Brody) will sich von einer Frau scheiden lassen, die er nicht liebt, die ihm jedoch gerade eröffnet hat, dass sie von ihm schwanger ist; Jack (Jason Schwartzman) schließlich, der jüngste, hat sich gerade von seiner Freundin (Natalie Portman) getrennt, der er, wann immer sich die Gelegenheit bietet, hinterher telefoniert und sich weiterhin als Schriftsteller an der Literarisierung alles Erlebten übt (weshalb es lohnt, unbedingt pünktlich ins Kino zu kommen, da im wunderbar elegant und lakonisch inszenierten kurzen Vorfilm "Hotel Chevalier" ein wenig Vorgeschichte erzählt wird).

Neben familiären Zersplitterungen stehen in den Filmen von Wes Anderson immer auch kulturelle im Mittelpunkt - und die nostalgische Wehmut, die sich aus dem Bewusstsein der Zersplitterung ergibt. Ein Bewusstsein, das sich in der sorgfältigen Ausstaffierung dieser Filmwelt mit beispielsweise obskuren Produktverpackungen oder Modeaccessoires widerspiegelt, die auch hier ein Gutteil der Kulisse bevölkern, als handele es sich dabei um stumme, ihren Zusammenhängen entrissene Zeugen einer vermutlich nicht heileren, aber abhanden gekommenen Welt.

Anderson gelingt in "Darjeeling Limited" das Kunststück, seinem aus Stückwerk bestehenden Filmuniversum zwar treu zu bleiben - allüberall, und sei es in dem spezifischen, lieblichen Hellblau, in dem der Zug gehalten ist, ist typisches Anderson-­Kolorit zu finden ­, und dennoch einen Heilungsprozess einzuleiten. Die Geschichte plätschert, zuweilen obskur, zuweilen zum Brüllen komisch, zuweilen mit aufrichtiger Emotionalität, doch sie bleibt so geradlinig wie zwei Eisenbahngleise. Von Zeit zu Zeit wird der Ballast der Vergangenheit einfach abgeworfen - dafür steht das in rauen Mengen vorhandene Gepäck, das auffallend häufig weggeworfen, verloren oder geraubt wird.

Das Spektakuläre sucht die Geschichte nicht. Sie bleibt geschenkte, angenehme Zeit. Die Welt aus Produktverpackungen und Accessoires, liebgewonnenen Popsongs der 60er Jahre und gepflegten Anzügen mit Understatement - im zwischen Fiktion und authentischer Beobachtung changierenden Indien, und zumal im herrlich übervoll beladenen Zug, in dem sogar grantelnde deutsche Touristen ihren Platz haben, findet dies einen Rahmen, der Kontexte vielleicht nicht schafft, aber dennoch hinreichend Einbettung bietet. Hinreißend sind seine Kadrierungen der beengten Zugsituation, wie es ihm gelingt, noch im engsten Kuddelmuddel aus Koffern, Handgepäck, Hochbetten, Durchreichen und halbnackten Männerkörpern eine ganz eigene Form von Übersicht zu schaffen, die gerade mit distanzierter Orientierung nicht zu verwechseln ist. Ein kleines Kinoglück, auf das es im Saal zu achten gilt, ist sein so präziser, wie fast unauffälliger Einsatz des Kameraschwenks - ein im Zeitalter von Schnitten im Halbsekundentakt eigentlich verpöntes Stilmittel ­, das eine ungemein elegante räumliche Kontinuität und oft genug lakonischen Witz in den Film trägt.

"Wir wollen einfach gemeinsame Erfahrungen machen", meint Francis zu Beginn der Reise. Am Ende sind in einer langen Kamerfahrt Zugabteile zu sehen und Figuren vom Wegesrand der Geschichte sitzen darin. Und schließlich sitzt dort, zufrieden diesen Zug erwischt zu haben, auch Bill Murray. Wes Anderson zieht einen Rahmen, das Stückwerk ist gerettet, der Abspann läuft, guter Film.

Thomas Groh

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Junge Frauen verschwinden. Ein Serienmörder geht um. Die Bilder sind in rot getaucht und in blau. Wir sehen zu Beginn Lindsay Lohan als Stripperin (rot) und als aufstrebende Schriftstellerin (blau). Wie diese beiden Identitäten - rot, blau, schreiben, strippen - zueinandergehören, danach fragt der Film. Die Antwort darauf fällt alles andere als einfach aus. Kein Wunder, denn schon der Titel "Ich weiß, wer mich getötet hat" verspricht Unmögliches, eine Leiche nämlich, die sprechend Auskunft gibt.

Aubrey, die junge Schriftstellerin in blau, ist verschwunden. Sie wollte sich mit Freunden zum Kino treffen und erscheint nicht. Im Hintergrund hängt ein Filmplakat, es handelt sich um einen Film des nicht zu Unrecht völlig vergessenen 50er-Jahre B-Movie-Regisseurs Hugo Haas. Das zeigt zweierlei an: Der Regisseur dieses Films ist an Realität nicht sonderlich interessiert und er ist ambitioniert. Das freilich konnte man schon zuvor merken. Daran, dass er gleich zu Beginn serienweise Füße ins Bild rückt und Hände: das verspricht, weil es unmotiviert scheint, aber nicht ist, nichts Gutes.

In der Tat: Der Fuß und die Hand sind bald darauf ab. Aubreys Fuß, Aubreys Hand. (Man sieht auch, wie sie abhanden kommen, darum hat der Film keine Jugendfreigabe.) Die junge Frau taucht wieder auf, am Straßenrand liegen gelassen, lebend, aber verstümmelt. Nur: Sie sei nicht Aubrey (blau), sagt sie. Sie sei die Stripperin Dakota (rot). Keiner glaubt ihr, die Eltern nicht, ihr Freund auch nicht und am wenigsten das FBI. Sie bekommt hoch raffinierte Prothesen. Sie kann mit dem Prothesen-Bein wieder gehen, sie kann nun mit der Prothesen-Hand übermenschlich zupacken. Nur ihre Aubrey-Identität lässt sich prothetisch nicht wiederherstellen.

"Ich weiß, wer mich getötet hat" ist wahrscheinlich der von der amerikanischen Kritik am schlechtesten besprochene Film des vergangenen Jahres (vgl. die Übersicht bei Rotten Tomatoes). Kübelweise Hohn und Häme wurden über der Hauptdarstellerin Lindsay Lohan ausgegossen. Auch an den Kassen ist der Horror-Thriller böse geflopt. Lindsay Lohan selbst hat davon vermutlich nicht viel mitbekommen, denn statt auf Werbetour für ihren Film war sie im Drogenentzug. 2007 war für den Jungstar alles andere als ein gutes Jahr.

Dabei ist "Ich weiß, wer mich getötet hat", das Mainstream-Debüt des zuvor mit billigen Horror-Kruditäten aufgefallenen Chris Sivertson, ein einigermaßen verblüffendes Ding. Überambitioniert, allzu stylish, mit großem Selbstbewusstsein auf den Spuren von Dario Argento und Brian DePalma. Natürlich sind Logik und Wahrscheinlichkeit die ersten Opfer des Drehbuch-Drangs, den Zuschauer immer wieder auf dem falschen Fuß zu erwischen. Und spätestens nach den Veränderungen, die man nach ersten Zuschauertest-Desastern vorgenommen hat, führen viele von Sivertson mal subtil, mal brachial gesetzte Hinweise und Spuren ins Leere oder bleiben jedenfalls nebulös. Die heftigen Diskussionen, die über mögliche Erklärungen fürs Unerklärliche in den Foren von imdb.com geführt werden, bezeugen aber, dass an dem Film sehr viel mehr dran ist, als die amerikanische Kritik sehen wollte. "Ich weiß, wer mich getötet hat" ist zwar keines der großen Hollywood-Trash-Meisterwerke wie Paul Verhoevens "Showgirls" oder John McTiernans "Rollerball". Aber in seinem großkotzigen Scheitern allemal aufregender als das Gros der Hollywood-Jahresproduktion.

Ekkehard Knörer

Darjeeling Limited. USA 2007 - Originaltitel: The Darjeeling Limited - Regie: Wes Anderson - Darsteller: Owen Wilson, Adrien Brody, Jason Schwartzman, Anjelica Huston, Irrfan Khan, Natalie Portman

Ich weiß, wer mich getötet hat. USA 2007 - Originaltitel: I Know Who Killed Me - Regie: Chris Sivertson - Darsteller: Lindsay Lohan, Julia Ormond, Neal McDonough, Brian Geraghty, Garcelle Beauvais, Spencer Garrett, Gregory Itzin