"Journalism is publishing what someone doesn't want us to know, the rest is propaganda." Dieses Zitat von Horacio Verbitsky steht auf der Startseite des Blogs regensburg-digital. Es ist das Credo von Stefan Aigner, freier Journalist: Er hat sich der lokalen Berichterstattung im Internet verschrieben. Das Blog zeigt sich mit unabhängiger Recherche kritisch gegenüber örtlicher Politik, bietet den Bürgern ein Forum direkt unter den Artikeln und entwickelt so einen produktiven und differenzierten Austausch zwischen Journalist und Leser. In den Kommentaren zu den Recherchen Aigners, etwa zum katastrophalen Zustand eines Regensburger Schulgebäudes, werden lebhafte Diskussionen geführt, unter anderem auch von Betroffenen, in diesem Fall den Schülern.

Besonders kritische Berichte des Blogs zur Personalpolitik des Möbelhauses XXXLutz wurden mit Unterlassungsverfahren desselben beantwortet - sie blieben vor Gericht aber erfolglos. Auch die Nürnberger Rüstungsfirma Diehl ging gerichtlich gegen Aigner vor und erwirkte eine einstweilige Verfügung, weil der Blogger deren Produkt "Smart 155" als "Streumunition" bezeichnet hatte (Hier der Hintergrund dazu in der taz). Aigner schreibt auf seinem Blog unabhängig, kritisch, zuweilen drastisch formulierend und unverhohlen wertend - und ist damit vielen lokalen Firmen, Politikern und Institutionen ein Dorn im Auge.

Denn meist ist es nur eine Tageszeitung, die in einer Region die gesamte lokale Nachrichtenberichterstattung leistet. Sie allein entscheidet, welche Informationen den Leser in diesem Gebiet erreichen und vor allem, wie sie zu bewerten sind. Damit einher geht die mittlerweile zur Normalität gewordene Abhängigkeit dieser Tageszeitung von Interessen der örtlichen Wirtschaft und der Politik; dies steht im offensichtlichen Widerspruch zu unabhängigem und kritischem Journalismus. Trotzdem bilden gerade in Gegenden, wo das Einzugsgebiet einer einzelnen Tageszeitung sehr hoch ist, diese das von individuellen Interessen bestimmte Meinungsmonopol.

Mit Bloggern wie Stefan Aigner zeichnet sich eine Gegenbewegung ab: Lokale Internetblogs distanzieren sich von der Klientelpolitik der Lokalblätter und verweisen mit selbst recherchierten, spezifisch lokalen Themen auf eine neue, hyperlokale Informationskultur im Internet.

Die meisten aufwändig gestalteten und mit größerer Themenvielfalt ausgestatteten Lokalblogs haben nicht unerhebliche laufende Kosten und versuchen, diese mit dem Verkauf von Werbeflächen auf ihrer Seite zu decken. Noch leiden sie darunter, dass es sich um sehr kleine Unternehmen oder Einzelkämpfer handelt, die sowohl juristisch als auch wirtschaftlich stark angreifbar sind.

Aber die Regionalzeitungen selber zeigen, dass in dem Markt auch ein Potenzial steckt. Da sie häufig auch die lokalen Anzeigenblätter besitzen, können sie die Preise des gesamten Anzeigenmarktes vor Ort bestimmen und machen nach wie vor erhebliche Gewinne. Damit lassen sie den Blogs, die geringere Preise nehmen können, eine Lücke. Etablierte Blogs wie das heddesheimblog von Hardy Prothmann erwirtschaften schon jetzt regelmäßig immer höhere Gewinne. Blog-Betreiber müssen also nach neuen Wegen suchen, die Blogs lukrativer zu gestalten und dabei nicht die wichtigsten Eigenschaften ihres Blogjournalismus einzubüßen: Unabhängigkeit und Individualität.

Die Tageszeitungen werden ihnen dabei nicht helfen: Sie reagieren meist mit Totschweigen auf die unerwartete Konkurrenz. Auch der juristische Gegenwind aus Wirtschaft und Institutionen ist stark: Bestes Beispiel ist dafür Stefan Aigner und sein Blog regensburg-digital. So forderte die Möbelhausgruppe XXXLutz Anfang 2010 eine Unterlassung von Aigner, der unter anderem über die schlechten Arbeitsbedingungen und eine untertarifliche Bezahlung der Mitarbeiter der Möbelhauskette berichtet hatte. Die darauf folgende Klage wurde bei einem Streitwert von 75.000 Euro vor dem Landgericht Regensburg zu Gunsten Aigners entschieden.

Doch kurz darauf stand dem Betreiber des Blogs ein weiteres Verfahren ins Haus. Diesmal hatte er es mit der Katholischen Kirche zu tun. Michael Wenzl fasst den delikaten Sachverhalt auf seinem Blog zusammen.

So kämpft Aigners Blog laufend gegen Unterlassungsverfahren wie diese und bemüht sich um sein Recht auf freie Meinungsäußerung, das ihm nach dem Grundgesetz zusteht. Aigner muss dabei der finanziellen Realität ins Auge sehen: Die Kosten des Verfahrens zwischen ihm und XXXLutz musste zwar letztendlich der Konzern tragen. Verfahren aber, die zugunsten der Kläger ausfallen, brauchen ein Budget auf, das Blogs wie regensburg-digital gar nicht haben. Nicht zuletzt deshalb hat Stefan Aigner einen Förderverein ins Leben gerufen, dessen Mitglieder den Blog finanziell stützen, ohne seine Berichterstattung inhaltlich zu beeinflussen. Im Zusammenhang mit dem Verfahren zwischen Aigner und der Regensburger Diözese hatte der Blogger zu Spenden aufgerufen und innerhalb von zehn Tagen über 10.000 Euro von zumeist privaten Sympathisanten aus dem In- und Ausland gesammelt. So ist Aigner momentan in der Lage, den Prozess weiterzuführen: "Mein Rechtsanwalt und ich arbeiten zur Zeit an einer Erwiderung der Klage der Regensburger Diözese. Wir wollen sie Mitte Oktober einreichen", berichtet Aigner dem Perlentaucher.

Trotz dieser breiten Rückendeckung aus der Bevölkerung können Spendenbuttons und -aufrufe natürlich nicht die einzige Geldquelle eines unabhängigen Lokalblogs wie diesem sein; so fehlt gerade hinsichtlich etwaiger Rechtsstreits nach wie vor ein realistisches Finanzierungs- oder Geschäftsmodell für lokale Blogs, das auch Gerichtskosten tragen kann. Der juristische Druck durch Unterlassungsverfahren finanzkräftiger Blog-Gegner spricht zwar unbedingt für eine kritische Lokalbloggerei, doch das löst deren finanziellen Probleme nicht. Noch jedenfalls haben Blogs wie regensburg-digital keine Möglichkeit, ohne Furcht vor Existenz bedrohenden Unterlassungsklagen eine unabhängige, lokale Berichterstattung zu leisten.

Stefan Aigner aber lässt sich nicht entmutigen und berichtete nun indirekt darüber, wie ihm verboten wurde, über den Diözesen-Fall zu berichten. Zwischenzeitlich seien sogar andere Medien abgemahnt worden, die darüber berichtet hätten, wieso er, Aigner, vom Regensburger Bistum verklagt wurde. "Natürlich dürfen wir aufgrund der Einstweiligen Verfügung, die die Diözese Regensburg gegen unsere Redaktion erwirkt hat, nicht darüber berichten... worüber auch andere Medien berichtet haben und worüber bis heute Berichte, Kommentare, Meinungen etc. etc. im Internet abrufbar sind, deren Wahrheitsgehalt von der Diözese bestritten wird. Deshalb können wir nur eindringlich davor warnen, sich über das Internet darüber zu informieren, was nun überhaupt berichtet wurde und welche Berichte darüber wiederum der Berichtigung bedürfen (in den Augen der Diözese Regensburg). Lesen Sie das nicht!!! Schweigen Sie!"

Solange sich also die lokalen Blogs unpolitischer Themen annehmen, scheinen sie nichts befürchten zu müssen. Doch sobald der Betreiber eines kleinen Blogs sich anmaßt, über politische, soziale und institutionelle Missstände vor Ort zu berichten, stehen ihm Prozesse ins Haus, die das Recht auf freie Meinungsäußerung in von Klientel- und Mauschelpolitik bestimmten Orten unterdrücken, indem sie die Blogs durch einen Rechtsstreit finanziell ruinieren. So steht der Sinn und die Berechtigung von Lokalblogs freier Journalisten wie Stefan Aigner nicht zur Debatte, im Gegenteil. Die Reihe von Klagen gegen das Blog verdeutlicht die Notwendigkeit von kritischer Berichterstattung im Lokalen: "Die Klagen gegen mich und mein Blog bestätigen eigentlich nur meine Arbeit und beweisen, dass ich offensichtlich wunde Punkte treffe", so Stefan Aigner gegenüber dem Perlentaucher.

Gerade deshalb erscheint es immer dringender, Wege zu finden, einen Rechtsstreit um freie Meinungsäußerung nicht von der größeren Finanzkraft entscheiden lassen. Aber davon ist nicht nur die lokale Blogkultur noch weit entfernt.

Lara Brünjes