Außer Atem: Das Berlinale Blog

Nur halt ohne Kunst: der argentinische Wettbewerbsfilm "La tercera orilla"

Von Thomas Groh
12.02.2014. Celina Murgas Vater-Sohn-Geschichte ist mit deutschen Geldern finanziert und wirkt ein wenig wie Berliner Schule aus Buenos Aires. Der Film überzeugt nicht.


Argentinien, in der Wohnung einer Mittelschichtsfamilie. Sommerliche Nachmittagsstimmung liegt in der Luft. Sie macht sich vor dem Spiegel etwas zurecht, er liegt auf dem Bett. Sein Lächeln ergibt das weitere, aber erst nachdem die Tür zur übrigen Wohnung geschlossen wurde. Beide sind schon etwas älter, etwas runder. Und die Art, wie sie sich die Unterhose unter dem Sommerkleid auszieht, verrät einem viel darüber, dass man hier ein eingespieltes Team vor sich hat, das auf romantische Gesten nicht mehr unbedingt viel Wert legen muss. Man könnte das hier für eine lebensfrohe, intakte Familie halten.

Könnte man. Denn es liegt da durchaus was im Argen. Zum Beispiel, dass er eine weitere Familie unterhält. Und dass er, rein äußerlich eher Typ Kuschelbär, doch schon ein ganzer Kerl eher althergekommenen Schlags ist. Hier ist er gefeierter Arzt, dort bewirtschaftet er eine große Farm. Seinen Sohn Nicolás will er langsam in die Männerwelt einführen. In einer Puffbar winkt er ihm eine Dame an den Tisch und gesellt sich selbst zu einer anderen an den Tresen. Vorher zeigte er dem Sohn die berühmten drei Affen, unter deren Motto alles, was sich in dieser Bar abspielt, steht: Nichts hören, nichts sehen, über nichts reden. Später soll Nicolás für seinen Vater als Kurier Kuverts mit Geld verteilen.

"La Tercera Orilla" wird laut Vorspann von Martin Scorsese präsentiert, produziert haben ZDF und Arte sowie gut die Hälfte der deutschen Filmförderungseinrichtungen. Man könnte den Film, wenn man denn will, durchaus in Sichtnähe zur "Berliner Schule" rücken: Die Erzählhaltung unterwirft die einzelnen Szenen gerade nicht der Ökonomie einer straff gebündelten Geschichte, vieles an dem Film ist spröde. Und Nicolás schaut häufig ziemlich ausdruckslos aus der Wäsche. Man muss dann aber auch dazu sagen: Das wäre dann allerdings auch wenig gut adaptiert, eher eine abgeschaute Masche als wirkliche ästhetische Reflexion. Was man dem jüngeren deutschen Autorenfilm gerne, meist haltlos, vorwirft, ist in diesem Fall, leider, berechtigt: "La Tercera Orilla" ist fad erzählt und künstlich entleert - nur halt ohne Kunst.

Um was es geht, schimmert zwar wohl immer wieder durch: Nicolás soll lernen, was ein echter Mann ist - mit gefügigen Frauen, Unnachgiebigkeit, Rudelverhalten und einem gewissen Maß an Abgebrühtheit. Am Ende nimmt der Film dann doch Fahrt auf: Dann stellt Nicolás die Kuverts nicht mehr zu und greift zum Benzin, insbesondere auch, weil er einmal gut was aufs Maul bekommen hat, wie einem das unter echten Kerlen eben passieren kann. Das Projekt, das Regisseurin Celina Murga da verfolgt, mag politisch ohne weiteres sympathisch und richtig sein; seine filmische Umsetzung ist unterdessen schablonenhaft und illustriert lediglich eine bereits vor Beginn im Ergebnis feste These. Schade.

(Und auch wenn man einem rein deutschen Film keineswegs das Wort reden will: Was das deutsche Fernsehen samt Filmförderung dazu reitet, inArgentinien Mittelmäßiges mit unausgegorenem Formwillen zu produzieren, während hiesigen Produktionen der Wille zur Form geradezu systematisch ausgetrieben wird, wüsste man schon auch gern.)

Thomas Groh

"La Tercera Orilla - The Third Side of the River". Regie: Celina Murga. Mit. Alián Devetac, Daniel Veronese, Gaby Ferrero, Irina Wetzel und anderem. Argentinien/Deutschland/Niederlande 2014. 92 Minuten. (Wettbewerb - alle Vorführtermine)