Außer Atem: Das Berlinale Blog

Spaß am Zeltlager: 'Another World' im Panorama

Von Thomas Groh
09.02.2014. "Another World" feiert mit klebriger Jubelrhetorik die gescheiterte "Occupy"-Bewegung.


Herbst 2011, Occupy Wall Street. Die Bilder vom Zuccotti Park gehen um die Welt, Feuilletonisten aller Länder diskutieren sich einen Wolf, Ableger in anderen Städten bilden sich schnell heraus, Slavoj Zizek und Michael Moore kommen unvermeidlich zu Besuch vor Ort. Gerade mal zwei Jahre ist das her und im Grunde schon so beeindruckend konsequent zu den Akten gelegt, dass die Erinnerungen an den - in erster Linie ja eben doch - Medienhype schon längst die Patina von Polaroidfotos aufweist (was vielleicht aber auch nur an den Instagram-Fotos der gerne als "Facebook-Revolution" apostrophierten Bewegung liegen mag). Ein paar wenige Protagonisten diskutieren noch eisern und unglamourös in irgendwelchen Gremien, die Masse der Proteste hat sich längst zerstreut: Rückzug ins Privatleben oder in kleinteilige Kampagnen.

"Another World" entstand unmittelbar während der Proteste in Manhattan und holt viel vom ursprünglich sehr spontanen Impetus der Ereignisse rund um den Zuccotti Park zurück ins visuelle Gedächtnis. Man lernt einige der Protagonisten der Bewegung und ihre Hintergründe genauso kennen wie die Abläufe vor Ort: Wie sich die Leute organisierten, wie sie Infrastrukturen bildeten und nicht zuletzt also: Eine Gemeinschaft.

Das hat zwar funkensprühend gute Laune, offenbart insbesondere darin aber eben auch einige Probleme: Sehr offensichtlich handelt es sich bei "Another World" um Erinnerungsbild und Werbefilm zugleich: Ohne weiteres nimmt man den Campern vor Wall Street ihren aus dem Moment heraus enstandenen Enthusiasmus ab - "wir sind viele und wir sind zu zweit, wir sind Big in Manhattan tonight", könnte man in Anlehnung an Die Sterne sagen. Auch soll der Film natürlich dem späteren Image von Occupy als gescheiterter Sturm im Wasserglas mit demonstrativ ausgestelltem Spaß an der Sache und am community-building entgegenarbeiten.

Alles eine respektable Leistung und ja per se durchaus nicht unsympathisch. Dennoch bleibt vor allem auch der Film im Ergebnis schal und verdeutlicht ganz unbeabsichtigt als Parade fröhlicher Gesichter nochmal nachdrücklich die zahlreichen Schwachstellen von Occupy. Es fängt schon bei der Keimzelle der Bewegung an: Die Initialzündung erfährt die Bewegung in ziemlich privilegierten Settings - es geht, wie die einzelnen Geschichten von Studenten und Grundbesitzerben zeigen, vor allem um die klassische Angst der Mittelschicht vor sozialem Abstieg. Menschen mit guten Abschlüssen an den besten Universitäten sehen auf der einen Seite ihre Felle davonschwimmen, auf der anderen riesige Studienkredite dräuen. Wenn einige der Protagonisten im "Talking Heads"-Modus Rückschau auf die Zeit im Zuccotti Park halten, dann sieht man im Hintergrund vor allem gut eingerichtete Wohnungen.



Und man sieht in "Another World" eben auch, dass diffuses Unbehagen und Spaß am Zeltlager, Trommelschlagen und Plakatemalen eben noch keine politische Analyse ersetzt oder dem Kapitalismus gar ernsthaft etwas entgegensetzt. Occupy Wall Street war letztlich eben doch vor allem eine Medienblase - toll für die Beteiligten und im Einzelnen auch mit positiven Folgen, die im Epilog zu beobachten sind, wenn einige Aktivisten Hurrikan Sandy mit aktiver Nachbarschaftshilfe und Infrastrukturen gut etwas entgegensetzen. Aber es zeigt sich eben en passant doch, dass Occupy vor allem eine neue, ausbeutbare Ressource darstellte und einen ganz eigenen Warentausch-Zyklus beförderte: Dort die Medien, die nach "News" gieren, hier die Aktivisten, die sich - so auch vor allem in diesem Film - am eigenen, durch die Medien bestätigten Nachrichtenwert laben. Zieht man die Medienblase ab, handelte es sich im Grunde ja wirklich nur um ein paar hundert oder tausend Leute mit zeitweise kuriosem Lebensmittelpunkt. Ist ja auch nichts Schlimmes - nur nervt es einfach, wenn Leute bei der Produktion von Eigenrelevanz dies nicht in den Blick kriegen und stattdessen, wie eben "Another World", Jubelrhetorik produzieren.

Am Ende des Films sieht man, wie der Weg nach Occupy für einige weiterging. Es spricht Bände, dass einer der wenigen wirklich Unterprivilegierten dieser Bewegung, ein schwarzer Straßentänzer, auf den sich so ziemlich jedes News-Outlet gestürzt hat, in vollkommener Isolation gelandet und auf einem Haufen juristischer Probleme sitzen geblieben ist, während auf der anderen Seite andere Protagonisten aus deutlich besser gestelltem Hintergrund sich in eine Provinzkommune zurückgezogen haben, wo man selbst gepflanztes Gemüse genießt und den Geist von Occupy im kleinen, abgesteckten Kreis weiterlebt. Sogar Unternehmergeist zeigt man dabei noch. So bleibt das eigene Heim sicher und neue Geschäftsmodelle wurden gefunden. Einigeln im Rahmen dessen, was möglich ist - der Status Quo bleibt erhalten. Und um mehr war es der gebeutelten Mittelschicht ja eigentlich auch nicht gegangen, oder?

Thomas Groh

"Another World". Regie: Rebecca Chaiklin, Fisher Stevens. USA 2014, 87 Minuten. (Vorführtermine)