Vorgeblättert

Leseprobe zum Buch von Daniel Odija: Das Sägewerk. Teil 1

24.07.2006.
Luft und nicht nur

Vor nicht zu langer Zeit gab es hier ein Gewitter. Es kam am späten Abend. Der Schatten, den die Wolken warfen, beschleunigte das Hereinbrechen der Nacht. An ein solches Gewitter konnte sich keiner erinnern, und das lag nicht an der Erinnerung, sondern am mächtigen Zorn, der die Welt erfaßte. Von Zeit zu Zeit stieg aus den umliegenden Bäumen Rauch auf, der jedoch gleich wieder von den Regengüssen erstickt wurde. Blitze bissen in die Hochspannungsleitungen, und manchmal schlug ein Federbusch aus Funken empor. Das erinnerte an Neujahrsfeuerwerke, nur daß diese Funken greller waren. Das hier war ein echtes Feuer, nicht irgendein Hinterhofzauber. Und erst das Krachen. Es grollte, als würde eine unvorstellbare Kraft irgendwo oben eine gigantische Platte aus rostfreiem Blech verbiegen.
     Nach einer Stunde beruhigte es sich ein wenig, der Donner zog vorüber, doch die Blitze blieben. Immer noch rauschte das Wasser. Jozef bemühte sich, keinem ins Gesicht zu sehen, denn sobald er hinschaute, blitzte es. Für eine Sekunde wurde es dann unheimlich. Er sah das Gesicht seiner Frau. Ihre Augen lagen im Schatten der Höhlen, und die Zähne schoben sich allzu deutlich zwischen den Lippen hervor. Sie wurde in Leichenlicht getaucht. Sie wollte ihm wohl etwas sagen. Irgendwie schienen ihre Zähne hervorzutreten. Offenbar sah sie auch in seinem Gesicht etwas, was sie nicht sehen wollte, denn sie machte bloß den Mund auf. Es gelang ihr, ein undeutliches a? a? hervorzustoßen. In diesem Moment dachte Jozef, daß sich unter dem Gesicht, das wir bei Tageslicht sehen, immer das zweite verbirgt, das später einmal der Sargdeckel zudeckt.
     In der Stadt wurden die Straßen überflutet. Aus den Kanalschächten schoß es wie aus Sektflaschen empor. Scheiße schwappte heraus. Das Wasser stieg über die Wagendächer. Es verdeckte und verbog die Verkehrsschilder. Zum Glück dauerte es nur ein paar Stunden. Daher gab es nicht allzu viele Opfer. Angeblich erlitt ein Mann während des Telefonierens einen Stromschlag. Außerdem starben drei Menschen an einem Herzinfarkt. Sie waren offenbar vor der Zukunft erschrocken.
     Von dem auf dem Wasser schwimmenden Dreck bekamen die Menschen Ausschläge. Es wurde jedoch dementiert, daß eine Epidemie drohte. Im Fernsehen zeigte man bis zum Überdruß und mit einer gewissen sadistischen Befriedigung weinende Männer, die erklärten, vom ganzen Erwerb ihres Lebens sei ihnen nur das geblieben, was sie am Leib trugen. Die Frauen heulten überhaupt nur mehr.
Hier hatte das Wasser keinerlei Schäden angerichtet. Der Boden hatte alles in sich aufgesogen. Da waren nur diese Blitze. Die jagten einem Angst ein. Doch die Angst währte bloß einen Augenblick, und wenn sie nicht so groß ist, daß sie die Seele angreift, vergißt man sie gleich wieder.
     Als das Unwetter vorbei war, erschien die Luft irgendwie durchsichtiger. Der Atem ging wieder normal. Man konnte von neuem an nichts denken, nur das beobachten, was ringsum war.


Sägewerk und nicht nur

Die Häuser stehen hier etwas weiter auseinander. Vom ersten Haus kann man das zweite, vom zweiten das dritte und vom dritten das erste nicht sehen. In diesen Häusern wohnen Menschen. Es sind nicht viele, und sie treffen einander selten. Offenbar haben sie kein Verlangen danach.
     Jozef Mysliwski hat fast den ganzen Boden aufgekauft. Er gehörte ihm nicht von Anfang an, sondern er erwarb ihn durch harte Arbeit. Nicht alle arbeiteten gern. Mysliwski jedoch machte die Arbeit nichts aus.
     Als er hierher kam, war er der erste, der einen eigenen Traktor besaß. Er hatte auch einen Lieferwagen, einen alten Zuk, und genug Mut, um für geborgtes Geld Käfige zu kaufen. In die sperrte er schrill winselnde Füchse - wegen der Felle, aus denen kuschelige Pelzmäntel genäht wurden.
     Er stand wochentags wie feiertags im Morgengrauen auf. Die Tiere mußten gefüttert werden. Er mischte für sie Fischmehl mit Vitaminpulver. Das Futter holte er mit seinem Zuk aus der Stadt. Außerdem bestellte er seine Felder, nichts Großartiges: etwas Roggen, vielleicht ein paar Kartoffeln. Für die paar Schweine, die er für die Feiertage hielt, und die wenigen Kühe, wegen der Milch. Es kam auch immer etwas für den Verkauf zusammen.
     Wie ein Ochse schuftete er, zahlte die Schulden zurück, und es blieb ihm immer mehr Geld. Damit machte er sich keine Freunde. Da kommt so einer daher und stolziert gleich herum, als hätte er die Hosen vollgeschissen, sagten die Leute. Im übrigen muß einer mit viel Geld ein Dieb sein.
     Einmal kehrte er mit dem Traktor vom Feld zurück, da sah er einen alten Mann. Der Alte stand mitten auf dem Weg, so daß Mysliwski nicht an ihm vorbeikam.
     "Was ist los, Mann?" Er gab sich Mühe, höflich zu sein. "Willst du nicht zur Seite gehen?"
     "Tfuuu!" spuckte der Alte ihm vor den Reifen.
     Jozef Mysliwski stellte den Motor ab und stieg vom Traktor.
     "Weißt du, daß das alles einmal mir gehören wird?" warf er nachlässig hin und zeigte auf die Felder.
     Der Alte warf ihm einen triefenden Blick aus kranken Augen zu. Mysliwski entdeckte darin einen Haß, der den anderen von innen heraus zerfressen mußte. Er hielt dem Blick stand und trat so dicht an ihn heran, daß sich ihre Nasen beinahe berührten. Dazu beugte er sich zu ihm hinunter.
     "Du wirst mich nicht verhexen, Alter, Hurerei, verdammte!" zischte er. "Ich hab schon ganz andere als dich zu Dünger gemacht."
     Er ging zurück zum Traktor und rief, während er den Motor anließ:
     "Und jetzt verpiß dich, sonst fahr ich dich nieder!" Und er fuhr los.
     Der Alte sprang im letzten Moment zur Seite.
     "Tfuuu!" spuckte er hinter Mysliwski aus. "Daß dich ?!"

Es hatte den Anschein, als liebte Jozef Mysliwski seine Frau nicht. Weil sie ihm jedoch einen Sohn geschenkt hatte, behielt er sie. Außerdem brauchte er jemanden für die Arbeit. Maria Mysliwska hatte Angst vor ihrem Mann. Sie war eine zarte, stille Person und ständig überarbeitet. Sie hatte lange Haare, die sie jedoch bald nach der Geburt abschnitt, weil sie meinte, die Haare hätten ihr die Luft genommen, als sie Krzysztof gebar. Außerdem war sie überzeugt, daß einen lange Haare verraten. Sie liegen überall herum, und man sieht, wieviel einem ausfallen und wie rasch man altert. Kurze Haare fallen einem zwar genauso aus, aber das merkt man nicht so, und der Mensch konzentriert sich nicht auf seinen eigenen Verfall.
     Jozef warf Maria oft vor, daß sie nicht mehr zustande gebracht hatte. Sie hatte ihm nur einen Sohn geboren, der in all den Jahren zwar herangewachsen war, aber was hatte man von seinem Heranwachsen, wenn es nur einer war. Aus einem kannst du keine Armee machen.
     Maria konnte sich an die Geburt erinnern, obwohl ihr manchmal schien, als habe sie das alles bloß geträumt. Jozef war auf dem Feld gewesen, und sie hatte wie immer bei den Füchsen geschuftet. Mit der Schaufel holte sie den Fuchsdreck unter den Käfigen hervor und warf ihn in den Schubkarren. Ihr Bauch, zu einem riesigen Laib angeschwollen, war ihr dabei im Weg. Als sie ein stechender Schmerz in den Unterleib trat, wußte sie, daß es losging. Die Füchse waren sichtbar unruhig. Nervös schnupperten sie nach etwas Unsichtbarem in der Luft. Sie begannen schrill zu kläffen, wie erschreckte Affen, es klang wie das Schreien von Verwundeten. Maria wußte, daß sie sich irgendwo verbergen mußte. Der Stall war am nächsten.
     Hier fiel sie auf die Knie, von den Knien auf den Rücken und in den Dreck. Sie hatte den Eindruck, als näherten sich ihr von Melasse glänzende Schnauzen. Sie sah handtellergroße Augen über sich und in den Augen Tränen, die zu ovalen Kristallen erstarrten. Sie wollte daran glauben, daß jemand Mitleid mit ihr empfand.
     Sie kämpfte lange. Sie war zu schwach, um die Sache sofort hinter sich zu bringen. Ein paarmal wollte sie sich schon aufgeben, und sie versuchte, nicht mehr zu atmen, doch die schneidenden Krämpfe weckten sie wieder. Als Jozef zum Mittagessen kam, quälte sie sich noch immer. Sie schaffte es erst im städtischen Spital, wo man sie aufschnitt wie einen Fisch und den besinnungslosen Krzysztof herausholte.

Teil 2