Vorgeblättert

Muhammad al-Bissati: Häuser hinter den Bäumen. Teil 1

10.02.2005.
1

Es war Markttag, als Mussaad, der Metzger, zum Laden seines Freundes Barakat ging, auch er Metzger, und den Kopf seines Sohnes verlangte.

Drei Tage lang war er nach dem Skandal mit seiner Frau verschwunden gewesen, und plötzlich tauchte er wieder auf. Am frühen Morgen stand er vor seinem Laden und jagte die Hunde weg, die dort lagen. Er hatte keine Schlachttiere am Kanal. Doch wie immer an Markttagen hatte er seine Gallabija ausgezogen und an einen Nagel an der Wand gehängt und trug nur noch das langärmelige Flanellhemd, die weiten Hosen und den breiten bunten Stoffgürtel um die Hüfte. Er war klein und gedrungen, mit dichtem schwarzem Haar, das Nacken und Schultern bedeckte. Mit einem feuchten Tuch wischte er die Fleischerhaken ab, zog einen Stuhl nach draussen und setzte sicht.

Die Inhaber der umliegenden Geschäfte brachten, in Vorbereitung für den Markt, ihre Waren heraus und schichteten sie auf Schachteln und Kratten aus Palmzweigen. Sie blickten verstohlen zu ihm herüber und wechselten hin und wieder Blicke wie Botschaften. Und wenn sie nach den Burschen im Ladeninnern riefen, hielten sie ihre gedämpft.

Mit Mussaads Erscheinen hatte sich das Gefühl von einem bevorstehenden Unglück verbreitet.

Mussaad betastete sein struppiges Kinn und winkte dem Barbier, der ihn durch das Fenster seines Ladens beobachtete. Er eilte herbei und legte ihm das weisse Handtuch auf die Brust. Mussaad schickte ihn ins Cafe nebenan, um ihm Tee und Wasserpfeife zu holen. Bis zu diesem Augenblick hatte er noch nicht daran gedacht, in den Laden seines Freundes Barakat zu gehen, wie die Leute später bemerkten.

Völlig entspannt trank er den Tee, rauchte die Wasserpfeife und liess sich rasieren. Danach erhob er sich und versprengte vor seinem Laden Wasser aus dem Krug. Drinnen entzündete er in dem Tonbehälter Räucherwerk. Dann ging er hinaus, verjagte die Hunde, die sich schwanzwedelnd wieder vor der Tür eingefunden hatten, und kehrte in den Laden zurück. Schweigend stand er vor dem Räucherwerk und lauschte dem Knacken der Körner, aus denen dünner Rauch aufstieg und sein Gesicht umhüllte. Er tat einen Schritt und nahm ein langes Messer vom Tisch, hängte es sich an die Hüfte und machte sich auf den Weg zu Barakats Laden. Antar, der Bursche vom Cafe, eilte aus einer Seitengasse heran und gesellte sich zu ihm. Sie wechselten einen flüchtigen Blick. Gemeinsam gingen sie weiter.

Ein brütend heisser Tag. Allmählich kam Bewegung in die Strasse. Alle wussten davon. Er konnte es von den Gesichtern ablesen. Auch in der Gasse wussten sie es. Wahrscheinlich hatten sie es die ganze Zeit gewusst. Es war so simpel, dass er eine Zeitlang gezögert hatte, es zu glauben. Nach dem Abendessen hatte er gesagt, er gehe zum alten Gutshof, er wolle eine Anzahlung auf ein paar Kälber machen. Unterwegs war er ins Cafe gegangen, um erst noch mit seinen Freunden Tee zu trinken. Doch als sein Magen noch immer drückte, hielt er es für sinnvoller, nachhause zurückzugehen und das Geschäft auf einen anderen Tag zu verschieben.

Die Aussentür war angelehnt. Daran erinnerte er sich, wann immer seine Zweifel erwachten; dann dachte er, vielleicht habe sie ja im Lauf der Zeit die Vorsicht vergessen.

Der Junge kam durch das Viehgehege hinter dem Haus, wo es wenige Passanten gibt. Das Haus war dunkel. Nur das Lämpchen zeichnete einen kleinen Lichtkreis auf den Innenhof. Mussaad hörte rasche Schritte und sah einen dunklen Schatten, der zum Stall huschte und verschwand. Er erstarrte. Dann ein Geräusch, immer wieder. Wie das Knarren der Bretter des Betts.

Das Schlafzimmer. Die Tür war offen. Er trat näher und sah sie. Sie sass auf dem Bett und schaute ihn an.

Dann stand er mitten auf dem Hof, den Blick auf die verschlossene Tür des Hinterzimmers gerichtet, in das er sie gestossen hatte. Was hörte er bloss? Die Tür zum Stall war offen. Sie schwang geräuschlos im Wind. Das Viehgehege war zur Hälfte überdacht. Eine Seite wurde von den Sternen beleuchtet.

Er verliess das Haus. Kehrte zurück. Schrieb seiner Schwester in den Gutsweiler, sie solle kommen. Dann setzte er sich auf die Schwelle der offenen Tür, die Beine in Richtung Haus.

"Wirst du mich umbringen, Mussaad?" fragte sie.

Er hatte sie am Handgelenk hinter sich her geschleift. Quer über den Hof bis zu jenem Hinterzimmer, wo er das Viehfutter aufbewahrte. Sie leistete keinerlei Widerstand. Stolperte einfach hinter ihm her. Als er zur Tür kam, stiess er sie nach vorn, nahm den Schlüssel, der an der Wand hing, und bückte sich, um die Tür zu öffnen. Das Licht der kleinen Lampe. Das blaue Satinhemd haftete an den Rundungen ihres Körpers. Ihn schauderte, und er vermied es, ihr ins Gesicht zu schauen. Er spürte, dass sie ihn anstarrte. Er stiess sie in den finsteren Raum.

"Gib mir den Morgenrock", flüsterte sie.

Er drehte den Schlüssel im Schloss und steckte ihn in die Tasche. Die Wände des Hofs aus dunklem Lehm. Auf der Steinbank Matte und Kissen. Dort schlief er, wenn es sehr heiss war. Im Dunkeln schien es, als hätte man sie begossen. In einem Loch neben der Tür zum Viehgehege war ständig Wasser. Wenn er dem Vieh trockenen Klee brachte, geriet er regelmässig mit dem Fuss hinein. Zuckerrohrstengel lagen seit dem Morgen zusammengeschnürt in der Ecke des Hofes.

Der erste Schrei kam rasch und gedämpft. Die Ratten. Sie hatte schon immer Angst vor ihnen. Wenn er den Raum betrat, spürte er sie um seine Füsse huschen; manchmal prallten sie auch gegen ihn, wenn sie blitzschnell von einem Kleebüschel zum anderen sprangen. Ihre Schreie setzten sich fort. Sie schlug heftig gegen die Tür.

"Die Lampe."

Angelockt durch das Geschrei, eilten Nachbarinnen herbei. Als sie ihn sahen, wichen sie wieder zurück. Sammelten sich vor einer erleuchteten Haustür. Dann kamen sie wieder näher. Blieben hinter seinem Rücken stehen. Er sass bewegungslos auf der Schwelle. Die Frauen flüsterten miteinander, hörbar, als ob sie eine Antwort von ihm erwarteten. Einige schauten, an den Türflügel gelehnt, hinein. Ihre Kleider wehten vor seinem Gesicht. Sie rochen nach Vieh und Dung. Als das Schreien aufhörte, entfernten sie sich und blieben wieder vor dem erleuchteten Haus stehen.

Dann hörte er die Stimme seiner Schwester; sie schalt die Frauen, die sich um sie scharten. Ihr Mann stand nur einen Schritt entfernt, den Esel am Zügel. Mussaad zog sie herein. Redete und suchte in seiner Tasche nach dem Schlüssel. Vor der verschlossenen Tür des Hinterzimmers gab er ihn ihr und stürmte durch die Tür zum Viehgehege hinaus.

"Gib mir den Morgenrock", hatte sie gebeten, wie immer mit verhaltener Stimme, als wäre sie gerade neben ihm vom Bett aufgestanden. Sie hatte nie geweint.

Teil 2