Literatur

Michelle Steinbeck: Mein Vater war ein Mann an Land und im Wasser ein Walfisch. Roman

Dieses Buch verspricht pure Magie. Sabine Vogel fühlt sich in der FR gar wie "Gulliver im Wunderland", wenn sie Erzählerin Loribeth mit einer ziemlich lebendigen Kinderleiche im Koffer auf ihrer bizarren Flucht durch Traumlandschaften zur "Insel der verlorenen Väter" begleitet. In Dosen eingelegte Kinderfinger? Einhörner? Blondinen mit "Wikingerschnurrbart"? Michelle Steinbeck bringt die Überdrehtheit in ihrem Debütroman, in dem nichts stabil und alles magisch ist, zum Überkochen, verspricht die Kritikerin. Sebastien Fanzun schwärmt in der NZZ vor allem vom Klang und der Atemlosigkeit der Sprache und der Dichte der fantastischen Ideen dieser absurden Entwicklungsgeschichte über die Angst vor dem Erwachsenwerden
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Hector Abad: La Oculta. Roman

Hector Abads kolumbianischer Bestseller ist von den Feuilletons leider viel zu wenig beachtet worden. Zu Unrecht, wie Andreas Breitenstein in der NZZ versichert: Alles, was Weltliteratur braucht, findet der Kritiker hier vor: Epik, Dramatik und Lyrik; Melancholie, Ironie, Utopie und Tragödie. In sprachlicher Brillanz wird nicht weniger als die ganze Geschichte Kolumbiens im Mikrokosmos des Anwesens "La Oculta" erzählt, das von drei Geschwistern geerbt wird. Allein, wie Abad seine Figuren in Innen- und Außenperspektiven ausleuchtet und dabei die Gewalt der Guerillas, Gangs, Paramilitärs und Bürgerwehren in Kolumbien mit dem Schicksal der einzelnen Figuren verknüpft und darüber hinaus das verlorene Judentum der Familie schildert, verschlägt Breitenstein den Atem. Und trotzdem erzählt der virtuos verwobene Roman von ungebändigter Lebenslust, betont Peter B. Schumann im Bayerischen Rundfunk. Während Sandro Abbate auf tell.de bei Abad deutlich den Einfluss William Faulkners spürt, erscheint Andreas Breitenstein dieser von Peter Kultzen glänzend übersetzte Ausnahmeroman als "postideologische" Antwort auf Gabriel Garcia Marquez' "Hundert Jahre Einsamkeit".
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Kate Tempest: Worauf du dich verlassen kannst

Als Rapperin und Spoken-Word-Performerin wird Kate Tempest längst gefeiert, nun erobert sie auch mit ihrem Romandebüt auch die Literaturkritiker. Für Spiegel-Kritikerin Hannah Pilarczyk ist die Britin schlicht die "wichtigste Sprachkünstlerin ihrer Generation", Peter Praschl dankt ihr in der Welt dafür, dass sie "den Überschwang und den Überfluss" zurück in die Literatur gebracht hat. Warum? Weil Tempest in diesem furiosen Roman, der als ausgebaute, tiefgehende Version ihres Albums "Everybody down" (Hörprobe bei Vimeo) gelesen werden kann, mit dem "Pathos von Punchlines" und nahezu unerhörtem Einfühlungsvermögen von den Sorgen der englischen Arbeiterklasse erzählt, versichert SZ-Kritikerin Karin Janker. Wie die junge Autorin ihre vier komplexen Figuren zwischen Liebe und Gewalt, Drogen und Alkohol, Träumen, Enttäuschung und Vergangenheit durch die Londoner Nächte ziehen lässt, findet Janker zart, spielerisch und rasant. In der FAZ bewundert Julia Emcke die in den "schönsten Farben leuchtenden Verliebtheitsfeuerwerke" der Autorin. Und Nadine Lange lobt im Tagesspiegel die Präzision und die Authentizität, mit der Tempest den schmuddeligen Südosten Londons skizziert. Dass sich bei so viel explosiver Energie, stürmischem Tempo und Gefühl ohne Sentimentalität kein Lektor getraut hat, ein paar Passagen zu kürzen, nehmen die Feuilletons nicht übel.
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Tom McCarthy: Satin Island. Roman

Roman? Metaroman? Essay? Egal! Kaum einer der zahlreichen Rezensenten scheint dieses Buch ganz fassen zu können, verzückt sind sie trotzdem oder gerade deshalb: Carlos Spoerhase kann in der SZ sogar auf Handlung und Figurenzeichnung verzichten, verdankt er doch diesem Ausnahmebuch nicht nur die "formal gewagteste und intellektuell aufregendste" Gegenwartserkundung seit Claude Levi-Strauss, sondern auch einen geradezu "metaphysischen Jetlag". FAZ-Kritiker Tobias Döring liest McCarthys fulminantes wie mysteriöses Textlabyrinth gleich mehrfach - zu viel gibt es für ihn in diesem Reflexions- und Assoziationsfeuerwerk, das Kulturtheorie, Konzept- und Avantgardekunst ebenso einschließt wie poststrukturalistische Philosophie, zu entdecken. Und im Spiegel bewundert Tobias Lehmkuhl, wie fesselnd, sarkastisch und "beängstigend" zugleich der Autor seine Leser von der Französischen Revolution über Kafka, Gilles Deleuze und Google bis Guantanamo schickt, um seinen scharfsinnigen Bericht über den Menschen der Gegenwart zu schreiben. Bei so viel intellektueller Herausforderung kommt das Lesevergnügen dank "bizarrer Fantasien" und viel Witz nicht zu kurz, versichert Gabriele von Arnim auf Dradiokultur. Und Angela Schader verspricht in der NZZ traumhaft "frappante Bilder" und "vollendet hingetuschte" Magie.
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Nellja Veremej: Nach dem Sturm. Roman

Mit Spannung ist der zweite Roman der in Berlin lebenden Russin Nellja Veremej von den Feuilletons erwartet worden und die Hoffnungen der Rezensenten werden nicht enttäuscht. Der Lyriker Nico Bleutge rät in der SZ zu aufmerksamer Lektüre, denn "Nach dem Sturm" enthält nicht nur eine zarte Familiengeschichte über Streit, Liebschaften und Eheprobleme und realpolitische Ereignisse, etwa Finanz- oder Flüchtlingskrise, sondern zeichnet mit Stationen im Ural, im Kaukasus und in Leningrad ein meisterhaftes Porträt Osteuropas, schwärmt Bleutge. Wie Veremej den Zerfall der Sowjetunion in einem fiktiven Ort zwischen Wien und Istanbul, West und Ost spiegelt, dabei Historie und Gegenwart verwebt, findet Nicole Henneberg in der FAZ "kunstvoll". Einig sind sich die Rezensenten auch in der Brillanz der Figurenzeichnung: Henneberg lobt die gelungene und einfühlsame Verknüpfung von Figuren- und Stadtgeschichte vor dem Hintergrund großer Traumata, Bleutge ist fasziniert von dem verzweigten Spiel mit verschiedenen Perspektiven und dem analytischen Blick ins Seelenleben der Figuren und Sebastian Engelmann bewundert auf literaturkritik.de den dargestellten Konflikt der Generationen.
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Sachbuch

Oliver Nachtwey: Die Abstiegsgesellschaft. Über das Aufbegehren in der regressiven Moderne

Dass die guten alten BRD-Zeiten vorbei sind, in denen sozialer Aufstieg noch möglich war, kann Oliver Nachtwey den Rezensenten in seinem soziologischen Essay "Die Abstiegsgesellschaft" glaubhaft machen. Woran das liegt, erklärt der Autor klug und differenziert, aus linker Perspektive und ohne "marktschreierischen Alarmismus", lobt Stefan Reinecke in der taz. Natürlich sind Frauen heute besser gestellt, es gibt mehr Freiräume und Selbstbestimmung. Aber: Die Mittelschicht gerät immer weiter unter Druck, der Kapitalismus stagniert und die Zahl der prekären Jobs wächst ebenso wie der Protest. Wie Nachtwey aktuelle Diagnosen mit denen der alten Bundesrepublik von Dahrendorf über Habermas bis Ulrich Beck zusammenführt und sie mit Protestkollektiven wie Occupy oder Pegida abgleicht, findet SZ-Kritiker Jens Bisky lehrreich, präzise und auf dem deutschen Buchmarkt einzigartig. Stefan Reinecke begrüßt vor allem Nachtweys Beispiel eines deutschen Automobilherstellers, an dem die "Spaltung zwischen Innen und Außen", Festangestellten und Zeitarbeitern, komplex skizziert wird. Als "schonungslos" und zutreffend wertet Gerrit Bartels auf RBB-Kulturradio Nachtweys Analyse. Online lesen kann man Nachtwey in der FAZ, wo er kürzlich seine Thesen skizzierte.
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Fredrik Sjöberg: Wozu macht man das alles? Geschichten und Essays

Was für ein Glücksfall, dass zumindest vierzehn der kunstvollen Gedankensprünge Fredrik Sjöbergs zwischen Biologie, Geologie, Literatur und Kunst von Paul Berf glänzend übersetzt auf Deutsch erschienen sind, jubelt FAZ-Kritiker Hannes Hintermeier. Denn der auf allen Gebieten gleichermaßen bewanderte schwedische Autor vollbringe Erstaunliches, wenn er mäandernd zwischen Fakten und Fiktion, Gegenwart und Geschichte von Darwin oder Carl von Linné, Insektenfang auf Eis, romantischen Malern oder dem Bing-Vergaser und immer auch ein bisschen von sich selbst erzählt, schwärmt Hintermeier. Autorin Antje Ravic Strubel, die dem Buch im Deutschlandfunk einen langenEssay widmet, lernt bei Sjöberg die Verlässlichkeit und Sinnhaftigkeit im Abseitigen. Fasziniert stöbert sie mit dem passionierten Sammler durch dessen Kosmos der Kuriositäten und lässt sich in den nüchternen, von "leiser Komik" durchzogenen Essays zu immer neuen Assoziationen anfeuern. Und Brigitta Lindemann bewundert im WDR, wie Sjöberg Spannung aufbaut, durch "inszenierte Mündlichkeit" Nähe zum Leser schafft und vom Kleinen aufs "Große und Ganze" zielt.
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Birgit Lahann: Hochhuth: Der Störenfried

"Hysterie steigert Energie" heißt laut Sächsischer Zeitung ein Gedicht von Rolf Hochhuth. Das passt gut zu dem Mann, der mit Theaterstücken wie "Der Stellvertreter", "Juristen" und "Wessis in Weimar" einige der wichtigsten Debatten in Deutschland auslöste, aber auch eine Reihe Skandale und Prozesse anstieß, die wohl mehr der Energiesteigerung als der Erkenntnis zu dienen schienen. Kurz: Hochhuth ist ein Theatermonument der alten Bundesrepublik. Pünktlich zu seinem 85. Geburtstag in diesem Jahr ist Birgit Lahanns vom Dramatiker selbst angeregte und laut FR "sehr schöne, sehr unterhaltsam zu lesende und aufschlussreiche" Biografie über den "Störenfried" erschienen. Erst wollte sie eigentlich gar nicht, erzählt Astrid Herbold im Tagesspiegel. Dann sagt sie doch zu, "entscheidet sich aber für ein formales Experiment. Sie werde ihm ein 'Gesprächsbuch mit allem Witz und allem Wahnsinn schreiben', sagt sie, mit 'seinen Verdiensten, seinen Stücken … aber auch mit Auskünften über Aggressionen, Gegner, Gott und den Tod.' Was dabei herausgekommen ist, nach vielen Begegnungen und Interviews, nennt sie 'Psychogramm mit Reportageeinflüssen'." In der Zeit war Michael Naumann, der Hochhuth immerhin zehn Jahre bei Rowohlt betreute, hingerissen: Viele Details von Hochhuths Werdegang und die Entstehungsgeschichte einzelner Stücke waren eine echte Überraschung, erklärt er. Und ganz nebenbei treffe Lahann in ihren Beschreibungen die Atmosphäre der unmittelbaren Nachkriegsjahre, an denen Hochhuth sich rieb, auf den Punkt.
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Norman Lewis: Neapel '44. Ein Nachrichtenoffizier im italienischen Labyrinth

Norman Lewis' Kriegstagebuch über seine Zeit als englischer Nachrichtenoffizier in Neapel im Jahre 1944 ist das wohl eindringlichste Porträt, das FAZ-Kritiker Andreas Rossmann je über die Stadt gelesen hat. Und obwohl Lewis von der Anarchie, der organisierten Kriminalität, Korruption, Sabotage, Verwaltungsversagen, Mord und Vendetta in den letzten Kriegsmonaten erzählt, ist dies kein politisches Buch, versichert Rossmann. Vielmehr verspricht die Lektüre "trockenen Witz", "nüchterne Neugier" und "große Bewunderung" für die Mentalität und ungebändigte Lebenskraft der Neapolitaner, die in der vom Krieg und vom Ausbruch des Vesuvs zerstörten Stadt das Beste aus ihrem Schicksal machen. Maike Albath kann dies in der SZ nur bestätigen: Humor und Einfühlungsvermögen attestiert sie dem Reiseschriftsteller, der nie die Überlegenheit des Siegers spüren lasse und nie mystifiziere, sondern lebendig schildere, wie die Bewohner nach Essbarem suchen, Frauen ihre Töchter mit Preislisten feilbieten und der Schwarzmarkt floriert. Dieses Porträt einer vitalen Stadt kann als Ergänzung zu Curzio Malapartes Neapel-Roman "Die Haut" gelesen werden, rät sie.
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Dennis Gastmann: Atlas der unentdeckten Länder

Gut, ganz so unentdeckt sind Pitcairn, Karakalpakstan oder die Mönchsrepublik auf dem Berg Athos auch nicht mehr, gibt FAZ-Kritikerin Katharina Wilhelm zu. Macht aber nichts. Denn der Reporter und Schriftsteller Dennis Gastmann erzählt in bester "Gonzo"-Manier und so "spitzbübisch", dass die Kritikerin ganz neugierig von einem Ort zum nächsten reist. Sie erweist mit Gastmann in Akhzivland, einem Mikrostaat in Israel, dem Herrscher, einem "dahinscheidenden Alt-Hippie", die letzte Ehre, übernachtet auf Pitcairn nicht nur bei einer Urururur-Enkelin eines Meuterers der Bounty und erfährt von einem widerlichen Pädophilenskandal. Dass der Autor sich den Bewohnern seiner Reiseziele mit einer "Mischung aus Zuneigung und Schamlosigkeit" nähert, gefällt ihr gut. Auf Dradiokultur lobt Marko Martin den "Wortwitz" und die "Situationskomik" und fühlt sich während der herrlich "selbstironischen" Lektüre, als sei er selbst dabei gewesen.
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