Orhan Pamuk

Das Museum der Unschuld

Roman
Cover: Das Museum der Unschuld
Carl Hanser Verlag, München 2008
ISBN 9783446230613
Gebunden, 560 Seiten, 24,90 EUR

Klappentext

Aus dem Türkischen von Gerhard Meier. Kemal, ein junger Mann aus der Oberschicht Istanbuls, verfällt der Liebe zu einer armen Verwandten - der blutjungen, naiven und wunderschönen Füsun. Was als Affäre begonnen hat, wächst sich bald zu einer Obsession aus, doch das hindert Kemal nicht daran, die Beziehung mit seiner Verlobten fortzuführen. Nach dem rauschenden Verlobungsfest lässt sich die Geliebte nicht mehr blicken. Verzweifelt erkennt Kemal, dass er Füsun über alles liebt. Doch es ist zu spät. Der Nobelpreisträger Orhan Pamuk erzählt in seinem Liebesroman von einer Gesellschaftsschicht der Türkei, die in vielem ganz und gar westlich scheint und doch noch traditionelle Züge trägt - ein Kontrast, der subtile Ironie erzeugt.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 16.10.2008

Bewegt, und immer wieder "unnennbar ergriffen" beschreibt Rezensent Walter van Rossum die Welt von Orhan Pamuks neuem Roman, der aus seiner Sicht eine "große Liebesgeschichte" sowie ein "wunderbarer Beleg" dafür ist, wie man mit den Mitteln des Romans der Welt "ihren Reichtum, ihre Komplexität und ihre schwierige Schönheit" zurückgeben kann, ohne in die dümmlichen ideologischen Raster gegenwärtiger Realitätsbewältigung zu verfallen. Glutkern des Romans sei seine Bewusstmachung der "Vergesellschaftung" der Gefühle bis in ihre intimsten Regungen, was Pamuk an der Geschichte eines unglücklichen Dreiecksverhältnisses verhandele, eines Mannes, der zwei Frauen liebt. Auch das titelgebende wie symbolische Museum der Unschuld, das der Protagonist für seine Liebe errichtet und mit Gegenständen bestückt, findet der Rezensent als Romanmotiv wie als darüber hinaus gehendes Bild für Istanbul und den Tumult der Gefühle seiner Bürger zwischen Tradition und Moderne geradezu kongenial. 

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20.09.2008

Eine große Liebesgeschichte ist der neue Roman von Orhan Pamuk, so Rezensent Andreas Kilb - aber die Liebe ist, als eine, die sich nicht erfüllt, nur sozusagen die fundamentale Ebene, auf der der Roman in Figuren, Zeichen und Dingen aufbaut. Über der Krypta einer gescheiterten Liebe errichtet der Ich-Erzähler Kemal das Museum des Titels, in dem er Dinge des Westens und Dinge des Ostens, die im Zusammenhang stehen mit der geliebten Füsün, sammelt. Es entsteht so ein Zeit- und Gesellschaftsporträt der Alltagsgeschichte der Türkei in den siebziger Jahren zum einen. Andererseits aber gehe es, so der Rezensent, auch um die überwältigende Atmosphäre jener sehr türkischen Melancholie namens "hüzün", die Kilb mit dem Marlene-Dietrich-Zitat eines "Heimwehs nach dem Traurigsein" beschreibt. Was dieses neue Werk über die virtuosen Vorgänger erhebt, so Kilb, ist, dass Pamuk mit der Figur des Kemal erstmals einen "Helden aus Fleisch und Blut" geschaffen hat, eine "echte Gestalt der Weltliteratur", die nicht, wie viele Pamuk-Figuren zuvor, mehr Symbol ist als wirklicher Mensch.

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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 13.09.2008

Als Geschichte einer großen Liebe" und "großen Roman über das Erinnern" feiert Rezensent Jürgen Berger Orhan Pamuks neuen Roman, der ihn auch an Marcel Proust denken ließ. Pamuk brilliert aus Sicht des Rezensenten hier nicht nur als ebenso ausufernder, wie ironisch distanzierter Erzähler von Liebesglück- und Leid seines Protagonisten Kemal, der aus unglücklicher Liebe das titelgebende Museum der Unschuld zusammengesammelt hat. Auch Pamuks Schilderungen islamischer Moral- und Doppelmoralvorstellungen, religiösen und familiären Regelwerks oder dem Leben in der Stadt Istanbul in den 70er Jahren und im letzten Teil des Romans auch der von Protagonist Kemal bereisten Museen Europas, tragen zum enormen Lesegenuss des Rezensenten bei.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 12.09.2008

Rezensent Jörg Plath fand das Nachdenken über den Roman schließlich anregender als die Lektüre. Die Geschichte von der Sammelleidenschaft und der verzehrenden Liebe Kemals zu Füsun, die nach acht Jahren endlich dem Werben nachgibt, tags darauf allerdings das Auto gegen einen Baum steuert und stirbt, hat also Substanz. Nur die Längen der "selbstverliebten Lethargie" des Erzählers mit dem "betulichen Predigerton" gingen dem FR-Rezensenten gelegentlich auf die Nerven, das sagt er deutlich. Pamuk nehme sich bis kurz vor Schluss sehr zurück in diesem Roman und erinnere - zum Leidwesen des Rezensenten - an Stifter. Kemal muss acht Jahre lang alles, was über regelmäßige Treffen und Gespräche mit der Angebeteten hinausginge, entbehren, und sammelt dafür Gegenstände, die der Geliebten gehören, oder die sie berührt hat: Kemal leistet "Liebesfron", der Rezensent leidet durch die ausführliche Schilderung "Lesefron".

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 09.09.2008

Sehr eingenommen ist Angela Schader von Orhan Pamuks Roman "Das Museum der Unschuld", der Geschichte der obsessiven Liebe des 30-jährigen Kemal, der sich mit der wohlhabenden und fortschrittlich denkenden Sibel verlobt, dann allerdings seiner schönen, aber armen Verwandten Füsun verfällt. Pamuk begibt sich nach Ansicht Schaders in diesem Roman in einen wesentlich "intimeren Bereich" als in seinen früheren. Die politischen Unruhen der siebziger Jahre, der Militärputsch 1980 und die Folgen spielten hier eher am Rand eine Rolle. Schader sieht in dem Roman vielmehr die Erkundung der zwiespältigen Sexualmoral und der kulturellen Scham der türkischen Gesellschaft und zugleich eine "zarte, poetische, mit gleich viel Witz und Melancholie entworfene Liebesgeschichte". Eine besondere Rolle spielt dabei das "Museum der Unschuld", eine Sammlung von alltäglichen Gegenständen, die Kemal zusammenträgt. Mit großem Lob bedenkt sie schließlich die Übersetzung Gerhard Meiers in "glasklares Deutsch".

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 06.09.2008

Ausgesprochen magisch schildert Rezensent Stephan Speicher den Verlauf von Orhan Pamuks neuem Roman, obwohl seine detailreiche Beschreibung der geheimnisvollen und verzichtreichen Liebesgeschichte des Protagonisten Kemal und ihrer Einbettung in die Stadt Istanbul des Jahres 1975 offen lässt, ob sie ihm wirklich gefiel, oder ob er die programmatische Konzentration Pamuks "auf das Große im Kleinen", welche das Buch für ihn charakterisiert, im Verlauf der Lektüre nicht manchmal etwas ermüdend fand. Denn Protagonist Kemal hat in den Jahren, in denen er nach seiner Geliebten suchte, aus unscheinbaren Dingen ein "Museum der Unschuld" zusammengesammelt, dessen Exponate sozusagen symbolisch für den Blick des Erzählers auf die Welt stehen, und das Istanbul des Jahres 1975 auch noch einmal aus den Dingen evozieren. Trotzdem hat Pamuks "Verzicht auf Linearität, auf die große Erzählung, die das Kleine einordnet und der Gesellschaft einen Sinn anempfiehlt", aus Sicht des Rezensenten etwas zutiefst Humanes. Erzählt der Roman ihm nicht nur viel über die Liebe, sondern auch über Identität und Gedächtnis.
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