Götz Aly

Warum die Deutschen? Warum die Juden?

Gleichheit, Neid und Rassenhass - 1800 bis 1933
Cover: Warum die Deutschen? Warum die Juden?
S. Fischer Verlag, Frankfurt 2011
ISBN 9783100004260
Gebunden, 336 Seiten, 22,95 EUR

Klappentext

Warum die Juden? Warum die Deutschen? Diese beiden Fragen harren seit 1945 einer Antwort. Götz Aly gelangt in seinem neuen Buch zu verstörenden Einsichten. Er beschreibt Fortschrittsscheu, Bildungsmangel und Freiheitsangst so vieler christlicher Deutscher während des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Dagegen begeisterten sich die deutschen Juden für das Stadtleben, für höhere Bildung; sie wussten die Chancen der Moderne zu nutzen. Die trägen Nicht-Juden sahen ihnen mit Neid und Missgunst hinterher. Aus Schwäche erwuchsen zuerst Sehnsucht nach kollektiver Stärke, dann Rassendünkel und am Ende mörderischer Antisemitismus. Götz Aly ermöglicht es, den Holocaust als Teil der deutschen Geschichte zu verstehen.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13.12.2011

Sehr heftig kritisiert der Historiker Hans-Ulrich Wehler dieses Buch von Götz Aly, den der Rezensent zwar als "vorzüglichen Kenner des Holocausts" bezeichnet, dessen marxistische  Anfänge er ihm aber auch nicht vergessen will. Für Wehler ist das Buch "flüchtig fabriziert", ein "Flop" gar, denn als Schlüsselerklärung für den Holocaust taugt der Sozialneid in seinen Augen nicht. Laut Aly haben vor allem die aufstrebenden Mittelschichten die mit einem rasanten sozialen Aufstieg verbundene Emanzipation der Juden mit Misstrauen verfolgt. Wehler stört sich an mehrere Punkten: Zum einen lasse Aly jede vergleichende Perspektive vermissen, ungeklärt bleibe daher, ob der deutsche Sozialneid wirklich ausgeprägter war als in Ländern wie Österreich, Frankreich oder gar Russland. Zum anderen berücksichtige Aly nicht, wie traditioneller Antijudaismus, nationalistische und rassistische Ressentiments zur Radikalisierung des deutschen Antisemitismus beitrugen. Überhaupt glaubt Wehler nicht, dass der Aufstieg der Juden von den übrigen Deutschen nur negativ aufgefasst wurde.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 08.10.2011

Dass der Neid eine wichtige Triebfeder des deutschen Antisemitismus war, das kann Götz Aly dem hier rezensierenden Historiker Christoph Jahr mehr als deutlich machen. Darüberhinaus jedoch hält er das Buch als Versuch, die Antriebskräfte der vernichtenden deutschen Judenfeindschaft offenzulegen, für gründlich misslungen. Alys Antagonismus von bildungswilligen und aufstiegsorientierten Juden einerseits sowie den trägen und ängstlichen christlichen Deutschen andererseits kennt Jahr bereits - unter entgegengesetzten Vorzeichen - aus antisemitischen Tiraden. Geradezu essenzialistisch findet Jahr diese Argumentation und verweist darauf, dass ein großer Teil des deutschen Judentum nicht diesem "völkerpsychologischen Stereotyp" entspricht, denn dem jüdischen Proletariat und Kleinbürgertum ging es nicht besser als dem christlichen. Für ein weiteres Manko hält Jahr das Fehlen systematischer Vergleiche mit anderen Ländern, da Aly den deutschen Sonderweg so konsequent behauptet. Auch mit seinen Attacken auf soziale "Homogenisierungsfantasien" scheint Aly dem Rezensenten übers Ziel zu schießen, der hier auf eine politische Motivation und groteske Verzerrungen erkennt.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.09.2011

Ja, warum. Laut Patrick Bahners gibt der Autor eine nur auf den ersten Blick befriedigende Antworten. Dass das antisemitische NSDAP-Programm für den Zeitgenossen sehr wohl in Einzelheiten vorstellbar gewesen sei, wie Götz Aly herausarbeitet, nimmt Bahners ihm aufgrund der im Band behandelten Publizistik um 1933, etwa bei Hugo Bettauer, ohne weiteres ab. Ebenso die Bedeutung der Kontingenz im Zusammenspiel der Ereignisse, die den Holocaust ermöglicht haben. Den Judenhass als Wahrheit der Deutschen, als Volkscharakter, will Bahners jedoch nicht akzeptieren. Zu scheuklappenartig erscheint ihm Alys Quellenarbeit, die Studien anderer Autoren schlicht nicht berücksichtigt, wie Bahners behauptet. Anderenfalls, meint er, wäre Alys Theorie (für Bahners besser: Pamphlet) vom deutschen Sonderweg schnell in sich zusammengefallen.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 02.09.2011

Einen "etwas zwiespältigen" Eindruck hat Götz Alys Studie "Warum die Deutschen? Warum die Juden?" beim Historiker Ulrich Herbert hinterlassen. Die Einwicklung des Antisemitismus in Deutschland scheint ihm der Autor höchst instruktiv zu erläutern und zu belegen, insbesondere wenn es um die Motive Neid und Missgunst der Deutschen gegenüber den Juden geht, die von ihren Feinden als Gewinner der Moderne wahrgenommen wurden. Die deutsche Sehnsucht nach Gleichheit und die Feindschaft gegenüber Individualismus auf linker wie rechter Seite kann in seinen Augen das Phänomen des radikalen Antisemitismus aber nur teilweise erklären. So wendet er ein, dass es auch in anderen europäischen Staaten die Forderung nach Beseitigung sozialer Ungleichheiten gab, ohne dass dies mit Antisemitismus verbunden war. Des Weiteren weist Herbert auf die hohe Zahl von armen Juden hin, denen gegenüber Neid und Missgunst als antisemitische Motive nicht taugen. Generell hält Herbert dem Autor vor, sein Erklärungsansatz sei zu sehr stark materialistisch ausgerichtet und vernachlässige kulturelle Motive.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 12.08.2011

Götz Alys These von der "Geburt des Holocaust aus dem Geist des Neids" scheint Andreas Mix ein wenig zu einfach, um die große Frage nach Gründen und Ursache des Holocaust zu beantworten. Den 351 Seiten starken Essay findet Mix flüssig geschrieben und lobt dessen detaillierte Argumentation, doch statt einer historischen Sozialstudie sieht das Buch für Mix eher aus wie eine "Völkertafel" - ganz im Geist des 19. Jahrhunderts. Alys Konzentration auf Fortschrittsangst, Freiheitsunlust und das gesellschaftliche Unbehagen in der Weimarer Republik hält Mix denn auch weniger für eine Analyse des Judenhasses, als für ein Verdikt über die heutige Zeit und ihre wachsenden Globalisierungsängste. Und noch einen Kritikpunkt führt der Rezensent an: Vor lauter Analyse der großen Gesellschaftsängste verliere Aly in seiner Neiddebatte dann doch den Blick für das soziale Detail und vergisst, so Mix, "dass die jüdische Gemeinde nicht bloß aus Frankfurter Bankiers, Berliner Journalisten und Breslauer Fabrikanten bestand."

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 12.08.2011

Gustav Seibt hält Götz Alys neues Buch "Warum die Deutschen? Warum die Juden" für das bisher "provozierendste" des Autors. Gleichwohl hat ihn diese Untersuchung der mentalitätsgeschichtlichen Voraussetzungen von Antisemitismus und Holocaust überzeugt. Der Historiker belegt seines Erachtens mit zahllosen Quellen, wie nicht nur Untertanengeist, völkisches und rassistisches Denken, sondern vor allem Antiliberalismus, sozialstaatliches Gerechtigkeitsstreben, Neid und der Hang zum Kollektivismus und zur Sicherheit in der Gruppe den Nährboden für den Antisemitismus in Deutschland bildeten. Das Material, das Aly vorbringt - Hunderte von Belegen -, ist nach Ansicht Seibts geradezu "erdrückend", auch weil dadurch klar wird, dass die Tradition, aus denen sich der Antisemitismus speiste, weiterhin fortbestehen.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 11.08.2011

Gar nicht gut kommt Götz Alys neues Buch über den Antisemitismus und Aufstieg der Nationalsozialisten beim Rezensenten Micha Brumlik an. Die Frage nach der persönlichen Verantwortung der Deutschen für die Judenverfolgung interessiert Brumlik eigentlich sehr, sind bisher vorherrschenden Großtheorien diese doch eher übergangen. Aber mit Alys befunden wird Brumlik nicht glücklich. Aly erklärt sich den deutschen Antisemitismus mit dem großen Sozialneid, den die Emanzipation und der gesellschaftliche Aufstieg der Juden bei den deutschen Kleinbürgern ausgelöst hat. Und daran gibt Aly laut Brumlik die Schuld ausgerechnet den Sozialdemokraten, die mit ihrer Programm zur Bildungsexpansion für den Aufstieg der Arbeiter und damit für explosive soziale Verhältnisse gesorgt hätten. Da Brumlik hier nichts über die Rolle der Eliten und der Konservativen erfährt, und Aly ihm auch seine Darlegungen auch nicht gut belegt, wittert Brumlik hier "altliberalen Furor wider Kollektivismus und Egalitarismus" und legt das Buch enttäuscht zur Seite.