Juli Zeh

Corpus Delicti

Ein Prozess
Cover: Corpus Delicti
Schöffling und Co. Verlag, Frankfurt am Main 2009
ISBN 9783895614347
Unbekannt, 240 Seiten, 19,90 EUR

Klappentext

Jung, attraktiv, begabt und unabhängig: Das ist Mia Holl, eine Frau von dreißig Jahren, die sich vor einem Schwurgericht verantworten muss. Zur Last gelegt wird ihr ein Zuviel an Liebe (zu ihrem Bruder), ein Zuviel an Verstand (sie denkt naturwissenschaftlich) und ein Übermaß an geistiger Unabhängigkeit. In einer Gesellschaft, in der die Sorge um den Körper alle geistigen Werte verdrängt hat, reicht diese Innenausstattung aus, um als gefährliches Subjekt eingestuft zu werden. Mia Holl will beweisen, dass ihr Bruder, verurteilt wegen einer angeblichen Vergewaltigung, unschuldig ist. Sie gerät also in Stellung gegen das System, hier "Methode" genannt, auch aus Liebe zu ihrem Bruder, der sich das Leben nahm.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 18.07.2009

Wenig konnte Rezensent Rainer Moritz dem Roman von Juli Zeh abgewinnen. Papieren wirken auf ihn die Figuren, es stört ihn auch der erhobene Zeigefinger, den er hinter allem hervorragen sieht. Dabei findet er das Thema des Buchs ausgesprochen bestechend. Zeh entwirft hier aus dem Gesundheitswahn heutiger Tage eine totalitäre Anti-Utopie, in der der Körper zum Fetisch einer "Fitnessdiktatur" wird. Aber eine adäquate Form für diese "bedenkenswerten Botschaften" konnte Zeh dafür nicht finden. Das findet Moritz außerordentlich schade, weil er diese engagierte Autorin sehr schätzt.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 14.03.2009

Theaterkritiker Christopher Schmidt bespricht Juli Zehs anti-utopischen Roman "Corpus Delicti", der, bevor er zum Roman wurde, schon ein Theaterstück war. Und zwar ein gutes, so Schmidt, gerade weil überbordend und allzu lang. Trotzdem durchaus effektiv. Das Überbordende bekomme Zeh nun in Romanform besser in den Griff, findet er, weil mehr Raum ist, Angedeutetes ausführlicher zu entfalten. Der Kern der Geschichte ist ohnehin derselbe: In einer völlig gesundheitsdiktatorischen Welt geht die zunächst angepasste Heldin nach dem Tod ihres eher hippieesken Bruders in den Widerstand und wird so zur Anführerin einer Gegenkultur. Verkehrt findet der Rezensent die Warnungen Zehs vor einer zwangsverharmlosten Vorsorge-Welt nicht. Und so wenig er der Autorin die Lust an der These zum Vorwurf machen möchte, dem Gelingen des Buches scheinen sie doch im Wege zu stehen: Die Charaktere bleiben für seine Begriffe arg papieren, die Konflikte scheinen bei aller Krimispannung doch etwas "reißbrettartig".
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 14.03.2009

Seltsame Kritik. Rezensentin Katharina Granzin mag dieses Buch nicht, oder vielleicht mag sie auch Juli Zeh nicht, die mit "Corpus Delicti" als Theaterstück ziemlichen Erfolg hatte, bevor sie es zum Roman umschrieb. Der Ton der Besprechung ist jedenfalls ungewöhnlich herablassend. Juli Zeh habe nur gelegentlich ein "Mia sagte" einfügen müssen, um einen Roman aus ihrem Stück zu machen, meint Granzin schnippisch. Der Roman selbst sei "eines jener Gedankenexperimente, wie Zeh sie eben gut schreibt". Wer so was mag, bitte, man sieht die Rezensentin förmlich mit der Achsel zucken. Ein weiblicher Orwell sei Zeh aber noch lange nicht, denn, und hier mag die Abneigung der Rezensentin begründet liegen, man könne wohl kaum das Terrorismuspotential einer Gesundheitsdiktatur gegen das des Stalinismus aufrechnen, meint Granzin.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.02.2009

So wichtig wie zeitgemäß, so gekonnt wie gelungen findet Christian Geyer diesen jüngsten Roman der Autorin und Juristin Juli Zeh. In Form einer Utopie - beziehungsweise wohl eher einer Dystopie - entwirft Zeh darin die Vision einer Welt, in der die Idee der Prävention gesiegt hat. Selber schuld ist darin, wer sich der Vorsorge, die nur sein bestes will, entzieht, die auf diese Weise endemisch wird. Zeh erzählt davon anhand eines Geschwisterpaars, das darauf beharrt, auch das in den Augen der Vorsorger Unvernünftige zu tun. Für ein Schlüsselthema unserer Zeit hält Geyer die Frage des Umgangs mit der Prävention, schleichend entwickle sich der Vorsorge- zum Entmündigungsstaat, und wie Zeh davon in ihrem Roman ohne Ironie und mit Mut zur Kulturkritik erzählt, das scheint Geyer überaus angemessen.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 26.02.2009

Das Fürchten hat Juli Zehs neues Buch Rezensentin Evelyn Finger gelehrt, die diese aus ihrer Sicht ebenso bestechende wie scharfsinnige "philosophische Novelle" über eine "Gesundheitsdiktatur" in naher Zukunft in den höchsten Tönen lobt. Sie erzähle von der "Zurichtung des privaten Körpers im Namen eines Staatskörpers" und zeige auf diesem Wege auch, wie Unfreiheit selbst in freien Gesellschaften entstehen könne. Verhandelt werde Zehs "geschichtspessimistische Prophetie" am Fall ihrer Protagonistin Mia Holl, die vor Gericht steht, weil sie den Anforderungen der Gesellschaft an persönliche Hygiene, Fitness, Gesundheitsvorsorge und innere Ausgeglichenheit nicht mehr nachkommt. Mit "messerscharfen Argumenten" schildere Zeh, wie ökologische und gesundheitspolitische Ziele sich verselbständigen und ins Brutale abgleiten können. Und zwar mit einem "knappen Erzählstil", dem Finger eine "seltsame Kälte" bescheinigt. Dadurch eröffnen sich für sie Assoziationsräume ohne platte Analogien. Auch beeindruckt die Rezensentin der Mut, mit dem Zeh in dieser "Gerichtstragödie in Prosa" die Frage stellt, wie ein gelingender Staat aussehen könne - und zwar im Bewusstsein "etatistischer Entgleisungen".
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