Dagmar Leupold

Nach den Kriegen

Roman eines Lebens
Cover: Nach den Kriegen
C.H. Beck Verlag, München 2004
ISBN 9783406523250
Gebunden, 221 Seiten, 17,90 EUR

Klappentext

Zweimal misslingt der Abschied vom Vater. So muss sie ihn sich schreibend erfinden, ihn im Roman seines Lebens Gestalt gewinnen lassen. Dagmar Leupolds Roman über ihren Vater Rudolf Leupold (1913-1986) geht, dicht, anschaulich, zugleich fragend und deutend, den Spuren eines Lebens nach, das sich, hinter einem Wall familiärer Legenden verborgen, erst nachträglich fassen lässt. Dabei wird die alles entscheidende Dynamik dieses Lebens erkenntlich, der geradezu verzweifelte Geltungsdrang, der sich mal im Deutschnationalismus, mal in der Mathematik den ersehnten Erfolg verspricht, zuletzt aber in dem - unerfüllten - Wunsch gipfelt: zu schreiben. Der Vater, in der deutschen Enklave Bielitz geboren, die 1918 polnisch wurde, spricht beide Sprachen fließend und ist mathematisch hochbegabt. Vom Gefühl nationaler Kränkung und der Hoffnung auf Karriere getragen, hat er sich im NS-System dabei mehr engagiert, als die Tochter zu seinen Lebzeiten ahnte. Der im Krieg versehrte, von Schlaflosigkeit gequälte, manchmal genialisch-charismatische, oft aber auch die Familie mit Tiraden und Wutausbrüchen strapazierende Vater ist nach dem Krieg eher ein Liberaler.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.02.2005

Für Kolja Mensing fällt Dagmar Leupolds autobiografisch gefärbter Roman über ihren Vater in zwei Hälften: eine gute und eine schlechte Hälfte. Die gute erste Hälfte berichtet in ruhigen lakonischen Sätzen von der Jugend der Autorin in den 50er und 60er Jahren; den zweiten Teil empfindet Mensing "als literaturwissenschaftliche Seminararbeit mit hohem Betroffenheitscharakter". Nach dem Tod des Vaters, der die Rahmenhandlung des Romans bildet, wertet sie seine Tagebücher aus, in denen sie mehr über seine NS-Vergangenheit in Schlesien erfährt. Misstrauisch geworden gegen die ihr überlieferten Berichte aus ihrer Kindheit übt sie Textkritik und holt zu historischen Kommentaren aus, hinter denen Leupolds "schöner und schlichter Tonfall" aus dem ersten Teil des Buches verschwindet, schreibt Mensing bedauernd. Doch nicht nur literarisch, auch intellektuell scheitere die Autorin in diesem Teil, meint der Rezensent. Leupold bemühe sich um Verständnis für die historischen Gegebenheiten im Leben ihres Vaters, wälze Forschungsliteratur und zitiere andere mit dem Schicksal der Deutschen hadernde Autoren, aber die Person ihres Vaters, seine Persönlichkeit, seine Geschichte hätte Leupold dabei leider aus den Augen verloren.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 05.01.2005

Werner Jung vergleicht Dagmar Leupold mit Ludwig Harig, dem kanonischen Vertreter des "Vaterromans", um die Besonderheiten und Vorzüge ihres Buches zu beschreiben. "Nach den Kriegen" ist ein solcher Vaterroman, doch er bringt die Geschichte des Vaters nicht auf einen "fixierenden und erklärenden Begriff", eher verleiht sie ihrer Unsicherheit Ausdruck, findet eine Form für den Prozess der Suche nach Erkenntnis, für ihre Zweifel - für die "Fremdheit der Vatergestalt", in der sich verschiedene Persönlichkeiten zu verbergen scheinen, schreibt der Rezensent. Da sind die Erinnerungen der Erzählerin, und da sind die Tagebücher des Vaters, und sie wollen sich nicht letztgültig fügen. Der Rezensent lobt diese Offenheit und zieht sein Fazit wie folgt: "Alles in allem jedoch eine wunderbare Erzählung über die Unmöglichkeit des Verstehens und die Notwendigkeit des unausgesetzten kontrafaktischen Versuchs eben hierzu - mithin ein gelungenes Stück Literatur."

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 07.10.2004

Dieser Roman ist ein Zwitter, halb fiktiv, halb dokumentarisch, eine manchmal etwas beschwerliche Mischung, findet Rolf Michaelis. Dagmar Leupold hat das Leben ihres Vaters aufgeschrieben, das ihr unbekannte Aspekte barg, sie recherchierte nach, bediente sich seiner Tagebucheintragungen, griff seine Skizzen und schriftstellerischen Entwürfe auf, schrieb sie in gewisser Weise weiter. Dieser (zweite) Teil des Romans hat laut Michaelis einen sehr reflexiven, beinahe essayistischen Charakter, während die Szenen aus ihrer (erlebten) Kindheit und Jugend in den fünfziger und sechziger Jahren durch die Dichte der Beschreibung beinahe etwas Dokumentarisches bekämen, schreibt Michaelis. Seines Erachtens wirkt dieser erste Teil stärker, echter als der aus Dokumenten, Tagebüchern, Akten montierte zweite Teil, der von Leupolds Gedankengängen unterbrochen wird. Der Vater war eine dominante Figur, ein begabter Mathematiker, der mit seinem Schicksal als Flüchtling und Lehrer ewig gehadert hat, berichtet der Rezensent. "Nach den Kriegen" analysiert die Befindlichkeiten der Generation der Kriegsteilnehmer und deren Kinder, der Nachkriegsgeborenen, so Michaelis, und wer die Zeit selber miterlebt habe, werde das Buch so schnell nicht wieder aus der Hand legen, vermutet er. Aber auch jüngere Leser gehen nicht leer aus, sie bekommen ein "kräftiges Stück Mentalitätsgeschichte der jungen BRD" serviert, verspricht der Rezensent.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 14.09.2004

Die Lektüre eines Buches beginnt mit dem Umschlag, der im Fall des neuen Romans von Damar Leupold schön und treffend zugleich ausgefallen ist, schwärmt Angelika Overath. Eine Collage, welche die Beziehung einer jüngeren Frau zu einem älteren Mann ins Bild setzt, der wie in einer anderen Zeit zu verschwinden droht, so Overath, womit die Rezensentin die Geschichte des Buches schon umrissen hätte: die Erzählerin Dagmar Leupold erstellt ein Suchbild ihres Vaters Rudolf Leupold, der stärker in den Nationalsozialismus verwickelt war, als die Tochter ahnte. Zugleich unternimmt sie es, seinen großen Traum eines autobiografischen "Roman eines Lebens" zu Ende zu führen. Als die literarisch eindrücklichsten Passagen sind bei Overath diejenigen aus Dagmar Leupolds Kindheit haften geblieben; später wird das Buch immer intellektueller, meint die Rezensentin keineswegs abfällig, da konzentriere sich Leupold auf ihre Rolle als Historikerin, die Wehrmachtsmaterialien auswertet, oder als Literaturkritikerin, die in den begonnenen Texten des Vaters Verwandtschaften zu Jünger, Benn und Thomas Mann aufspürt. Die Suche scheitere in allen Ehren, fasst Overath zusammen, statt der Wahrheit über den Vater zeige sich ein "mentalitätsgeschichtlicher Dunstkreis", den Dagmar Leupold möglichst akribisch und unsentimental erforsche.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 30.08.2004

Diese Buch ist für Verena Auffermann nicht weniger als eine "versuchte Vaterschlachtung". Darin zeichne die Autorin Dagmar Leupold das Portrait ihres Vaters, des1913 geborenen Mathematik- und Physiklehrer Rudolf Leupold als eines "verstörten, zu kurz gekommenen, kriegsversehrten autoritären Überlebenden". Sechzehn Jahre habe die Autorin mit dieser Mutprobe gewartet, so die Rezensentin, bis sie die Vorwürfe, wie zum Beispiel des Opportunismus während des Dritten Reiches, in Form eines Buches vorträgt. Die Rezensentin hebt besonders die Doppelbödigkeit des Textes heraus, der einerseits subjektiv leicht erzählter Stoff ist, den die "sehr reflexive" Autorin aber andererseits mit zeitgeschichtlichen Recherchen fundiert hat. Wohl deshalb kann die Thematik der eigenen Familie in einen größeren Zusammenhang gestellt werden, nämlich der Familiensituation der bedrückenden frühren sechziger Jahre allgemein, meint Auffermann. So sind die Erinnerungen an den Vater auch eine "verallgemeinerbare Erklärung, weshalb für ihn der Krieg nie aufhörte und der Graben zwischen den Lebenden und den Toten unüberwindlich war".
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