Literatur
Schwer beeindruckt sind die Kritiker von Alexander Goldsteins Roman
"Denk an Famagusta": wie virtuos und komplex der Autor hier ein
autobiografisch fundiertes Netz aus Geschichten um seine
zwischenzeitliche Heimatstadt Baku webt, das sich mit der Geschichte der Sowjetunion
und jener von jüdischer Emigration verbindet, ringt ihnen höchste
Anerkennung ab. Daran, dass es sich um eine fordernde, aber lohnende
Lektüre handelt, lassen sie keinen Zweifel. Eine "leuchtende Zumutung"
ist das Buch für Nicole Henneberg (FAZ), die Goldsteins Genauigkeit und psychologische Feinheit, seine politische Prägnanz
und seinen historischen Scharfblick auf die Brüche des russischen
Imperiums hervorhebt. Als "ein großer, mitunter über die Ufer tretender
Strom von Geschichten, Gedanken und Geistesblitzen" beschreibt Christian Schröder im Tagesspiegel das
Erstlingswerk des in Tallinn geborenen, in Baku aufgewachsenen und 2006
mit nicht einmal fünfzig Jahren in Israel verstorbenen Autors. Für
Brigitte van Kann (DLF)
ist es nicht weniger als ein Meisterwerk, "ein hochgelehrtes, aber auch
ein lebenspralles Buch, das sich weder für die tristen und noch für die
deftigen Niederungen der sowjetischen Zivilisation zu schade ist". Und im Freitag schließt Lennart Laberenz seine begeisterte Besprechung mit dem Aufruf: "Lesen Sie Goldstein!"
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Die Kritiker stürzen sich auf den zweiten Teil von Elena Ferrantes
neapolitanischer Saga und werden nicht enttäuscht: Hier geht es um die
Jugendjahre der Freundinnen Lila und Lenu in den sechziger Jahren, um den Männlichkeitskult und die Armut der unteren Schichten und den Versuch, sich dem durch Bildung zu entziehen, resümiert Andreas Fanizadeh (taz), für den die Tetralogie "spannender als jede noch so gute Fernsehserie" ist. Maike Albath schwärmt sowohl in der SZ als auch im DLF in den höchsten Tönen von diesem zweiten Band, während sie im Gespräch mit Frank Meyer (DradioKultur)
die Enttarnung der unter Pseudonym schreibenden Autorin durch einen
italienischen Journalisten als "langweilig und geschmacklos" verurteilt.
Die Lektüre erfordert übrigens nicht die Kenntnis des ersten Bandes, versichert Sabine Dultz im Merkur: "Die Geschichte eines neuen Namens" ist ein "eigenständiger, großer literarischer Wurf". Auch Franz Haas (NZZ) hatte große Freude an diesem "souverän filigranen Erzählgewimmel aus Intrigen und Herzflimmern, Freundschafts- und Liebesverrat". Im Tagesspiegel hebt Andrea Dernbach die "angenehm flüssige, wo nötig auch flapsige" Übersetzung durch Karin Krieger hervor. Lediglich Irene Binal (DradioKultur) mag
sich nicht in die Reihe der Begeisterten einreihen: für sie ist der
Roman "nicht wirklich schlecht, aber eben auch nicht wirklich gut, eine
solide erzählte Geschichte ohne große Höhepunkte".
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Seit 2012 führ Aleš Šteger ein "Logbuch der Gegenwart", für das sich der
slowenische Schriftsteller, Übersetzer und Lektor an einem bestimmten
Tag im Jahr an einen öffentlichen Ort begibt und dort exakt zwölf
Stunden lang seine Eindrücke niederschreibt, ohne Internetzugang, ohne
vorherige Recherche, ohne nachträgliche Korrektur. Im ersten Band
"Taumeln" - es sollen bis 2024 zwei weitere Bände folgen - hat sich
Šteger zu sozialen und politischen Brennpunkten nach Mexico City, Ljubljana, Fukushima und Belgrad
begeben und übersetzt seine Eindrücke in "sprachliche Verdichtungen,
die, so unterschiedlich sie sind, immer von einer berührenden
Unmittelbarkeit geprägt sind", meint Carsten Otte im SWR. In der SZ bewundert
Nico Bleutge, wie Šteger Wahrnehmungen, Fotos, Gedanken und O-Töne
miteinander verknüpft. "Hier wird nicht 'beschrieben', sondern wahrgenommen, für wahr genommen, voller Empathie und Respekt", staunt Herbert Wiesner in der Welt. Im Standard hält
Adelheid Wölfl fest, dass der Autor bei allem Selbstversuchhaften
dieses Projekts "vor allem ein Poet" bleibt. "Es handelt sich hier um
ein Experiment in Wachheit, Wachsein in der Sprache", erläutert Šteger in dem Porträt, das Christine Hamel für den BR von ihm aufgenommen hat.
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Am Morgen des 7. Januar 2015 kommt die Karikaturistin Catherine Meurisse zu spät zur Redaktionssitzung von Charlie Hebdo
- und bleibt dadurch am Leben. In "Die Leichtigkeit" erzählt sie, wie
sie seitdem nach einem Umgang mit der Tragödie und einem neuen Zugang zu
ihrem Leben sucht. Eine "Meditation über Schrecken und Schönheit" nennt Christian Bos (FR) das Buch, das einmal mehr die Macht der Kunst als "Trösterin der Untröstlichen" beschwöre. Alex Rühle hebt in der SZ
Meurisses künstlerische Meisterschaft hervor, die in karikaturhaft
zurückgenommenen Federzeichnungen, aber auch in prallen Aquarellen und
Buntstiftskizzen zum Ausdruck kommt. Keine Graphic Novel, sondern
tiefste "Bewusstseinsanschauungen in Tusche" hat Hannah Lühmann (Welt) gelesen, während es Else Graton (taz) bisweilen vorkommt, als nähme die Autorin "sich selbst therapeutisch auf die Schippe". Auf "grandios leichtfüßige Weise" und mit "atemberaubend makabrem Witz" schildert Meurisse ihre Erfahrungen, schwärmt Pieke Biermann in DradioKultur. Im Tagesspiegel staunt
Christian Meyer-Pröpstl, wie sich "das innere Chaos und die
Orientierungslosigkeit anfänglich in einem wilden Stilgemenge Bahn
bricht", um sich dann allmählich "zu einem rhythmischen Erzählfluss" zu
formieren. In Interviews mit Julia Brummert (Intro) und Moritz Piehler (SpOn) spricht die Autorin über ihre Traumabewältigung und die Bedeutung von Satire und Kunst.
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Als im vergangenen Jahr "Eine Straße in Moskau",
der Debutroman des russischen Schriftstellers Michail Ossorgin
(1878-1942), in neuer deutscher Übersetzung erschien, löste er unter den
Rezensenten einhellige Begeisterung aus. Nun kommen unter dem Titel
"Zeugen der Zeit" zwei weitere Romane Ossorgins heraus: "Zeuge der
Geschichte" (1932) und "Buch vom Ende" (1935), wiederum von Ursula
Keller übersetzt und mit einem instruktiven Anmerkungsapparat versehen. Die Romane erzählen die Geschichte einer jungen Frau aus gutem Hause entfaltet, die sich zunächst einer Terrorgruppe
anschließt und schließlich zur Emigration nach Frankreich und Italien
gezwungen ist. Die literarische "Wucht", mit der Ossorgin von Terror und
zaristischer Geheimpolizei, Untergrund und Exil, Gefängniszellen und
Schützengräben im Ersten Weltkrieg, Auf- und Abschwung der revolutionären Energien
zwischen 1905 und 1917 erzählt und den Leser dabei auf einen
beeindruckenden Streifzug durch russische Landschaften mitnimmt, ist
atemberaubend, versichert Lothar Müller in der SZ und attestiert dem Autor ein Talent für Bilder, die lange nachhallen. Auch wenn die beiden Bücher für Olga Hochweis (DradioKultur) nicht ganz an die "Tiefe und formale Raffinesse" der "Straße in Moskau" heranreichen mögen, sind sie "als packende Geschichtsstunde in Romanform außerordentlich lesenswert". Nicht recht überzeugt zeigt sich hingegen Klaus Ungerer (Welt), dem es an Handlung und überzeugenden Figurenintrospektive mangelt.
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Sachbuch
Was Otfried Höffe auszeichnet, ist seine Fähigkeit, "stupendes Wissen" in "klare Sprache" zu überführen, schreibt der Schriftsteller Otto A. Böhmer in der FR und findet sein Urteil in der "Geschichte des politischen Denkens" bestätigt: Die Porträts und Miniaturen zu politischen Denkern wie Platon, Aristoteles, Cicero, Dante, Machiavelli, Rousseau, Kant, Hegel, Marx oder Rawls,
die der Band vereint, lehren den ihn, dass politisches Denken stets neu
ansetzt, aber stets auch auf Bewährtes rekurriert. Die Frage nach dem
Fortschritt hin zu einer besseren Welt wird dabei neu gestellt, meint
Böhmer. Gerade der Rückbezug auf jene Denker und Ideen befähigt Höffe,
auf die geistige Situation der Gegenwart und ihre Anforderungen
philosophisch zu reagieren und eine Philosophie zu betreiben, die fähig
ist, ein "zeitadäquates Leitbild für die Politik" der Moderne zu
liefern, glaubt Georg Kohler (NZZ),
der den Autor zu den "maßgebenden politischen Philosophen der
Gegenwart" zählt. Beide Rezensenten sind sich einig, dass die Lektüre Mut und Hoffnung
mache: Dass es sich unbedingt lohnt, die Errungenschaften der letzten
hundert Jahre, die Demokratie, den modernen Rechts- und Verfassungstaat
zu erhalten und weiterzuentwickeln.
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Als Geschäftsfrau, berufstätige Mutter, renommierte Künstlerin und Pionierin der Insektenkunde
war Maria Sibylla Merian (1647-1717) eine Ausnahmeerscheinung ihrer
Zeit. Zu ihrem 300. Todestag legt Barbara Beuys eine gut recherchierte
Biografie vor, freut sich Bettina Wolff in der FAZ und lobt den
Ansatz der Autorin, angesichts der bisweilen unklaren Faktenlage lieber
verschiedene Möglichkeiten zu präsentieren als ins Spekulieren zu
verfallen. Besonders die Rolle der Religion für das Werk der Calvinistin Merian findet Beuys aufschlussreich. In der SZ hebt
der Schriftsteller und Schmetterlingskenner Peter Henning den
weiblichen und sehr persönlichen Ansatz der Biografie hervor: Vorsichtig
tastend, in biografischer Nahaufnahme, entsteht für ihn so das Bild
einer jungen Forscherin und ihrer innersten Motivationen und Gefühle,
"auch die Geschichte einer weiblichen Emanzipation, einer exemplarischen
schmetterlingshaften Selbstentfaltung". Für DradioKultur hat sich Sigrid Brinkmann mit Barbara Beuys über Maria Sibylla Merian unterhalten.
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Interessant an diesem Buch Nilüfer Göles ist offenbar vor allem, dass sie erstmals den Islam in Europa thematisiert, denn die Islamdebatte wird seltsamerweise in allen europäischen Ländern getrennt geführt (ausgenommen die vom Perlentaucher und signandsight vor zehn Jahren ausgelöste, europaübergreifende "Islam in Europa"-Debatte). Die Rezensenten in FAZ, SZ und Zeit loben, dass Göle ein sachlicher Blick auf heutige Realitäten und ein durchaus optimistisches Bild
des Zusammenlebens gelingt. Ja, es gibt Reibungszonen, und es hat den
Karikaturenstreit gegeben, aber dafür habe man kreative Lösungen
gefunden. Die bisherigen Rezensenten begegnen dem europäischen Ansatz
bei diesem so kontroversen Thema bisher einhellig aufgeschlossen. Im
Interview mit DRadio Kultur skizziert Göle ihre These, wonach sich Kontroversen um den Islam vor allem aus dessen selbstbewusster Sichtbarmachung im öffentlichen Raum ableiten. Als begleitende Lektüre empfiehlt sich Samuel Schirmbecks wohl eher polemisch angelegter Essay "Der islamische Kreuzzug und der ratlose Westen" (bestellen), der unter anderem dafür plädiert, eine scharfe Religionskritik im Namen aufgeklärter Werte, nicht mit Rechtspopulismus gleichzusetzen.
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Ok, das ist ein Buch für Liebhaber. Aber es kostet auch nur schlappe 128
Euro! Und noch dazu ist es ist ein wissenschaftliches Werk: Damit die
seiner Meinung nach scharfsinnigen, ausführlichen, lexikalisch
sortierten Texte auf den knapp 700 Seiten dennoch zu einem umfassenderen
Verständnis führen, empfiehlt Wolfgang Schreiber in der SZ Geduld. Dann führen die Themenkapitel im Band jedoch zu Erkenntnissen über die musikalische Moderne, ihre Entwicklung, über Themen wie Raumkomposition oder Klangorganisation. Für den WDR hat sich Ulrike Gruner in das Buch vergraben und würzt ihre sehr positive Rezension in der Audiodatei mit einigen sehr hübschen Musikeinsprengseln aus der Zeit, als "Neue Musik" noch wirklich neu war.
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Michael Lewis ist als Autor über wirtschaftliche Themen in Deutschland
nach der Finanzkrise berühmt geworden - er schreibt allerdings schon
seit den neunziger Jahren, unter anderem auch über Football. Im Jahre
2011 erschien der Spielfilm "Moneyball" mit Brad Pitt, Jonah Hill und
Philip Seymour Hoffman, der auf Lewis' Sachbuch gleichen Titels von 2003
beruht. In "Aus der Welt" erzählt er die Geschichte der
Verhaltenspsychologen Daniel Kahneman und Amos Tversky,
die die Wirtschaftswissenschaften mit ihrer "Behavioral economics" auf
den Kopf gestellt haben - und unter anderem die Chicago Boys
entthronten. Das klingt alles etwas trocken und abstrakt, aber die
bisherigen Kritiken sind hymnisch, auch weil Lewis es nicht bei der
Theorie belässt und die Lebensgeschichten der beiden Freunde, beginnend
bei der Flucht vor den Nazis, mit einflicht. Jens-Christian Rabe bekennt
in der SZ, dass das Buch mit seinen psychologischen Einsichten seinen Blick auf den Populismus wie auch auf seine eigenen Überzeugungen geändert hat, ein seltener Fall, meint Rabe. Jesse Singal (New York Magazine) nennt das Buch "a must-read for behavioral psychology nerds".
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