Ingo Schulze

Zu Gast im Westen

Aufzeichnungen aus dem Ruhrgebiet
Cover: Zu Gast im Westen
Wallstein Verlag, Göttingen 2024
ISBN 9783835355835
Gebunden, 344 Seiten, 24,00 EUR

Klappentext

Seit über dreißig Jahren betrachtet der Westen den Osten. Als Gast im Westen beschreibt Ingo Schulze, dass die Wirklichkeit immer jener Ort ist, der jenseits der Erwartung liegt. Ein halbes Jahr verbrachte Ingo Schulze von Oktober 2022 bis März 2023 im Ruhrgebiet als "Gast im Westen". Was ihn interessierte? "Einen Plan hatte ich nicht. Und erst allmählich begann ich meine 'Methode' zu erkennen: Wenn mich jemand einlud, bin ich hingegangen. Es gibt wohl kaum ein unsystematischeres Vorgehen. Aber jeder Plan wäre mir nicht weniger willkürlich erschienen." So entstanden ganz unterschiedliche Betrachtungen, Porträts, Reportagen - eine Grundschule, in der die Musik die Rolle der Sprache übernimmt, weil zu wenige Kinder Deutsch sprechen; ein Stadionbesuch mit einem Polizeipräsidenten a. D., der nicht mehr das Wort "Clankriminalität" aussprechen wollte, es aber musste; ein Konzert im Alfred Krupp Saal der Essener Philharmonie führt zur Geschichte der Firma Krupp, zu den längsten Arbeitskämpfen der BRD und zu Europas größtem Binnenhafen; die Ruhe eines Kriegsgräberfriedhofs erscheint nicht mehr selbstverständlich; der Slapstick einer Theateraufführung setzt sich in der Wirklichkeit fort - über allem wabert ein Duft von Döner und Gyros und im Ohr hallen die Gesänge der Fußballfans nach.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 18.04.2024

Eine wunderbare Liebeserklärung ans Ruhrgebiet hat Ingo Schulze in seiner Zeit als Metropolenschreiber Ruhr verfasst, findet Rezensent Oliver Jungen. Schulze beschreibt die Gegend laut Jungen als eine hochgradig künstliche Landschaft, die nach wie vor geprägt ist von der industriellen Ausbeutung des Bodens. Wir begegnen in seinem Buch einer ganzen Reihe warmherziger Menschen, die sich für die Gemeinschaft engagieren und die Herausforderungen, vor der die Region steht, im Großen und Ganzen gut meistern, erzählt der Rezensent. Sprachlich ist Schulze weniger am Experiment als an einem ehrlichen Reportagetonfall interessiert, meint der Kritiker, der außerdem anmerkt, dass der Autor immer wieder seine eigene Herkunft als Ostdeutscher in das Buch einfließen lässt. Zum Beispiel mit Blick auf das Thema Arbeit eröffnen sich dabei in Jungens Darstellung Parallelen zwischen dem Osten und dem Ruhrgebiet. Es ist gerade Schulzes neugierige, zugewandte Besucherperspektive, die das Buch für Jungen zu einem Gewinn macht.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 26.03.2024

Ein insgesamt schönes Buch ist entstanden aus Ingo Schulzes Zeit als Stadtschreiber im Ruhrgebiet, wo der Autor zwischen Herbst 2022 und Frühjahr 2023 zugegen war, meint Rezensentin Sonja Zekri. Einige der schönsten Passagen widmen sich laut Zekri dem Fußball, zum Beispiel der eigenartigen Zeitlichkeit im Stadion, wobei andererseits manche Formulierungen auch etwas arg pathetisch daher kommen. Überhaupt hat das Buch einige Längen, findet die Rezensentin, was ihr jedoch gefällt, ist die offene Art, mit der Schulze seinen diversen Gesprächspartnern begegnet. Als ein zentrales Thema stellt sich dabei die Rolle der Arbeit heraus, lesen wir, auch im Abgleich mit der ostdeutschen Heimat Schulzes. Wo im Osten, so Zekri mit Schulze, körperliche Arbeit nach dem Ende der DDR abgewertet wurde, wird sie im Pott überhöht, was auch nicht der Wahrheit letzter Schluss sein kann. Insgesamt füge sich das Buch zu einem eigensinnigen Blick auf eine von industrieller Ausbeutung der Natur geprägte Gegend. Gern sitzt Zekri mit Schulze in Duisburg am Zusammenfluss von Ruhr und Rhein und blickt in den Abendhimmel.
Lesen Sie die Rezension bei buecher.de