Wladimir Sorokin

Der himmelblaue Speck

Roman
Cover: Der himmelblaue Speck
DuMont Verlag, Köln 2000
ISBN 9783770148813
Gebunden, 435 Seiten, 22,50 EUR

Klappentext

Aus dem Russischen von Dorothea Trottenberg. Das Russland des 21. Jahrhunderts steht unter chinesischer Vorherrschaft. In einem Genlabor in Sibirien machen russische Wissenschaftler Experimente mit den Klonen der berühmten klassischen Autoren: Dostojewski, Tolstoi, Tschechow, Achmatowa, Nabokov. Auf diese Weise soll der himmelblaue Speck gewonnen werden, ein Stoff, der sich während des Schreibens im Körper der Klone bildet und zur Energiegewinnung wie auch als Droge dienen soll. Mit einer Zeitmaschine wird der himmelblaue Speck in ein fiktives Stalinsches Moskau des Jahres 1954 geschickt, um den Lauf der Geschichte zu ändern. In einem großen karnevalistischen Defilee ziehen die russischen Machthaber und Geistesgrößen des vorigen Jahrhunderts noch einmal vorbei. In Stalins Archipel LOVElag sind das totalitäre und das heutige Moskau ineinandergebildet, Stalin und Chrschtschow lenken ihr Flugzeug nach Deutschland, die Zeitreise geht in ihr Finale. "Der himmelblaue Speck" ist eine parodistische Monstervision, an deren Tabuverletzungen sich in Russland die Geister schieden.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 09.11.2000

In Russland war das Erscheinen von Sorokins jüngstem Roman im vergangenen Jahr ein Skandal, weshalb der Rezensent Hans-Peter Kunisch aus einem Brief eines empörten Lesers zitiert (auf dem Buchumschlag der deutsche Ausgabe nachgedruckt), worin dieser seiner Hoffnung Ausdruck verleiht, dass die russische Gesellschaft bald wieder soweit sei, "in der Literatur eine normale polizeiliche Ordnung herzustellen". Soviel also zu den Zuständen in Russland, und man ist geneigt, dem Rezensenten zuzustimmen, dass das einstige "Land der Avantgarden" der Entwicklung literarisch wie politisch hinterhinkt. Kunisch meint, Sorokins neuester Roman sei "heiterer" als die früheren - was am vorhandenen Ekelpotential nichts ändert (oder wollen Sie etwa Stalins Brusthaare küssen?) -, neige darum aber auch mehr zur Blödelei. Für Kunisch ein Anlass zur Frage, ob Sorokins Witzmaschine nicht außerhalb Russlands eh ihren Dienst versagt. Warum nicht lieber Puschkin oder Achmatowa selbst lesen, fragt er polemisch, statt sich durch Sorokins persiflierende Klone der literarischen Ikonen Russlands zu kämpfen?

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 17.10.2000

Eine `anstrengende Lektüre` findet Ilma Rakusa dieses Buch, das Sorokin mit seinen bekannten Obsessionen von `Fressen, Ficken und Fäkalphantasien` gefüllt hat. Der Speck, um den es geht, wird hier gewonnen aus geklonten Schriftstellern, die ihn beim Schreiben absondern, und das Produkt teilen sich per Zeitmaschine Hitler und Stalin. Aber die `ebenso aufgebauschte wie absurde` Story des längst schon zum `bad boy` der russischen Gegenwartsliteratur avancierten Schriftstellers hat die Rezensentin nur ermüdet. Sie ist dankbar, dass ein vielseitiges Glossar immerhin die chineso-anglo-russische Misch-Sprache des Jahres 2068, in dem der Roman spielt, entziffern hilft. Aber viel hilft auch das nicht. Zwar will sie den Autor nicht `strafrechtlich verfolgt` sehen, wie die russischen Kritiker, aber es scheint, sie versteht den Affekt. `Auch provokante Spielereien verlangen `ethische Zurechnungsfähigkeit``, paraphrasiert sie den Autor selbst. Die aber ist hier nicht in Sicht, und das, findet Rakusa, schadet am Ende auch der Kunst.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 16.09.2000

So beschäftigt ist der Rezensent Norbert Wehr mit dem Nacherzählen von Vladimir Sorokins Sciene-Fiction Roman, dass gar nicht klar wird, ob er selber Spaß an dem Produkt der "bösen Phantasie" des Autors hat. Nur soviel Einordnung leistet sich Wehr: Die Handlung und der Erzählstil sind seiner Ansicht nach beeinflusst von Sorokins "konzeptualistischen Interesse an massenkulturellen Genres" und seinen Imitationen russischer Klassiker. Er findet Sorokins Faszination für die "operettenhafte Ästhetik von Stalinismus und Nationalsozialismus" zwar "ambivalent", insgesamt scheint er aber beeindruckt von der sich überschlagenden Erzählung und den bizarren Einfällen in "Russlands erstem Klon-Roman". Und so stellt der am Ende recht hilflos wirkende Rezensent fest, dass die totgesagte Literatur immer wieder "auferstehen" wird - und sei es aus dem "Fleisch geklonter Klassiker". Unmöglich zu sagen, ob ihn das beruhigt.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 09.09.2000

Diesmal, so die Rezensentin Schamma Schahadat, treibt Sorokin sein Schreibverfahren auf die Spitze: "Er wird zu seinem eigenen Klon". Stalin (der mit Chruschtschow schläft), Achmatova, Hitler (der mit Stalins Tochter schläft) treten auf, als Geklonte, in einem Text, der frühere Sorokin-Texte klont, alles aber zugleich ins bloß Ähnliche verschiebt. Dabei sei Sorokin "phantastisch und grotesk, witzig und obszön" wie stets, betreibe die gewohnten Sprachmischungen, häcksle Zeit und Raum, dass jede "Zielgerichtetheit zunichte" wird. Nur die Frage, was es mit dem himmelblauen Speck auf sich hat, der zum Objekt der Begierde aller Handelnden wird, lässt die Rezensentin wortreich unbeantwortet.
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