Thomas Hettche

Pfaueninsel

Roman
Cover: Pfaueninsel
Kiepenheuer und Witsch Verlag, Köln 2014
ISBN 9783462045994
Gebunden, 352 Seiten, 19,95 EUR

Klappentext

Es mutet an wie ein modernes Märchen, denn es beginnt mit einer Königin, die einen Zwerg trifft und sich fürchterlich erschrickt. Kaum acht Wochen nach dieser Begegnung auf der Pfaueninsel, am 19. Juli 1810, ist die junge Königin Luise tot und der kleinwüchsige Christian und seine Schwester Marie leben fortan weiter mit dem entsetzten Ausruf der Königin: "Monster!" Damit ist die Dimension dieser Geschichte eröffnet. Am Beispiel von Marie, die zwischen den Befreiungskriegen und der Restauration, zwischen Palmenhaus und Menagerie, Gartenkunst und philosophischen Gesprächen aufwächst und der königlichen Familie bei deren Besuchen zur Hand geht, erzählt Thomas Hettche von der Zurichtung der Natur, der Würde des Menschen, dem Wesen der Zeit und der Empfindsamkeit der Seele und des Leibes.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 04.10.2014

Lange hallt dieser Roman in Andrea Köhler noch nach. Das liegt für die Rezensentin an Thomas Hettches einfühlsamer wie stilistisch perfekter Erzählkunst, die in diesem "lebensklugen" Buch laut Köhler so recht zum Glänzen gebracht wird. Auch wenn Hettche für Köhler offensichtlich gegen die Trends der Gegenwartsliteratur anschreibt, bleibt das Buch für sie dank seiner "federnden" Sprache und seiner Fähigkeit, die Komplexität der Welt zu erfassen, ein Glücksfall. Hettches historisch grundierte, im Hintergrund mit allen zeitgeschichtlichen Erschütterungen der preußischen Aufklärungsära ausgestattete Liebesgeschichte auf der Pfaueninsel besticht für Köhler vor allem durch die Themenwahl. Um nicht weniger, als um das Wesen der Zeit, die Zerbrechlichkeit der Schönheit und den Abgrund des Begehrens geht es dem Autor in seiner Geschichte um die Zwergin Marie, erklärt Köhler staunend über Hettches Vermögen, das Zeitalter der Ratio mit dem Reich der Mythen und Märchen so elegant kurzzuschließen.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 13.09.2014

Hans-Jost Weyandt im Leseglück höchsten Rangs: Mit allerblumigsten Begriffen bahnt sich der Kritiker einen Weg durchs feine literarische Geäst von Thomas Hettches auf der gleichnamigen Insel vor Berlin im 19. Jahrhundert spielender "Pfaueninsel". Anschaulich erzählt der Autor "vom Vergehen der Zeit" - und dies sowohl hinsichtlich der langen Dauer, als auch der Kürze von Zeit, schreibt der Kritiker. Im Mittelpunkt steht eine kleinwüchsige, dem post-aristokratischen Dünkel auf der Insel als Kuriosität vorgeführte Bedienstete - und diese findet Weyandt in ihrer Anlage geradezu "fantastisch". Sie überlebt nicht nur die meisten Inselbewohner, die da kommen, neben allerlei exotischen Tieren und Pflanzen verweilen und schließlich gehen, sondern träumt auch davon - wenngleich vergebens -, selbst einmal in bürgerlichen Rang aufzusteigen. Beim Verlauf dieses "Trauerspiels", in dem auch der Niedergang der Pfaueninsel von einem welthaltigen Kuriositätenkabinett mit allerlei Gesumm und Gebrumm zu einem verlassenen Park erzählt wird, findet Hettche zahlreiche bestrickende Bilder, wie sich Weyandts schwärmerischer Rezension glaubhaft entnehmen lässt.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 03.09.2014

Judith von Sternburg erscheint die Lektüre dieses Romans von Thomas Hettche wie ein Besuch auf der historischen Pfaueninsel selbst - das Natürliche und das Künstliche erkennt sie gleichermaßen. Merkwürdig kommt ihr aber noch manch anderes vor in Hettches Buch, das Sternburg einerseits als spannenden Entwicklungsroman bezeichnet, andererseits als Märchen. So, wenn der Autor etwa "irritierend zurückhaltend" von Morden auf der Märcheninsel berichtet. Dass sich mit der Hauptfigur, der Zwergin Marie, eine berückend moderne Figur des 19. Jahrhunderts in den Text geschlichen hat und Hettche mitunter im Stil eines Sachbuchs berichtet, sorgt bei der Rezensentin ebenfalls für Verwunderung, für durchaus nicht unangenehme allerdings.

Rezensionsnotiz zu Die Welt, 30.08.2014

Richard Kämmerlings vermutet hier schon den Roman des Jahres. Dabei steht er Thomas Hettches Pfaueninselgartenfantasie durchaus kritisch gegenüber. Das liegt weniger an Hettches Thema, die Zeit und ihr Wesen, noch an der Erzählerfigur, einer Zwergin, deren Dasein der Autor laut Hettche mit großem Einfühlvermögen schildert, denn an Hettches für Kämmerlings offensichtlichem Antreten gegen die Möglichkeiten des Romans im digitalen Zeitalter. Dass der Autor seinen einstigen Avantgardismus über Bord wirft und einen zumindest formal klassischen Bildungsroman vorlegt, der mit der scheiternden Aufstiegsgeschichte einer Zwergin auch thematisch manche Utopie torpediert, scheint Kämmerlings dem Autor indes nicht zu verzeihen. Für Kämmerlings ist das ein Anachronismus, mit dem der Autor einen das Vertraute, Leichte favorisierenden Markt bedient.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 28.08.2014

Dem Schriftsteller Thomas Hettche ist zuweilen vorgeworfen worden, seine Bücher seien "intellektuelle Exerzitien in narrativer Verkleidung", er also kein richtiger Erzähler, weiß Hubert Winkels. Also hat Hettche seine Stoffe hernach immer populärer werden lassen, ohne jedoch darüber seinen Anspruch zu verlieren, so der Rezensent. Sein neuer Roman "Pfaueninsel" ist denn auch eine großartige Verschränkung von kulturgeschichtlichem Essay, historischem Roman und Liebesgeschichte, erklärt Winkels, die Motive überlappen sich auf der Wortebene, deren Macht eine Art Grundprinzip von Hettches Schreiben ist. Er erzählt die Geschichte der Zwerge Marie und Christian, die im neunzehnten Jahrhundert auf der Pfaueninsel aufwachsen, einer Zeit rasanter Technisierung und Normierung der Gesellschaft, in der die Kleinwüchsigkeit der Geschwister keinen Platz mehr hat, als monströs wahrgenommen wird, fasst der Rezensent zusammen. Das Wort "Monster", ausgesprochen von der Schönheit selbst, der jungen Preußenkönigin Luise, zieht sich durch das ganze Buch und läutet die veränderte Wahrnehmung der Abweichung in der Moderne ein, so Winkels.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 23.08.2014

Rezensent Stephan Speicher scheint zu gefallen, was er in Thomas Hettches neuem Roman liest. Möglicherweise bleibt aber auch einiges davon in reizvollem Dunkel, weil Hettche das Setting seines Textes als Traum- und Kinderwelt inszeniert, in der die Königin Luise auf der Pfaueninsel zwischen Riesen, Zwergen und exotischen Tieren und Pflanzen herumgeht. Auch um Sex geht es laut Rezensent, allerdings in ungewöhnlichen Formen, und ein Tötungsfall kommt vor. Dramatisch findet Speicher das allemal. Das Historische an diesem Roman liegt für ihn übrigens nicht im kulissenhaften Einschub der 48er Revolution, sondern im Verhältnis von Kunst, Wissenschaft und Natur, das der Autor ihm zufolge mitunter recht bemüht erkundet.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20.08.2014

Andreas Kilb möchte nichts auf diesen Autor und sein neues Buch kommen lassen. Eigene Einwände wischt er rasch beiseite, kaum dass sie erklungen sind. Einen Roman auf der Pfaueninsel spielen zu lassen, ein Personal aus Zwergen, Riesen und allerlei buntem Volk zu bemühen und eine Story zu entwickeln, in der es um Inzest und Königskinder geht, scheint Kilb nicht ungewöhnlich. Nicht, wenn sich mit Thomas Hettche ein großer Stilist dem monstösen Ganzen annimmt, erklärt er. Wenn Hettche seine essayistischen Fähigkeiten und das Museale seines Tableaus allzu klug in Szene setzt, fällt das dem Rezensenten zwar auf, und es scheint ihm, als ginge er beim Lesen durch ein aufgeräumtes Museumsschloss der Preußischen Kulturstiftung, vergällen kann es ihm die Lust an diesem Roman aber nicht.
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